Rainer heißt jetzt Twix

In den USA nennen immer mehr Eltern ihre Kinder nach Markenprodukten

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Als der Geschäftsmann Emil Jellinek im April 1900 mit der Daimler-Motorengesellschaft (DMG) einen Vertrag über Lieferung und Vertrieb von 36 Fahrzeugen aushandelte, bestand er darauf, die Autos unter einer separaten Marke anzubieten und wählte dafür kurzerhand den Vornamen seiner Tochter: Mercedes. Gut hundert Jahre später vollzieht sich die Namensübertragung immer häufiger in umgekehrter Richtung und markenbewusste Eltern nennen ihre Sprösslinge nach Autos, Spirituosen, Turnschuhen oder Kameras.

1969 beschrieb Johnny Cash in seinem Song "A boy named Sue" die Leiden eines jungen Mannes mit einem - zumindest für XY-Chromosomenträger - ungewöhnlichen Vornamen. Im Jahre 2003 hätte er sein Liedchen vielleicht "A boy named Smirnov" genannt - und wäre damit nur knapp an der Realität vorbeigeschrappt.

Der an der Bellevue-Universität in Nebraske lehrende Psychologie-Professor Cleveland Evans beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Namensmoden und anderen Phänomenen rund um die Benennung Neugeborener. Bei einer Analyse von US-Sozialversicherungsunterlagen aus dem Jahre 2000 stieß er auf das bemerkenswerte Kuriosum der Markenkinder. Nicht weniger als 55 Jungen bekamen in diesem Jahr mit Chevy eine Produktmarke von General Motors in die Geburtsurkunde geschrieben, die fernöstliche Konkurrenz von Nissan durfte sich immerhin noch über 22 Mädchen namens Infiniti freuen und obwohl bei Toyota bekanntlich nichts unmöglich ist, musste sich der drittgrößte Autohersteller der Welt bei lediglich fünf Mädels, welche künftig auf den Namen Celica hören werden, mit Platz drei der US-Autokinder-Charts zufrieden geben.

Auch der hübsche Name Skyy zeugt keineswegs von einer New-Age-Begeisterung der Eltern, sondern outet diese vielmehr als Freunde des klaren Hochprozentigen. Immerhin 29 Kartoffelschnapssprösslinge tummeln sich derzeit in God's own Country, darunter übrigens lediglich sechs Jungen.

Überhaupt scheinen Mädchen - zumindest in den Augen ihrer Erzeuger - besonders gut geeignet zu sein, um dafür zu sorgen, dass Schulklassensitzpläne sich bald wie Einkaufszettel lesen: Mit 298 Taufscheinen auf den Namen Armani und 164 Nauticas dürften diese Mädchennamen schon fast keine Exoten mehr sein, während glücklicherweise lediglich 21 L'Oreals einem Leben voller Friseusenwitze entgegensehen.

Beim Vornamen des kleinen Espn ist übrigens nicht etwa ein Vokal verloren gegangen, nein, der Texanerjunge wurde schlicht nach einem TV-Kabelkanal benannt.

Vor diesen Hintergründen erhält auf einmal auch eine der Schlüsselszenen aus Zurück in die Zukunft ("Du heißt doch Calvin Klein, das steht zumindest auf Deinen Unterhosen") eine völlig neue Bedeutung und selbst Heinz Erhards Dada-Schlager "Fährt der kleine Lord fort, fährt er mit dem Ford fort" darf von nun an wohl auch ungestraft als homoerotisch eingefärbt interpretiert werden.

Borussia ja, aber mit Omo, Agfa oder McDonald müssen Eltern in Deutschland noch warten

Wer nun glaubt, dieses Thema mit einem Kopfschütteln über die allseits bekannten, nun ja, Schrulligkeiten US-amerikanischer Bürger abtun zu können, dem sei ein Blick auf die Liste der Rufnamen empfohlen, welche deutsche Eltern ihren Sprösslingen bisher erfolgreich aufgedrückt haben: Ein Winnetou findet sich dort ebenso wie eine Windsbraut und eine Borussia. Momo, Rapunzel und Pumuckl mögen als Indiz dafür herhalten, dass die Kindheit der Eltern selbst noch nicht allzu lange zurück liegt - und siehe da: Mit Pepsi-Carola hat es doch tatsächlich auch hierzulande schon eine braune Brause auf die standesamtlichen Formulare geschafft - wenn auch nur als Teil eines Doppelvornamens.

Beantragt, aber abgelehnt wurden zwischen Flensburg und Passau hingegen so hübsche Rufnamen wie Omo, Agfa, McDonald, Sputnik und nicht zuletzt Bierstübl.

Das Namensrecht in Deutschland verbietet ausdrücklich anstößige Namen und schreibt zwingend vor, dass das Geschlecht des Kindes eindeutig zu identifizieren ist. Wäre somit AOL als Mädchenname unzulässig, AOL-Arena hingegen problemlos möglich? Klares Nein. Oder besser: Jein, oder noch besser: vielleicht demnächst. Denn Namen, die an irgendeinem Ort der Welt als Vornamen gebraucht werden, dürfen auch in Deutschland als solche eingetragen werden.

Somit steht auch in unserem schönen Lande dem zur Marke passenden Kind demnächst nichts mehr im Wege: Freunde der Konsumgüterbezeichnungen müssen lediglich warten, bis irgendjemand irgendwo auf diesem Planeten seinen Nachwuchs Gillette (wohl eher ein Mädchenname) oder Wilkinson (eindeutig ein Junge) getauft hat und schon gerät der bisher so unwillige Standesbeamte in der Defensive.

Viele neue Themen für Elternratgeber und Talkshows werden da auf uns zukommen: Wie kann ich mein Kind zur Bescheidenheit erziehen, wenn es "nimm 2" heißt? Darf mein Sohn auch dann nicht mit den Schmuddelkindern spielen, wenn sie Lenor und Persil gerufen werden? Kann auch ein Holländer seinen Sohn Deutschländer nennen?

Vielleicht sind an all dem Schlamassel ja die Fußballer schuld? Schließlich lässt sich der Real-Madrid-Kicker und Spice-Boy David Beckham seit Jahr und Tag widerspruchslos Becks rufen und schon Willi Lippens teilte sich seinen Kosenamen mit einem Auto: Ente.

Wie auch immer. Darüber werde ich mich gleich ausführlich in der Kneipe unterhalten, wenn ich mit Jägermeister einen Bacardi trinke - oder andersherum.