Putin-Russland 2023: Eine erschütterte Autokratie auf dem Weg zum totalitären System
Seite 2: Problembehaftete Wirtschaft trotz Sanktionen und Boykotten
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- Problembehaftete Wirtschaft trotz Sanktionen und Boykotten
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Als weitgehender Fehlschlag erwiesen sich 2023 die vom Westen im Vorjahr angestrengten Sanktionen und Wirtschaftsboykotte. Der angestrebte Zusammenbruch der russischen Wirtschaft trat nicht ein, im Gegenteil wuchs sie im Jahr 2023 um gut drei Prozent.
Westliche Markenwaren, die im Zuge zahlreicher Boykotte nicht mehr direkt nach Russland geliefert werden, finden ihren Weg über Grauimporte über Drittstaaten ins Land. Das bedeutet jedoch nicht, dass in Bezug auf die wirtschaftliche Situation der Bürger und Unternehmen Russlands alles in Ordnung ist.
Negative Indikatoren waren im Jahresverlauf ein mehrfach schwächelnder Rubel und eine steigende Inflation. Die russische Industrie wird gebeutelt von einem massiven Arbeitskräftemangel, dessen Ursache eine Kombination aus sich verstärkenden demografischen Problemen, einer Auswanderungswelle und den vielen russischen Männern im Krieg im Nachbarland ist.
42 Prozent der russischen Industrieunternehmen beklagen laut einer Umfrage einen massiven Mangel an Personal. Einzig positiver Effekt dieser Entwicklung ist, dass so etwas wie Arbeitslosigkeit in Russland kein Thema mehr ist.
Russland versucht derweil mit aller Kraft, die abgebrochenen Wirtschaftskontakte in den Westen durch solche mit dem nichtwestlichen Ausland zu ersetzen. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang China, sodass der Moskau-Besuch von Staatschefs Xi Jingping im März zu den wichtigsten politischen Terminen des Jahres zählte. Im Oktober wiederum besuchte Putin Beijing (Peking) anlässlich eines Wirtschaftsforums. Geschäfte werden zunehmend in den eigenen Währungen, anstatt in US-Dollar abgewickelt.
Vor allem die russischen Rohstoffe werden verstärkt an nichtwestliche Staaten verkauft, neben China gerade an Indien. Während die Liefermengen nach Asien steigen, drücken die Chinesen jedoch auch die Preise.
Im September berichtete Reuters, dass das Reich der Mitte 40 Prozent weniger für Erdgas zahlt, als andere Kunden. Bei der Umgehung von Sanktionen helfen auch Zwischenhändler in der Türkei, im September besuchte Erdoğan Putin in Sotschi. So waren die Treffen auf höchster Ebene 2023 ein Spiegel der russischen Strategie.
Konflikt mit dem Westen verschärft sich weiter
Während sich innenpolitisch die Dinge änderten, beherrschte das seit der Ukraine-Invasion 2022 endgültig vergiftete Klima mit dem Westen die russische Außenpolitik. Die Lage verschärfte sich sogar nochmals.
Beide Seiten tragen dazu weiter ihren Teil bei. Im Februar verabschiedete die EU ihr zehntes Sanktionspaket gegen Russland, im Juni das elfte und um Dezember das zwölfte. Im März erklärte Putin seine Absicht, beim befreundeten Nachbarn Belarus taktische Atomwaffen stationieren zu wollen, es folgte zwischen Deutschland und Russland ein Reigen von Diplomatenausweisungen und Konsulatsschließungen.
Einige russische Experten ergingen sich in Atombomben-Einsatzszenarien, während die deutsche Außenministerin wegen ukrainischer Drohnenangriffe auf Moskau das Völkerrecht verbog, jedoch gegenüber Flüchtlingen aus Russland wenig Aufnahmebereitschaft zeigt.
Der nächste Skandal zwischen dem Westen und Russland ging ab September von der EU aus, als mehrere Autos von russischen Reisenden beschlagnahmt wurden. Das alles, obwohl sie nur als Reisemittel und nicht zum Verkauf bestimmt wurden.
Es entstand eine Diskussion darüber, was Russen überhaupt auf ihren inzwischen seltenen Reisen in die EU mitnehmen dürfen, auch der Versand von Postpaketen aus Russland in die EU wurde etwa vom deutschen Zoll durch die restriktive Auslegung von EU-Vorschriften weitgehend unterbunden.
Im März ging ein Treffen der Außenminister Russlands und der USA am Rande des G20-Gipfels ergebnislos zu Ende. Zu weiteren hochrangigen Kontakten in dieser Richtung kam es zumindest offiziell im weiteren Jahresverlauf nicht. Auch vom Westen geprägte Organisationen mussten 2023 im Zuge der neuen Eiszeit ihre Tätigkeit in Russland mehrfach einstellen. Etwa wurde sogar die Tierschutzorganisation WWF im März von der Moskauer Regierung zum "ausländischen Agenten" erklärt.
Ein schlechtes Jahr war 2023 auch für russische Organisationen, die dem Kreml eher kritisch gegenüberstanden. Solche wird es wohl im Land mittelfristig kaum noch geben. Im August wurde das Sacharow-Zentrum in Moskau, engagiert für Abrüstung und Frieden, durch Gerichtsbeschluss aufgelöst.
Präsidentschaftswahl wirft Schatten voraus
Gegen Jahresende rückte die russische Präsidentschaftswahl, die im März 2024 stattfinden wird, verstärkt in den Fokus der Politik. Ziel des Establishments ist eine möglichst breite Unterstützungsaktion für ihre Symbolfigur Wladimir Putin. Dieser erklärte im Dezember offiziell seine Kandidatur, Sparringspartner aus der systemtreuen Parlamentsopposition folgten.
Da es praktisch keinen wirklich populären Gegenkandidaten gibt und auch das gesamte System auf Putins Wiederwahl hin arbeitet, gilt diese bereits jetzt als praktisch sicher. Das erste Jahr seiner nächsten Amtszeit wird nicht einfach werden. Wirtschaftsanalysten sagen eine Halbierung des russischen Wachstums gegenüber 2023 voraus, eine weitere Abwertung des Rubels droht und ein Anstieg der Inflation wird erwartet.
So sind Erfolgsmeldungen im wirtschaftlichen Bereich kaum zu erwarten. Ob sie durch solche im Krieg gegen die Ukraine ersetzt werden können, wird sich in den folgenden Monaten erweisen. Aktuell ist der Ukrainekrieg unter den Russen eher von nachlassender Popularität.