Putschisten im Rückzugsgefecht

Nach dem Staatsstreich in Honduras kündigt der geschasste Staatschef seine Rückkehr an und wird von anderen Regierungschef begleitet. Obama: "Manuel Zelaya ist weiterhin Präsident"

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Der vierte Tag nach dem Militärputsch in Honduras könnte entscheidend werden. Am Donnerstag will der gewählte Präsident des mittelamerikanischen Landes, Manuel Zelaya, in die Hauptstadt Tegucigalpa zurückkehren. „Ich kehre aus eigenem Willen zurück“, sagte der 57-Jährige am Montag nach politischen Beratungen in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua: „Und ich kehre mit der Hilfe von Christus und des Volkes zurück.“

Zuvor hatten alle relevanten internationalen Organisationen den Sturz des gewählten Präsidenten am Sonntagmorgen verurteilt. In Managua war Zelaya schon in der Nacht zum Montag mit den Staatschefs von Nicaragua, Ecuador und Venezuela zusammengekommen. Andere Mitgliedsstaaten der linksgerichteten Bolivarischen Allianz für Amerika (ALBA) waren durch Minister vertreten. Auch das Zentralamerikanische Integrationssystem (SICA, die Rio-Gruppe, die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS hatten sich gegen die Putschisten gewandt. Auch die Vereinten Nationen verurteilten den Putsch und forderten in einer Resolution, die u.a. von Bolivien, Venezuela, Mexiko und den USA unterstützt wurde, eine Rückkehr des gestürzten Präsidenten. Die Weltbank kündigte an, alle Kredite an Honduras einzufrieren.

Zelaya kündigt seine Rückkehr nach Honduras an. Bild: ABN

Der zivile Anführer der Junta in Tegucigalpa, Roberto Micheletti, trat zu Wochenbeginn trotz dieser totalen Isolation selbstbewusst auf. Bei seiner „Antrittsrede“ vor dem Kongress drohte er Kritikern in der Region mit dem Militär. Er habe das Land vor dem „Chavismus“ gerettet, so Micheletti, der im Fall einer Rückkehr des gewählten Präsidenten mit dessen Festnahme drohte. Der Kontrahent Zelayas im honduranischen Kongress war am Sonntag, wenige Stunden nach der Verschleppung des Staatschefs, als neuer „Präsident“ eingesetzt worden. Anhänger Zelayas wurde der Zugang zum Parlament verwehrt.

Micheletti, der dem rechten Flügel von Zelayas Liberaler Partei angehört (die Micheletti-Webseite der Liberalen wird gerade "gesäubert"), rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die rechtsgerichteten Tageszeitung El Heraldo berichtete indes von der „breiten Unterstützung“ von „unserem neuen Präsidenten Roberto Micheletti“ durch Unternehmervereinigungen.

Unruhen in Honduras. Bild: ABN

Zeitgleich fanden jedoch in 40 Städten des mittelamerikanischen Landes Proteste statt – eine Ausgangssperre, die von der Armee von 21 Uhr bis sechs Uhr morgens verhängt wurde, zeigt kaum Wirkung. Die drei Gewerkschaftsdachverbände von Honduras, Landarbeitervereinigungen und soziale Organisationen erhalten einen landesweiten und zeitlich unbegrenzten Generalstreik aufrecht. In Berlin und Paris riefen am Montag die Botschafter mehrerer ALBA-Staaten zur Solidarität mit Zelaya auf. Es wird erwartet, dass mehrere lateinamerikanische Amtskollegen den gewählten Präsidenten wie die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner und ihr ecuadorianische Kollege Rafael Correa bei dessen geplanter Rückkehr nach Tegucigalpa begleiten. Micheletti hat angekündigt, dass Zelaya dann festgenommen werde.

Repression gegen Presse und Regierungsvertreter

Inzwischen wurden weitere Details über den Ablauf des Militärputsches bekannt. In den frühen Morgenstunden des Sonntags hatten mehrere Einheiten der Putschistentruppen unter Führung des Oberkommandierenden der Armee, General Romero Vázquez Velázquez, den Präsidentenpalast in Tegucigalpa umstellt. Eine Einheit maskierter und schwer bewaffneter Soldaten drang bis in das Schlafzimmer des Präsidenten vor und verschleppte den Politiker der regierenden Liberalen Partei in eine nahe Militärbasis. Kurze Zeit später wurde Zelaya nach San José, Costa Rica, ausgeflogen. Parallel zu dem Sturm auf den Präsidentenpalast wurde der staatliche Kanal 8 von der Armee eingenommen. Nach Berichten lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen sind seither rund zwei Dutzend Medien, die sich gegen den Putsch positioniert hatten, geschlossen wurden. Ein Team des lateinamerikanischen Fernsehsenders Telesur wurde zu Wochenbeginn vorübergehend festgesetzt. Vertreter führender sozialer Organisationen mussten untertauchen.

Während Micheletti als ziviler Chef der Junta sein neues Kabinett vorstellte, wurden mindestens acht Minister der gewählten Regierung verhaftet. Außenministerin Patricia Rodas wurde nach Mexiko abgeschoben. Als die Botschafter von Venezuela, Kuba und Nicaragua versuchten, die Chefdiplomatin vor dem Zugriff der Soldaten zu schützen, wurden sie ebenfalls attackiert. Der Angriff auf die diplomatischen Gesandten trug erheblich zu der Verschärfung der Kritik durch lateinamerikanische Staaten und Regionalorganisationen bei. In Honduras selbst haben sich regierungstreue Organisationen indes zu einer „Front des Volkswiderstandes“ zusammengeschlossen. Sie wollen die Proteste nach eigenem Bekunden bis zur Rückkehr Zelayas aufrechterhalten.

Politikwechsel brachte die Oberschicht gegen Zelaya auf

Der Staatsstreich und der interne Konflikt in Honduras hängen unmittelbar mit dem politischen Wandel des Präsidenten zusammen. Zelaya wurde 2005 für die Liberale Partei – neben der Nationalen Partei die zweite große von insgesamt fünf landesweiten politischen Organisationen – in das höchste Staatsamt gewählt. Im Wahlkampf präsentierte sich Zelaya als „einfacher Mann von Land“. Bis heute tritt er mit breitkrempigem Cowboyhut auf.

Der ehemalige Chef des Unternehmerverbandes COHEP, an dessen Spitze er 1987 vorübergehend gewählt worden war, versprach, gegen die auch in Honduras weit verbreitete Korruption vorzugehen. Linke Gruppierungen und soziale Organisationen versprachen sich wenig von „Mel“ Zelaya, wie er in seinem Land genannt wird: In den ersten 32 Monaten seiner Präsidentschaft kam es zu 722 sozialen Auseinandersetzungen, 2008 sogar zu landesweiten Streiks.

Doch Zelaya zeigte sich auch empfänglich für die Forderungen der sozialen Bewegungen. Schon im Wahlkampf versprach er, sich für Elemente der direkten, partizipativen Demokratie einzusetzen. Zu Venezuelas Staatschef Hugo Chávez, dem entschiedenen Fürsprecher eines „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, pflegte er enge Kontakte. Die Zusammenarbeit mit Venezuela und den Staaten des ALBA-Bündnisses wirkte sich merklich auf den politischen Diskurs Zelayas aus. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt bezeichnete er sich öffentlich erstmals als „links“. Später charakterisierte er seine Ideologie als liberalen Sozialismus. Im August 2008 trat Honduras unter Zelaya der ALBA bei.

Seine ehemaligen Weggefährten aus den Unternehmerverbänden und Angehörige des rechten Flügels der Liberalen Partei liefen gegen die Annäherung an den linken Länderblock Sturm. Gewerkschaften und soziale Organisationen wie die Landarbeitervereinigung Via Campesina stärkten dem Präsidenten jedoch den Rücken. Die neue Kräfteverteilung zeigt sich auch nach dem Putsch: Während die konservativen Kräfte im Kongress den Putschführer Micheletti unterstützen, haben sich Mitglieder des linken Flügels der Liberalen Partei mit anderen Gruppierungen zum Protestbündnis zusammengeschlossen. Seit Sonntag hat diese Allianz zehntausende Menschen Tag und Nacht mobilisieren können. Der Zulauf für diese Proteste wächst.

Foto: radiomundial.com.ve

Zäher Widerstand gegen Verfassungsinitiative

Gewerkschaften und Sozialverbände standen maßgeblich auch hinter der Initiative, die zum Militärputsch geführt hat: Sie drängten auf eine Veränderung der Verfassung, um soziale Rechte dauerhaft abzusichern. Zelaya war die Brisanz des Vorhabens bewusst. Er wollte am Sonntag zunächst darüber abstimmen lassen, ob später im Jahr eine Abstimmung über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung stattfinden soll. Eine „Meinungsumfrage“ nannte er das. Zuvor hatten sich 400.000 Menschen nachweislich für eine solche Umfrage ausgesprochen.

Doch seine Gegner stellten sich quer. Der Oberkommandierende der Armee, General Romero Vázquez Velázquez, der sich wenig später gegen seinen Präsidenten erheben sollte, weigerte sich, die Abstimmung vorzubereiten. In Honduras wird das Wahlmaterial – wie auch in anderen lateinamerikanischen Staaten – von der Armee aufbewahrt und verteilt. Auch der Oberste Gerichtshof und das Wahlgericht bezeichneten das Vorhaben als illegal. Zelaya bestand auf die nicht bindende Volksabstimmung. Es sei sein Recht als Präsident, eine solche Umfrage durchzuführen.

Ab Mitte vergangener Woche spitzte sich der Konflikt massiv zu. Am Mittwoch entließ Zelaya General Vázquez aus seinem Amt. Er hätte das Kommando ohnehin schon ein Jahr zuvor turnusgemäß abgeben müssen, sagte der Staatschef. Wenig später setzte der oppositionell dominierte Oberste Gerichtshof den Militär wieder ein. Zugleich kündigten Gegner von Zelaya erstmals „ernsthafte Schritte“ gegen den Präsidenten an. Die Staatschefs mehrerer lateinamerikanischer Länder und auch der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, José Miguel Insulza, warnten vor der Gefahr eines Putsches.

Die verbliebenen Zeitungen stellen sich hinter die Putschisten

US-Regierung in Konflikt mit eigener Lateinamerika-Politik

In den ersten Stunden nach dem Putsch gegen Manuel Zelaya wurde die Reaktion der US-Regierung mit Spannung erwartet. Zahlreiche Kommentatoren zogen die Parallele zu blutigen Staatsstreichen in Chile und Argentinien, die in den 1970er Jahren von Washington unterstützt worden waren. Die Antwort aus dem Norden erstaunte nicht wenige: Zunächst zeigten sich Präsident Barack Obama und Außenministerin Hillary Clinton “besorgt“, beziehungsweise "tief besorgt" über das Geschehen in Honduras. Zuletzt wurde Obama deutlicher: Zelaya sei „weiterhin der Präsident von Honduras“, sagte der US-Präsident am Montag in Washington.

Dennoch führt die Spur der Putschisten auch in die USA. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation SOA Watch wurden mehrere Protagonisten des Putsches in Honduras auf der US-Militärakademie „School of the Americas“ (Infos) ausgebildet. Nach Daten der NGO hat sich Putschanführer Vásquez Velázquez zwei Mal an der US-Akademie trainieren lassen: 1976 und 1984. Der Oberkommandierende der honduranischen Luftwaffe, General Luis Javier Prince Suazo, hatte noch 1996 einen Lehrgang auf der Militärakademie absolviert.

Die „School of the Americas“, die inzwischen in „Western Hemisphere Institute for Security Cooperation“ umbenannt wurde, hat seit ihrer Gründung 1946 zehntausende Soldaten und hochrangige Militärs aus lateinamerikanischen Staaten ausgebildet. Nach Angaben der Organisation SOA Watch wurden rund 60.000 Militärs auf der Akademie geschult.

Die Institution war nach Ansicht von Kritikern eines der außenpolitischen Hauptinstrumente, um in Zeiten des Kalten Kriegs den US-Einfluss in der Region zu gewährleisten. Zu den Lehrinhalten gehören Techniken der Aufstandsbekämpfung, Kurse für Scharfschützen, psychologische Kriegsführung, geheimdienstliche Praktiken und Verhörtechniken. Mehrere ihrer Absolventen wurden später Militärdiktatoren in Lateinamerika. Vom US-Kongressabgeordneten Joseph Kennedy stammt die Einschätzung, dass diese militärische Bildungsinstitution „mehr Diktatoren als jede andere Schule auf der Welt hervorgebracht hat“.