"Rache an Journalisten"

Besorgnis bei Österreichs Medienschaffenden, "Reporter ohne Grenzen" fordern Zusatzartikel zur UN-Menschrechtscharta für Medienfreiheit

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In Österreich haben keine Nazihorden die Macht ergriffen, die Menschen an Leib und Seele bedrohen, noch werden missliebige Journalisten in Ketten abgeführt. Dennoch hat sich seit dem Antritt der Mitterechtsregierung, der ÖVP-FPÖ Koalition, das Klima in diesem Land verändert - auch das in den Redaktionsstuben. Als Bundeskanzler Schüssel jüngst in einer "Rede zur Lage der Nation" die Reformen lobte, äußerten sich namhafte Medienschaffende besorgt über die "Lage der Pressefreiheit".

Eine gute Stunde bevor Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vergangenen Dienstag anlässlich des Jahrestags der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrags zur "Rede zur Lage der Nation" anhob, hatten sich im Concordia Presse Club renommierte Journalisten und Journalistinnen zusammengefunden, um in eigener Sache zu sprechen. Man wolle auf die "Lage der kritischen Öffentlichkeit der Nation" hinweisen, so Starkolumnist Hans Rauscher (Der Standard).

Anlass für die gemeinsame Pressekonferenz in Wien war die umstrittene Reform der Strafprozessordnung, in der Strafbestimmungen für Journalisten vorgesehen sind. Der Saal war gut besetzt. Auch SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer und SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl hatten im Publikum Platz genommen. Von den Grünen fand sich der Nationalratsabgeordneter Peter Pilz ein. Die Rolle des Justizministers als früherer Anwalt der FPÖ stand im Mittelpunkt der Kritik der acht anwesenden Journalisten. Er sei bereits seit Herbst 1999 verantwortlich für eine "Klagsflut", mit der vor allem Kritiker des früheren FPÖ-Chefs und nunmehrigen Landeshauptmanns Jörg Haider eingeschüchtert würden, erklärte Rauscher. Dringende Appelle wurden aber auch an die ÖVP und an den Bundeskanzler gerichtet, Böhmdorfer "einzubremsen und abzustellen", so der "Standard"-Kolumnist, der kürzlich mit dem Concordia-Publizistikpreis für Pressefreiheit ausgezeichnet wurde.

Viel Lärm um nichts?

Wie Telepolis berichtete, hatte der Entwurf zur Strafprozessordnung, in dem Medien- mit Strafrecht verknüpft wird, erheblichen Wirbel verursacht. Für Außenstehende wird diese Aufregung nur unter Berücksichtigung der politischen Konstellation verständlich. Seit Jahren herrscht ein mehr als gespanntes Verhältnis der FPÖ zu den Medien. Der heutige Justizminister Dieter Böhmdorfer hatte als Haider-Anwalt die Medien mit Klagen eingedeckt. Äußerungen des Ex-FPÖ-Chefs Jörg Haiders, man würde einmal an der Macht für "Ordnung in den Redaktionsstuben" sorgen, trugen nicht eben zu einer Entspannung bei ("Falschmeldungen und wirre Spekulationen").

Als dann just mit Regierungsantritt ein, mit den politischen Verhältnissen in Österreich bestens vertrauter, einer Schwarz-Blau-Koalition aber kritisch eingestellter Innenpolitikredakteur der bürgerlichen "Oberösterreichischen Nachrichten" (OÖN) mehr als unfreundlich hinaus komplimentiert wurde, war vom ersten "Politopfer" die Rede.

"Dieses Signal, das sich gegen einen kritischen, unabhängigen und freien Journalismus richtet, betrachten wir mit großer Sorge: Es hat Auswirkungen auf das Bewusstsein wohl der meisten Journalisten im Land. Angst um den Job verhindert objektive Berichterstattung", erklärte damals die Redaktion der renommierten Tageszeitung "Standard" zur Entlassung des Redakteurs. "Ganz offensichtlich ist am Tag der Angelobung der neuen blauschwarzen Regierung jemand vor den Freiheitlichen in die Knie gegangen", kommentierten die "Salzburger Nachrichten". Das war März 2000.

Die vormalige Böhmdorfer-Kanzlei klagte dann sogar ein Studentenblatt mit einer Auflage unter der Wahrnehmungsgrenze von 200 Stück, das einen Leserbrief abdruckte, in dem es hieß: "Ich war von Anfang an bei den Demonstrationen gegen die neue rechtskonservative Scheißregierung dabei". Die FPÖ-Ministierriege fühlte sich durchwegs beleidigt und zog vor den Kadi.

In einer ORF-Diskussionsrunde (13. Mai. 2001) zum Thema "Pressefreiheit" auf diesen Monate zurückliegenden Fall angesprochen, verteidigte Justizminister Böhmdorfer das Vorgehen. Bezeichnungen wie "rechtskonservative Scheißregierung", könne man einfach von niemandem hinnehmen, meinte Böhmdorfer sinngemäß. Der Justizminister lehnte es außerdem ab, mit Politikerkollegen über Medienfreiheit und den umstrittenen "Journalistenparagrafen" (§ 56 im Entwurf zur Strafprozessordnung) zu diskutieren. Ein Wunsch, dem das staatliche Fernsehen, der ORF Folge leistete. Die Diskutantenrunde setzte sich dann aus einem Minister, einem Journalisten und mehreren Rechtsexperten zusammen. Böhmdorfer beeilte sich dabei, seine zuvor geäußerte Kritik am investigativen Journalismus zurückzunehmen, sagte dann sinngemäß, der heutige Meinungsjournalismus wäre nicht ganz seine Sache, auch wenn dieser wichtig sei. Schließlich konkretisierte er seine Vorliebe im medialen Bereich mit dem Begriff "Faktenjournalismus".

Kritik aus dem bürgerlichen Lager

Gerne wird mediale Kritik von der FPÖ ins linke Eck gerückt. Doch im Falle der umstrittenen Verknüpfung von Medien- und Strafrecht meldeten zutiefst bürgerliche Menschen und Medien Kritik an. Der ehemalige Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Herbert Krejci, sagte anlässlich einer Medienpreisverleihung, man könne die Presse brutal abdrehen, wie in Russland "oder man würgt sie mit subtileren Mitteln ab". (zitiert, Profil 19/ 7. Mai 2001). In der bürgerlichen Zeitung "Die Presse" war die Rede davon, dass mit dem Böhmdorfer-Entwurf zur Strafprozessnovelle "die Zeit des Ordnung-Machens nun angebrochen sein" dürfte.

Die "Salzburger Nachrichten", ebenfalls eher bürgerlich orientiert, schreibt konsequent gegen die Einschränkung der Meinungsfreiheit an. Und schließlich war in der Neuen Zürcher Zeitung, die wohl fern des Vorwurfs der linken Stimmungsmache steht, zu lesen: "Böhmdorfer - lange der Anwalt Jörg Haiders - bewies erneut, dass er in erstaunlichem Ausmaß politisch gefühllos ist. Die rechtliche Lage mag längst nicht so bedrohlich sein, wie sie auf Grund des Wortlautes erscheint. Dennoch hätte jedem Anfänger klar sein müssen, dass der Anschein entstehen werde, die blau-schwarze Regierung wolle die Medien mit Androhung von Haftstrafen einschüchtern und die Pressefreiheit beschränken."

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel tat sich in diesem Fall bislang mit Wortkargheit hervor. An ihn und seine Partei, die konservative ÖVP, richtete der Profil-Herausgeber Christian Rainer die treffende Frage: "Haben die Konservativen jemals verstanden, dass freier Journalismus kein linkes Kampfpotenzial ist, sondern ein bürgerlicher Grundwert, der abseits aller Auseinandersetzungen unantastbar bleiben sollte?" (Leitartikel / profil 19).

Umarmungsgesten von Justizminister Böhmdorfer

Inzwischen lenkte Böhmdorfer im Fall des "Journalistenparagrafen" ein. Er lud als Reaktion auf die "Rede zur Lage der Pressefreiheit" Journalisten noch am gleichen Tag um 17 Uhr zu einem sachlichen Gespräch ein. Das war natürlich nicht ungeschickt. In den österreichischen Medien fiel dann die Berichterstattung über die Pressekonferenz der Medienschaffenden dementsprechend dürftig aus. Welches dem objektiven Qualitätsjournalismus verpflichtete Medium in einem so kleinen Land kann oder will es sich denn leisten, hier vorab ohne Ministerkommentar zu berichten? Dabei wären die Kommentare der Journalisten in eigener Sache durchaus erwähnenswert.

Die Stimmung schwankte zwischen Verärgerung bis Resignation. Armin Thurnher (Falter) ortete eine "Berlusconisierung ohne Berlusconi". Katharina Krawagna-Pfeifer, Innenpolitik-Ressortchefin des Standard, sah eine "Wende ins Autoritäre". Franz C. Bauer, Präsident der Journalistengewerkschaft, betonte, dass es sich seiner Meinung nach "nicht um eine juristische Diskussion, sondern eine politische" handle. Er sah den "politischen Willen, Rache an Journalisten zu nehmen", die etwa im Fall der so genannten "Spitzelaffäre" kritisch berichtet haben.

Die ÖVP mache sich zum "Handlanger" dieser Rachebestrebungen. Es werde versucht, ein Klima zu schaffen, in dem kritische Journalisten "müde werden", befand ORF-Redakteurssprecher Fritz Wendl: "Dies schlage sich auch im Entwurf für das ORF-Gesetz nieder, das eine 'Einladung zum Druck Ausüben' auf den Generalintendanten enthalte. Resignation schwang schließlich in der Stellungnahme von Profil-Herausgeber Christian Rainer mit. Kaum jemand würde sich noch darüber aufregen, was hier passiert, meinte er und ortete ein gewisses allgemeines Abstumpfen sowie ein "Versagen der Eliten".

Fragwürdiges Geschichtsverständnis in der FPÖ

Die Medienberichterstattung konzentrierte sich wohl aus oben erwähnten Gründen primär auf die feierliche "Rede zur Lage der Nation" von Kanzler Schüssel. Tatsächlich gibt es einige Pluspunkte der Regierung zu vermerken, etwa in der Restitutionsfrage. Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern war unter der SPÖ-ÖVP-Koalition auf die lange Bank geschoben worden. Erst unter der neuen Regierung wurden die Verhandlungen vorangetrieben. Allein an den Taten wollen aber viele Österreicher die Regierung nicht wirklich messen. Zuviel Bedenkliches passiert auch heute noch.

In einem bemerkenswerten Kommentar der eher bürgerlichen "Salzburger Nachrichten" hielt Innenpolitik-Chef Andreas Koller fest, was der Kanzler alles unerwähnt ließ. Beispielsweise die schleppenden Ermittlungen in Sachen "Bürgerbespitzelung" oder dass Österreich eines der ersten Länder war, dass Berlusconi zum Wahlsieg gratulierte. "Und wie ist die Lage des Geschichtsbewusstseins?", so die rhetorische Frage Kollers. "FPÖ-Spitzenpolitiker Peter Sichrovsky bezeichnete dieser Tage den Nazi-Terror als deutsche Erfindung, während Österreich nichts weiter als 'das erste Opfer Nazi-Deutschlands' gewesen sei. Kein Wort des Kanzlers zu dieser intellektuell fahrlässigen Geschichtsverzerrung seines Koalitionspartners."

Noch sind also auch solche kritischen Kommentare in Österreichs Zeitungen zu lesen. Dennoch scheint die Sorge um die Medienfreiheit Österreich berechtigt. Rubina Möhring, ORF-Journalistin und Präsidentin der Österreich-Sektion von "Reporter ohne Grenzen", appellierte schließlich im Rahmen der "Rede zur Lage der Pressefreiheit" an das Europa-Parlament, "eine verbindliche Medienkonstitution zu erarbeiten und in Kraft zu setzen". Es brauche europaweit eine Definition von Medien- und Meinungsfreiheit, auch die UN-Charta für Menschenrechte sollte mit einem Zusatzartikel zur Medienfreiheit versehen werden. Angesichts der Situation in Österreich und des Wahlsiegs Berlusconis in Italien sicher eine gute Idee.