Quittung für die Digital Economy Bill

In 10 britischen Wahlkreisen treten am 6. Mai Kandidaten der Pirate Party UK an

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Kurz vor der Auflösung des Parlaments verabschiedeten die Abgeordneten in der Nacht zum letzten Donnerstag noch schnell ein Three-Strikes-Gesetz, die "Digital Economy Bill". Der Artikel 8 des Entwurfs wurde sogar noch schnell so abgeändert, dass er nun auch Netzsperren für Websites mit immaterialgüterrechtsverletzenden Inhalten oder "schweren schädlichen Auswirkungen für Unternehmen" erlaubt. Kritiker bemängelten bereits, dass damit auch Wikileaks und Newsportale blockiert werden könnten. Dafür wurden geplante Maßnahmen zur leichteren Verwendung verwaister Werke gestrichen.

Aus der 341 Mitglieder starken Labour-Fraktion stimmte lediglich eine dreiundzwanzigköpfige Gruppe um den Abgeordneten Tom Watson gegen das Gesetz. Die Tories blieben der Sitzung zwar fast geschlossen fern, hatten jedoch schon im Vorfeld ihre Zustimmung zu den Zielen der Digital Economy Bill bekundet. Von den Liberaldemokraten stimmten die 18 von insgesamt 63 bei der dritten Lesung im Unterhaus noch anwesenden Abgeordneten geschlossen dagegen. Allerdings bietet diese Partei auch dem Oberhausabgeordneten Baron Clement-Jones eine politische Heimat - dem Mann, der die Möglichkeit zum Sperren von Websites erstmals in den Entwurf einfügte.

Nun tritt bei der Parlamentswahl am 6. Mai in 10 Wahlkreisen erstmals die Piratenpartei an, die auf der Insel unter der Abkürzung PPUK firmiert. Begrenzt wurde ihr Angebot an Kandidaten nicht nur durch die Verfügbarkeit von fähigen Personen, mit dem Willen, viel Zeit zu opfern, sondern auch durch eine Antrittsgebühr in Höhe von 500 Pfund, die an den Staat fällt, wenn der Kandidat nicht mindestens 5 Prozent der abgegebenen Stimmen erreicht.

Parteichef Andrew Robinson bezeichnete die Chancen auf einen Parlamentssitz aufgrund des derzeit geltenden Mehrheitswahlrechts trocken als "pretty much close to zero". Entsprechend ist das Wahlziel der PPUK auch nicht das Gewinnen eines oder mehrerer Wahlkreise, sondern ein Ergebnis, bei dem die Partei die für ihre Kandidaten ausgelegten Teilnahmegebühren erstattet bekommt. Darüber hinaus will man möglichst noch dem einen oder anderen Abgeordneten das Gefühl geben, dass sein Stimmverhalten in Sachen Digital Economy Bill zu seiner Niederlage beitrug.

Kandidaten ohne Ahnung

Da sowohl Labour als auch die Tories das Gesetz befürworten, setzen viele Gegner der Digital Economy Bill darauf, dass möglichst viele Wahlkreise von den Liberaldemokraten gewonnen werden. Auf diese Weise sollen sich die Chancen dafür erhöhen, dass eine Koalition notwendig wird, in welcher die LDP für eine Entschärfung des Gesetzes eintreten könnte. Bei der PPUK legt man dagegen weniger Hoffnung in die LDP, die sich den Worten Robinsons nach hinsichtlich der Ziele der Digital Economy Bill mit den beiden anderen großen Parteien einig ist und nur hinsichtlich des Strafenkatalogs abweicht. Deshalb will man auch in den Wahlkreisen, in denen kein PPUK-Kandidat antritt, keine allgemeine Wahlempfehlung für die Liberaldemokraten aussprechen und rät den Wählern stattdessen, das Stimmverhalten des jeweiligen Abgeordneten nachzuschlagen und neue Kandidaten konkret nach ihren Positionen zu fragen. Antworten sie nicht oder ausweichend, so der britische Piratenparteivorsitzende zu Telepolis, dann zeigen sie damit, dass sie keine Ahnung haben und sich als Abgeordnete entsprechend verhalten würden.

Dass es dieses Phänomen nicht nur in Deutschland gibt, sondern auch in Großbritannien, zeigte zuletzt der "Digital-Britain"-Minister Stephen Timms, der in einem Brief erkennen ließ, dass er eine IP-Adresse für eine "Intellectual Property Adresse" hält. In Timms Wahlkreis East Ham kandidiert jetzt der siebenunddreißigjährige Informatiklehrer Mark Sims für die Piraten.

In South West Surrey tritt der vierzigjährige selbständige Softwareentwickler Luke Leighton gleich gegen zwei besonders profilierte Befürworter von Three-Strikes- und Websperren an. Der Wahlkreis wird bisher von Jeremy Hunt vertreten, dem Medien- und Kulturminister im Schattenkabinett der Tories, der nicht nur für die Digital Economy Bill stimmte, sondern sie darüber hinaus als zu wenig weitgehend kritisierte. Hunts Labour-Herausforderer ist Richard Mollet, der PR-Chef des Musikindustrieverbandes BPI und ein maßgeblicher Mitverantwortlicher für die Erweiterung der Digital Economy Bill um Möglichkeiten zur Blockade von Websites.

Andrew Robinson

Der PPUK-Vorsitzende Robinson, ein 1968 geborener Grafiker, tritt in Worcester an, wo gegenwärtig der Labour-Abgeordnete Michael Foster den Parlamentssitz hält. Ebenfalls in den Midlands, in Leicester West, kandidiert Shaun Dyer, ein sechsundzwanzigjähriger Fachmann für Computersicherheit. Beim letzten Mal wurde der Wahlkreis von der ehemaligen Labour-Gesundheitsministerin Patricia Hewitt gewonnen. Diese wagt es jedoch wegen ihrer doppelten Verwicklung in die Lobby- und in die Spesenaffäre nicht mehr, sich den Wählern zu stellen.

Mehrere PPUK-Bewerber gibt es im Großraum Manchester: Der achtzehnjährige Graeme Lambert kandidiert in Bury North, einem Wahlkreis, den bisher der Labour-Politiker David Chaytor hält, der in der Spesenaffäre ebenfalls Schlagzeilen machte und nun nicht mehr antritt. Am 6. Mail will die Labour-Politikerin Maryam Khan den Wahlkreis für ihre Partei gegen den Tory David Nuttall verteidigen. In Derby North, dem Wahlkreis des in Rente gehenden Labour-Abgeordneten Robert Laxton, tritt der neunzehnjährige Student David Geraghty für die Piraten an. Und in Manchester Gorton kandidiert der ebenfalls neunzehnjährige Systemingenieur Tim Dobson. Bisher vertritt diesen Wahlkreis der Labour-Politiker Gerald Kaufman. Dessen liberaldemokratischer Herausforderer Qassim Afzal schnitt dort bei der letzten Wahl besser ab als die Tory-Bewerberin.

Im Londoner Wahlkreis Bethnal Green and Bow stellte die PPUK den Blogger Alexander van Terheyden auf. Bei der letzten Abstimmung gewann die Anti-Irakkriegs-Partei Respect diese Bezirke, in denen aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung von allen Parteien außer den Piraten moslemische Kandidaten nominiert wurden. Der Respect-Abgeordnete blieb der Abstimmung über die Digital Economy Bill fern, tritt allerdings am 6. Mai auch nicht mehr an. Im Finanzzentrums-Wahlkreis Cities of London and Westminster will der Musiker Jack Nunn für die Piratenpartei anderen Kandidaten Stimmen abnehmen. Der dortige Parlamentssitz wird wahrscheinlich wieder an den Tory Mark Field gehen; die nicht allzu chancenreiche liberaldemokratische Bewerberin ist hier Marie-Louise Rossi, eine Lobbyistin der Versicherungsindustrie.

In Schottland tritt die PPUK mit dem neunzehnjährigen Mathematikstudenten Finlay Archibald lediglich im Wahlkreis Glasgow Central an. Diesen Wahlkreis will der Labour-Abgeordnete Mohammad Sarwar am 6. Mai seinem Sohn Anas Sarwar vererben. In die Quere kommen könnte ihm dabei sowohl der liberaldemokratische Kandidat Chris Young als auch der SNP-Bewerber Osama Saeed. Obwohl sich die Scottish National Party in der Vergangenheit relativ offen für softwarepatentkritische Positionen gab, ist relativ unklar, wie ihre Kandidaten zur Digital Economy Bill stehen. Von den schottischen Regionalisten stimmte zwar nur der Abgeordnete Stewart Hosie für das Gesetz, allerdings schwänzten alle anderen SNP-Abgeordneten die Sitzung. Ähnlich verhielt es sich mit denen der walisischen Plaid Cymru, deren einziger anwesender Abgeordneter Adam Price aber gegen den Entwurf votierte.