RKI-Files: Schweigen, Spekulation und ein erhärteter Verdacht

Seite 2: "Nicht überwindbare Vorprägung der Entscheidungsfindung"

Telepolis hat deshalb auch Jessica Hamed um eine Stellungnahme gebeten. Die Juristin zieht es allerdings vor, aufgrund der aus ihrer Sicht noch unübersichtlichen Datenlage vorerst noch keinen Kommentar abzugeben.

Allerdings verweist sie auf ihr gut dokumentiertes juristisches Engagement, wo sich auch ein von ihr gestellter "Antrag auf einstweilige Anordnung gegen das RKI" vom August 2020 findet. In diesem fordert sie

(…) dem Antragsgegner zu untersagen, bei Zusammenfassungen einzig die absolute Anzahl der positiven SARS-CoV-2-Tests darzustellen bzw. darauf basierend die kumulativen Fallzahlen oder die Inzidenz ohne Nennung der Positivenquote (Anzahl positiver Tests im Verhältnis zur absoluten Testmenge, Anm. d. A.) und des starken Einflussfaktors eines bedeutsamen Testanstieges auf die absoluten Zahlen.

Jessica Hamed: Antrag auf einstweilige Anordnung gegen das RKI vom 30.08.2020

Den Zusammenhang zwischen Testhäufigkeit und Testergebnissen hatte das RKI anfangs in Abrede gestellt. Telepolis hat bereits berichtet, dass gegenläufige Behauptungen seinerzeit entsprechenden Faktenchecks unterzogen wurden, deren Kernaussage man jedoch später relativierte.

In einem weiteren Dokument vom 6. September 2020, in dem Hamed auf eine Stellungnahme des RKI reagiert, findet sich ein ähnlicher Vorwurf wie der, den auch multipolar an das RKI richtet. Darin beklagt Hamed

(...) dass die Risikobewertung des Antragsgegners [RKI] von den Regierenden kritiklos übernommen und den jeweiligen ‚Corona-Verordnungen’ zugrunde gelegt wird. Die Gerichte wiederum, die zahlreiche Anträge und Klagen gegen Bestimmungen der Verordnungen zu entscheiden haben und in der Vergangenheit hatten, überprüfen die Risikobewertung des Antragsgegners nicht, sondern legen diese vielmehr ihren (primär ablehnenden) Entscheidungen zu Grunde.

Damit findet eine im individuellen (Eil-)Gerichtsverfahren nicht überwindbare Vorprägung der Entscheidungsfindung statt. Die Risikoeinschätzung des Antragsgegners wirkt wie eine Ex-cathedra-Entscheidung.

Jessica Hamed: Erwiderung auf die Stellungnahme des RKI vom 06.09.2020

Multipolar-Mitherausgeber Paul Schreyer mutmaßte kürzlich in einem Beitrag des Radiosenders Kontrafunk, dass jene folgenreiche Entscheidung von Jens Spahn selbst stammen könnte. Sollte diese Spekulation zutreffen, könnte die scharfe Darstellung des in der Corona-Krise entlassenen bayrischen Gesundheitsamtsleiters und BSW-Europakandidaten Friedrich Pürner gerechtfertigt sein, die er kürzlich auf X veröffentlichte:

Das RKI hängt wie eine Marionette am Faden des Bundesgesundheitsministeriums. Sowohl der Präsident als auch die Abteilungsleiter dürften alles Beamte sein. Widerworte oder gar große Widerstände gegen den Bundesgesundheitsminister sind daher nicht zu befürchten.

Friedrich Pürner (BSW) auf X

Redaktionelle Anmerkung: Das Zitat "Die Sensitivität der Tests liegt bei ca. 80%, die Spezifität bei ca. 98%. Das Ergebnis hängt von der Güte der Tests ab. Es ist mit einem hohen Anteil falsch positiver Ergebnisse zu rechnen" stammt aus dem Protokoll des RKI-Krisenstabs vom 23. November 2020, nicht vom 20. November 2023, wie es in einer früheren Version hieß.