Rafael Correa zum virtuellen Sieger erklärt
Präsidentschaftswahl leitet Linkswende in Ecuador ein, der rechtskonservative Kandidat Alvaro Noboa spricht von Wahlbetrug und sieht sich als eigentlichen Sieger
Nur wenige Minuten nach der Schließung der Wahllokale am vergangenen Sonntag erklärten Medien und Umfrageinstitute den Linkskandidat Rafael Correa bereits zum virtuellen Sieger der Präsidentschaftswahlen in Ecuador. Damit vollzieht ein weiteres lateinamerikanisches Land eine Linkswende. Der rechtskonservative Bananen-Multi Alvaro Noboa, der zum dritten Mal in Folge die Präsidentschaft in der Stichwahl verpasste, sieht sich dennoch als Sieger und sprach von Wahlbetrug. Nach den offiziellen Zahlen der bereits ausgezählten Stimmen von 50% der Wählerschaft liegt Correa mit über 68 Prozent weit vorne.
Kaum waren die letzten Wahlzettel in den Urnen verschwunden, erklärten mehrere Medienkanäle und Umfrageinstitute den Linkskandidaten Rafael Correa zum Wahlsieger bei den Präsidentschaftswahlen in Ecuador. Nachdem die Wahlbehörde wenige Tage zuvor ankündigte, dass ein offizielles Ergebnis erst 48 Stunden nach der Wahl zu erwarten sei, führten diese Umfragen in den Wahllokalen durch und bezogen Schnellauszählungen der Stimmzettel ein. Die verschiedenen Ergebnisse wiesen für Correa einen bequemen Vorsprung von rund zehn Prozent gegenüber seinen Kontrahenten Alvaro Noboa aus, der noch Mitte Oktober bei der ersten Abstimmungsrunde als Sieger hervorging (Ecuador auf dem Weg zur Bananenrepublik?).
“Nur ein massiver Wahlbetrug kann diesen Unterschied tilgen”, erklärte Correa freudestrahlend kurz nach Bekanntgabe der ersten inoffiziellen Ergebnisse gegenüber seinen Anhängern in der Hauptstadt Quito. Am 15. Januar 2007 werde nicht er die Präsidentschaft übernehmen, sondern das ecuadorianische Volk, welches er einlud, sich dem Wechsel im Land anzuschliessen. “Die langen und traurigen zwanzig Jahre neoliberaler Nacht, die uns so viel Schaden beschehrt haben, sind zu Ende”, erklärte der Wirtschaftsexperte Correa.
Der Linkspolitiker kündigte an, dass eine Neuverhandlung der Staatsschulden an erster Stelle stehe. “Das Leben hat Vorrang vor den Schulden”, so Correa. Ecuador steht seit Jahren mit fast 14 Milliarden US-Dollar bei internationalen Gläubigern in der Kreide, was zusammen mit einer Hyperinflation und einer tiefen Wirtschaftskrise Anfang 2000 zur Einführung des US-Dollars als offizielle Staatswährung geführt hatte. Zwar gilt Correa als scharfer Kritiker der Initiative, doch die Dollarisierung solle unter seinem Mandat nicht angerührt werden, da “ein Fehler nicht mit einem Weiteren wettgemacht werden kann.”
Linker Missionar
Der politischen Unerfahrenheit des 43-jährigen Rafael Correas dürfte es größtenteils zu verdanken sein, dass dieser am letzten Sonntag von seinen Landsleuten zum neuen Präsidenten Ecuadors gewählt wurde. Gelten alteingesessene Parteipolitiker in der Bevölkerung als korrupt, hofft das Land nun unter dem jungen Correa ab Januar 2007 auf tief greifende Reformen. Der am 6. April 1963 in einer Mittelschichtsfamilie geborene Correa wuchs in der Metropole Guayaquil auf, in der er ein Wirtschaftsstudium ablegte. Diesem folgten weitere Studien in den USA und in Belgien, die ihn zu einem anerkannten Wirtschaftsexperten im Land werden ließen. Doch statt in der Privatwirtschaft tätig zu werden, leistete Correa eng verbunden mit der sozialen Doktrin der katholischen Kirche zunächst Hilfe als freiwilliger Missionar in einer indigenen Gemeinde. Dies erlaubte ihm, neben Spanisch, Englisch und Französisch die Quechua-Sprache der Indigenas Ecuadors, die 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zu erlernen. Seine religiöse Motivation mischt Correa nun mit seinem sozialen Anspruch. Correa versichert, links zu sein, “aber nicht eine marxistische, sondern eine christliche Linke” zu vertreten.
Hatte Correa die letzten Jahre als Universitäts-Professor gelehrt, wurde dieser nach der Abberufung von Präsident Lucio Gutierrez im April 2005 überraschend als Wirtschaftsminister ins neue Kabinett unter Präsident Alfredo Palacio berufen. Correa attackierte umgehend die Bedingungen der Schuldenzahlungen gegenüber den Gläubigern, welche die Armut des tief verschuldeten Landes verschärften. Zudem kritisierte er die internationale Kreditpolitik für sein Land und baute wirtschaftliche sowie politische Beziehungen zur venezolanischen Linksregierung unter Hugo Chavez auf. Die Befürchtung internationaler Finanzmärkte vor wirtschaftlicher Instabilität führte schließlich dazu, dass Correa nach nur 106 Tagen von Palacio aus dem Amt entlassen wurde.
Doch statt sich in die Universität zurückzuziehen, gründete Correa mit Bürgerbewegungen, die maßgeblich am Sturz von Gutierrez beteiligt waren, die politische Plattform Alianza Pais, die ihn als Präsidentschafts-Kandidaten aufstellte. Zwar hat diese keine Abgeordneten im neu gewählten Kongress, was Correa das Regieren erschweren wird. Doch auf das Parlament setzt Correa von vornherein nicht. “Ein Tsunami wird die Parteien-Oligarchie wegschwemmen”, versprach Correa vor den Wahlen.
Neben wirtschaftlichen Reformen, die den Staat besonders im lukrativen Erdölsektor stärker verankern und dessen Gewinne zur Bekämpfung der verbreiteten Armut eingesetzt werden sollen, will Correa per Volksentscheid eine Verfassungsgebende Versammlung einberufen. Damit sollen die traditionellen Parteien entmachtet werden, die seit Jahrzehnten das Land in den Ruin getrieben hätten. Laut Verfassung kann allerdings weder der Präsident noch ein Volksentscheid eine Verfassungsgebende Versammlung erzwingen, sondern nur das Parlament, was zu einer ersten Machtprobe zwischen Correa und dem im Oktober frisch gewählten Ein-Kammer-Kongress führen dürfte. Dort stellt die rechtskonservative Partei der Institutionellen Erneuerung (PRIAN) von Correas Kontrahenten Alvaro Noboa mit rund einem Viertel aller Sitze zukünftig die stärkste Fraktion.
“Bananen-König” sieht sich als Sieger
Ecuadors reichster Mann Alvaro Noboa, der trotz Millionenaufwendungen im Wahlkampf und einer Schmutzkampagne gegen Correa offenbar zum dritten Mal in Folge bei den Präsidentschaftswahlen gescheitert ist, lehnte seine Niederlage ab und sprach von Anzeichen für einen Wahlbetrug. In den letzten Tagen sei laut Noboa nichts Entscheidendes passiert, was Correa erlaubt hätte, 15 Punkte in der Wählergunst aufzusteigen. “Innerlich weiß ich, dass ich gewonnen habe”, tröstete sich Noboa, der die Oberste Wahlbehörde aufforderte, Stimme um Stimme neu auszuzählen.
Sahen Umfragen in den letzten Wochen Noboa als klaren Favoriten für die Stichwahl um die Präsidentschaft, konnte Correa in den letzten Tagen seinen fast hoffnungslos erscheinenden Rückstand zu dem Multimillionär wettmachen. Correa unterließ es zunehmend, radikale Forderungen in den Vordergrund zu stellen, um die gemäßigten Wählerschichten für sich zu gewinnen. Noch im September hatte er erklärt, einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts im Stile des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez einführen zu wollen, bei dem besonders die Tätigkeiten internationaler Firmen und Finanzspekulationen auf dem Prüfstand kommen sollten. Am Schluss hielt er sich hier zurück und konzentrierte sich auf innenpolitische Themen wie Wohnungsbau sowie Agrar- und Energieprogramme, was in den Umfragen Erfolg zeitigte.
Unterdessen tappte Noboa, dem von seinen Kritikern vorgeworfen wird, das Land in eine große private Bananenplantage verwandeln zu wollen, von einem Skandal in den nächsten. In der Provinz Manabí etwa wurden auf einer Müllkippe knapp 50 Säcke voller Anträge für ein Wohnungsbauprogramm gefunden, die aus den Wahlveranstaltungen von Noboa stammten. Dieser versprach den Bau von jährlich 300.000 Wohnungen und Häusern, ohne allerdings erklärt zu haben, woher das Geld dafür kommen soll. Um Wählerstimmen zu gewinnen, ließ Noboa von den Interessierten die Anträge mit dem Versprechen ausfüllen, bei einem Wahlsieg diese umzusetzen. Tausende landeten nun auf der Halde, was das tatsächliche soziale Interesse des Rechtskandidaten offenbarte. Mehrfach wurde Noboa von Menschenrechtsorganisationen vorgeworfen, auf seinen Plantagen illegale Kinderarbeit zuzulassen.
Statt die Zweifel an seiner Person beiseite zu räumen, ließ Noboa eine Schmutzkampagne gegen Correa führen. Gefälschte Telefongespräche zwischen Correa und Hugo Chávez sollten den Linkskandidaten als Zögling des kontroversen venezolanischen Präsidenten entlarven. Laut dem Wahlkampfbüro Noboas habe Correa seine Kampagnengelder aus dem Wirtschaftsministerium geklaut.. “Man hat mich als Kommunist, Terrorist, Chavist und Anti-Amerikaner betitelt, was ich aber am wenigsten bin, ist ein Dieb”, verteidigte sich Correa. Statt einen Stimmzettel verpassten die Wähler Noboa offenbar einen Denkzettel. Laut Analysten schreckte viele Wähler die Idee ab, dass der wirtschaftlich einflussreichste Mann des Landes auch die politischen Geschicke übernehmen würde und somit immense Macht anhäufen könnte.
Hatte kürzlich das US-Finanzblatt Wall Street Journal vorausgesagt, dass linkspopulistische Phänomene in Lateinamerika kaum noch Chancen hätten, an die Macht zu kommen, hat der Newcomer Correa mit seinem Wahlsieg die Beobachter eines Besseren belehrt. Nach den Wahlsiegen von pro-marktwirtschaftlich ausgerichteten Kandidaten in Peru und Costa Rica würden die Menschen wieder wirtschaftliche Stabilität statt radikaler politischer Wechsel bevorzugen, prognostizierte das Blatt. Doch unter Correa ist nun zu erwarten, dass sich das Land in die linkspolitische Strömung um Venezuela und Bolivien einreiht. Correa unterstrich mehrfach die politische Nähe zum venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez und die Abgrenzung zu Washington. Bisher erfolglose Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit den USA erklärte Correa am Sonntag für gänzlich beendet, zudem will er den Nutzungsvertrag für die US-Militärbasis in Manta, der 2009 ausläuft, nicht verlängern. Allerdings ist längst nicht garantiert, dass er so weit kommt: In den letzten zehn Jahren wurden drei Präsidenten Ecuadors vorzeitig aus dem Amt gejagt, nachdem sie die Einlösung ihrer Versprechen schuldig blieben.