Rätselraten um Bombenanschlag auf russischen Kriegsblogger
Der Blogger Wladlen Tatarskij wurde in einem Café des Kreml-Oligarchen Prigoschin in St. Petersburg getötet. Kriegsgegnern droht nun verschärfte Repression. Wer steckt dahinter?
Wladlen Tatarskij, bürgerlich Maxim Fomin, gehörte in Russland zu den wichtigsten sogenannten "Militärkorrespondenten". Mehr als 500.000 Follower folgten seinem Blog zum Kriegsgeschehen auf Telegram. Der Blogger stammte aus dem Donbass-Gebiet und war auch bei den Militärs vor Ort bereits in Kampfhandlungen verstrickt.
Die Militärkorrespondenten können über die von ihnen grundsätzlich unterstützte Invasion im Nachbarland Ukraine relativ frei berichten – ganz im Gegensatz zu Medien, die den Krieg generell ablehnen und dafür geschlossen werden. "Frei" bedeutet: keine Infragestellung der grundsätzlichen Ziele des Kreml, aber durchaus auch mal Kritik an der Militärführung in der Frage der Zielerreichung.
Tatarskij ist im Milieus der Kriegsunterstützer gut vernetzt und war auch persönlich bekannt mit der im letzten Sommer durch einen Anschlag zu Tode gekommenen Daria Dugina, der Tochter des rechtsextremen Ideologen Alexander Dugin.
Veranstaltung von Kriegsbefürwortern
Am gestrigen Abend wurde Tatarskij als Referent geladen zu einer öffentlichen Veranstaltung in einem Café namens "Street Food Bar", das sich im Eigentum des Söldnerführers und kremlnahen Oligarchen Jewgeni Prigoschin befindet. Jetzt trifft sich dort die sogenannte "Cyber Z Front", ein Club von sogenannten Z-fluencern.
Das sind meist junge Aktivisten, die den Kreml-Kurs und seinen Krieg im Nachbarland ideologisch unterstützen. Tatarskij gehörte zu den radikalen Unterstützern des Krieges. Am Rande der Kreml-Feierlichkeiten anlässlich der Annexion von vier ukrainischen Gebieten 2022 äußerte er sich in einem Video positiv zu Gewalttaten vor Ort.
Die "Cyber Z Front" ist bisher laut der örtlichen Online-Zeitung Bumaga auch dadurch aufgefallen, dass sie Belohnungen auslobte für Personen, die "Fälschungen über den Krieg aufdecken", also entsprechende Posts in sozialen Netzen bei den Behörden melden.
Dazu muss man wissen, dass als solche "Fälschung" in Russland alles gilt, was von der offiziellen Darstellung des Verteidigungsministeriums abweicht. Lange Haftstrafen können folgen, wenn ein Gericht eine solche "Fälschung" bestätigt. Weiter aktiv war die "Cyber Z Front" bei der Absage von Konzerten kriegskritischer Künstler.
Sprengsatz in einer vergoldeten Büste
Etwa 100 Personen sollen bei dem gestrigen Event mit Tatarskij anwesend gewesen sein. Während des Vortrags kam eine junge Frau, die sich als "Nastja" (kurz für Anastasia) vorstellte auf die Bühne und übergab Tatarskij eine vergoldete Büste von diesem selbst. Sie verließ das Café wenig später und ein Sprengsatz mit einer Stärke von 100-200 Gramm TNT ging danach in die Luft - er war in der Büste untergebracht.
Tartarskij war sofort tot, 25 Menschen wurden laut dem örtlichen Gouverneur verletzt, davon mussten nach dieser Quelle 19 im Krankenhaus behandelt werden. Später berichtete die örtliche Onlinezeitung Fontana von 32 Verletzten, davon zehn Schwerverletzten. Darunter soll sich ein vierzehnjähriges Mädchen befinden.
Nach besagter "Nastja" wurde umgehend gefahndet. Sehr schnell wurde klar, dass es sich dabei in Wirklichkeit um eine Frau namens Daria Trepowa handelt. Die junge Petersburgerin war kürzlich von einem Aufenthalt in Moskau zurückgekommen und wollte in wenigen Tagen nach Usbekistan weiterreisen. Trepowa ist als Antikriegsaktivistin bekannt und wurde als solche bei einer Kundgebung am Tag des Kriegsausbruchs festgenommen.
Russische Opposition, ukrainischer Geheimdienst oder beides?
Ob Daria Trepowa beabsichtigt zur Attentäterin wurde, ist umstritten. Laut der Online-Zeitung Meduza geben Personen aus ihrem Umfeld an, dass sie gewaltsame Aktionen gegen den Krieg nicht unterstützt habe.
Meduza verweist auf die Veröffentlichung eines Chats von Trepowa durch einen behördennahen Telegram-Channel. Dort behauptet sie gegenüber einer Freundin, sie wäre "hereingelegt" worden und sie hätte vor Ort sterben können, was nun vielleicht besser gewesen wäre. Es ist zur Stunde unklar, ob Trepowa der Sprengsatz in der Büste bekannt war.
Daria Trepowa wurde mittlerweile laut Fontanka verhaftet. Sie hatte Ende März eine Wohnung in der Nähe des Anschlagsortes gemietet und soll das Anschlagsgebiet nach der Explosion verlassen haben.
Der Kreml stuft das Attentat mittlerweile offiziell als Terroranschlag ein. Bei den nun folgenden Ermittlungen wird es auch darum gehen, ob Trepowa eine Einzeltäterin ist oder - was ein Novum wäre – eine Tat von gegen den Ukraine-Feldzug eingestellten Russen ist. Diese sind unter den jüngeren Petersburger recht zahlreich, jedoch fast durchgehend keine Befürworter eines bewaffneten Widerstands.
Auch deutsche Referenten im Prigoschin-Café
Der Anschlag könnte auch zum Startschuss für eine neue Verfolgungswelle von Kriegsgegnern werden. Das gilt vor allem für deren Brandmarkung als Verräter an der russischen Nation an den Kriegsgegner.
Einen anderen Verdacht zur Urheberschaft äußerte nämlich bereitsgegenüber der Nachrichtenagentur Interfax das Nationale Russische Antiterrorkommitee. Sie hält den Anschlag für ein Zusammenwirken des Ukrainischen Geheimdienstes mit dem in Russland verbotenen Antikorruptionsfonds des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny. Trepowa habe zu deren Unterstützern gehört. Die Ukrainische Regierung dementierte bereits jede Beteiligung am Attentat.
Der Anschlagsort in Sankt Petersburg hat auch deutsche Referenten. So trat im letzten September - ebenfalls auf Einladung der "Cyber Z Front" der vor Ort lebende Blogger Thomas Röper dort auf, der in deutschen Pro-Putinkreisen vor allem durch seine deutschsprachigen Zusammenfassungen von regierungsnahen russischen Medien bekannt ist. Er durfte dort seine Thesen zu einem angeblichen "Biowaffenprogramm der USA in der Ukraine" vortragen, das ein beliebtes Thema in russischen Staatsmedien ist.