Putins Pioniere?

Der russische Präsident Wladimir Putin bei einer Sitzung des Aufsichtsrates der "Russischen Bewegung für Kinder und Jugendliche" (per Videokonferenz). Bild (September 2022): Kremlin.ru/ CC BY 4.0

Mit Putin als Leitfigur etabliert sich in Russland ein linientreuer Verband für Kinder und Jugendliche. Vom Erscheinungsbild erinnert er an die Jungpioniere der Sowjetzeit – ideologisch und organisatorisch hat er aber nichts mit linken Idealen zu tun.

18 Millionen russische Kinder sollen in einer neuen, staatstragenden russischen Jugendbewegung vereint werden. Der entsprechende Verband wurde Mitte Juli per Gesetz ins Leben gerufen. Putin selbst trommelt seitdem für eine landesweite Mitgliedschaft der jungen Russen "bis in die kleinste Siedlung", wie er es jüngst auf einer Rede in Kaliningrad formulierte. Sie soll ab sechs Jahren möglich und nach offiziellen Verlautbarungen freiwillig sein.

Ziel ist eine breite Mitgliedschaft

Von der Konzeption ist aber schon Ziel, sie unter den Russen allgemein "üblich" zu machen, wie es die Mitgliedschaft in kommunistischen Kinder- und Jugendverbänden in der Sowjetzeit war. Dies kann auch über indirekten Druck funktionieren, mit dem inländische Beobachter auch rechnen.

So erinnert die Moskauer Nesawisimaja Gaseta daran, dass in der Sowjetzeit die Empfehlung des staatstragenden Jugendverbandes ein offiziell für bestimmte Universitätsbewerbungen einzureichendes Formular war. So war man auch ohne Pflicht aus Eigeninteresse dabei.

Laut den Initiatoren aus dem Regierungsumfeld wähnen sie mehr als 60 Prozent der russischen Eltern hinter sich. Tatsächlich dürfte die Idee in den Reihen vor allem der Großelterngeneration Anklang finden, die sowjetische Pionierorganisationen noch aus eigenem Erleben kennt und oft mit Gemeinschaftsgefühl und idealistischen, sozialistischen Zielen vieler junger Mitglieder verbindet.

Staatsnah, brav und national

Doch der neue Jugendverband wird keinesfalls sozialistisch sein, auch wenn er sich zur Eingewöhnung der Russen mit einem sowjet-nostalgischen Erscheinungsbild tarnt. Die Kinder sollen von staatsnahen "Mentoren" betreut werden, wenn sie beginnen "Fragen zu stellen", ihren Weg wählen oder aussuchen "nach welchen Prinzipien sie ihr Leben aufbauen wollen", wie die beauftragten Gründerinnen in der Onlinezeitung gazeta.ru bekennen.

Sie sollen "auf der Grundlage traditioneller russischer spiritueller und moralischer Werte" beeinflusst werden, ist in regierungsnaher Presse zu lesen. Gemäß der Staatsideologie von der "russischen Welt" wird der Verband also nicht den Geist des Internationalismus, sondern den des Patriotismus, wenn nicht Nationalismus atmen.

Denn "Ausland" ist im offiziellen Russland von heute etwas, was nicht nach Völkerverständigung, sondern nach "Einflussagenten" klingt. Eine Quelle der oppositionellen Onlinezeitung Meduza aus dem Umfeld des Kreml sieht es denn auch als Ziel der Organisation, Kinder von ausländischen Einflüssen zu "schützen", also betont russisch zu erziehen, was auch immer das heißen mag.

Man kann das Vorhaben als Reaktion auf den Trend der letzten zehn Jahre sehen, dass gerade die Gruppe der jungen Russen dem herrschenden Establishment von allen Altersklassen am kritischsten gegenübersteht. Sie lehnt das linientreue Staats-TV ab, informiert sich lieber online bei auf Russisch häufig politischen Influencern, die meist weltoffen und liberal sind.

Solchen Einflüssen aus dem Netz will man nun bereits in der Altersstufe darunter eine staatsnahe Beschäftigung entgegensetzen. Man kann den neuen Massenverband also durchaus als Teil der Kampagne sehen, in der auch Netzsperren eingerichtet und kritische Musiker und Influencer über das russische Strafrecht ins Exil getrieben werden.