RAF-Unterstützer unterhielten DDR-Kontakte
Akten belegen: Reisen zum "kleinen Bruder" schon in den 70ern
Knapp zwanzig Jahre lang war die DDR in der offiziellen Geschichtsschreibung bezüglich der Rote Armee Fraktion (RAF) nichts anderes als ein ruhiger Hort für ausgestiegene Terroristen, womit sich der "Arbeiter- und Bauernstaat" zusätzlich Terroranschläge im eigenen Land vom Halse halten wollte. Noch heute werden ewig Gestrige nicht müde zu behaupten, dieses sei das einzige Motiv Honeckers und Co. gewesen, westdeutschen Terroristen hinter der Mauer Quartier zu geben. Doch inzwischen sprechen jüngst freigegebene Akten eine ganz andere Sprache. Demnach war die im Jargon der RAF "kleiner Bruder" genannte DDR viel mehr. Besondere Kontakte pflegte Ost-Berlin bereits in den 70er Jahren zur RAF-Unterstützerszene.
Die Fahnder in der britischen Hauptstadt London staunten am 15. September 1978 nicht schlecht, als sie die Papiere einer jungen Deutschen einsahen, die sie soeben festgenommen hatten. Es handelte sich um das RAF-Gründungsmitglied Astrid Proll. Die Frau hatte über Jahre hinweg unter falschem Namen als Autoschlosserin an der Themse gelebt und führte einen Pass mit, der es in sich hatte. Neben diversen Eintragungen prangten in dem Papier zahlreiche Ein- und Ausreisestempel der DDR. Warum sie den "kleinen Bruder" so oft bereist hatte, dazu schwieg die Proll indes.
Doch nicht nur sie besaß auffällige Affinitäten nach "drüben". Einen wahren Reiseboom dort hin hatte das Unterstützerfeld der RAF entwickelt. Zu diesen Erkenntnissen gelangten Verfassungsschutz, BKA und BND durch eine vor mehr als dreißig Jahren neu eingeführte und noch heute praktizierte Fahndungsmethode, der sogenannten beobachtenden Fahndung, in Fachkreisen auch "Befa" genannt. Dabei wurden "Zielpersonen" u. a. bei Ein- und Ausreisekontrollen - auch wenn sie gesucht wurden - nicht festgenommen. Vielmehr werden ihre Reisetätigkeiten notiert, um ein sogenanntes Bewegungsbild erstellen zu können.
Das lieferte auch ein gewisser Norbert M. aus Norddeutschland, der am 30. September 75 den der Mitgliedschaft in der RAF verdächtigen G. im Gefängnis besuchte. Die Geschichte M's. liest sich wie ein Kapitel aus einem Agentenroman. In den Jahren 1964 und 1966 galt der Mann zweimal als vermisst - und hielt sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in der DDR auf. Angeblich von dort abgeschoben, leistete M. anschließend seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr, von der er sich 1968 absetzte, um über Dänemark und Schweden erneut in die DDR einzureisen.
In Saßnitz unterzog die Stasi ihn dann einer Vernehmung und steckte ihn angeblich wegen eines Passvergehens für sechs Monate ins Gefängnis. Nach seiner Haft reiste M. über den Bahnhof Friedrichstraße wieder von Ost nach West und nahm Kontakt zum Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), der Keimzelle der damaligen Studentenunruhen, auf. Über diese Kontakte gelangte er schließlich in die RAF-Unterstützerszene.
Aber nicht nur Angehörige der zweiten Reihe fuhren hinter die Mauer, auch die "RAF-Promis" Christian Klar und Wolfgang Beer wurden dort mehrfach empfangen. Bei einem der Treffen offerierten die Beiden der DDR sogar "gewisse Hilfestellungen". Andere aus dem Umfeld der Terroristen boten den ostdeutschen Behörden Lagepläne von US-Kasernen oder den Generalschlüssel zu einer Bundeswehrkaserne sowie Erkenntnisse über das Kontrollsystem der Amerikaner in ihren deutschen Kasernen an.
Als kleines Dankeschön mag die DDR dann den Gefangenen aus der RAF die Zeitschrift "Deutsche Außenpolitik" in die Zellen geschickt haben. Dass es sich dabei um ein Stasi-Blatt handelte, war wohl nicht so wichtig.