Rakete gegen Wagenknecht

Bild (2019): Paul Lovis Wagner / Sea-Watch.org / CC BY-SA 4.0

Der woke Sargnagel: Carola Rackete ist eine integre Frau. Aber was hat sie als Spitzenkandidatin in der Linkspartei zu suchen? Kommentar.

Wer an Verschwörungstheorien glaubt, der könnte vermuten, dass Linken-Chefin Janine Wissler eigentlich ein U-Boot der Grünen ist oder gleich des Verfassungsschutzes, um die Partei endgültig auf dem politischen Meeresgrund zu versenken.

Zusätzlich zum Streit um den Kurs der Linken und um den Umgang mit Sahra Wagenknecht sorgt seit knapp zwei Wochen die handstreichartige Nominierung der Berufsaktivistin Carola Rackete zur Kandidatin um einen Spitzenlistenplatz der Partei im kommenden Europawahlkampf für Unruhe.

Dies geschah durch die Parteivorsitzenden an der ja sowieso zerstrittenen und um ihren Kurs ringenden Partei der Linken vorbei.

Ein Interview im Deutschlandfunk am gestrigen Freitag, den 18. August, gab der Kritik an der Nominierung Racketes neue Nahrung.

Racketes Themen sind nicht Themen der Linken

Rackete antwortete auf die Fragen des Moderatoren und präsentierte sich in dem Gespräch der Hörerschaft freundlich, sachlich, offen und intelligent. Zugleich aber auch weit entfernt von Programm und politischem Standort der Linkspartei.

"Wie schaffen wir es, gesellschaftlich die Klimakrise irgendwo noch abzumildern. Diese Dringlichkeit muss immer ganz vorne stehen" – das war die Kernaussage der Frau, die ansonsten vor allem als Aktivistin für Flüchtlinge und Mitglied der radikalen Öko-Bewegung "Extinction Rebellion" bekannt ist, die sich für Klima- und Energiefragen engagiert und darüber hinaus für Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt.

Bei ihrer Vorstellung als Spitzenkandidatin der Linken bei der Europawahl erklärte sie, sich für eine gesunde Umwelt und ein "stabiles Erdklima" einzusetzen. Und für Menschenrechte. Womit sie meint: "das Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt, lebensfähige Ökosysteme und ein stabiles Erdklima".

Tatsächlich wurde schnell klar: Racketes Lieblings-Themen sind nicht die Kernthemen der Linken. Ihre Position ist nicht die weiter Teile der Partei und schon gar nicht markieren sie ein Alleinstellungsmerkmal in der einförmigen politischen Landschaft der Bundesrepublik.

Kein Wort über Arbeiter und Unterprivilegierte, kein Wort über Ostdeutschland.

Auf die Frage nach der Stammwählerschaft der Linkspartei antwortete Rackete nur mit halbgaren Forderungen an die Klimaaktivisten:

Die Klimagerechtigkeitsbewegung muss auf jeden Fall stärker beweisen, dass sie zusammen zum Beispiel mit den Gewerkschaften arbeitet – das tut sie ja auch schon an vielen Stellen, zum Beispiel in diesem Bündnis "wir fahren zusammen", wo es um die ÖPNV-Beschäftigten geht, die zusammen mit Fridays for future und anderen klimabewegten Aktionen organisieren.

Carola Rackete

Lastenfahrräder statt Autos?

Sie nennt ein "cooles" Beispiel aus Italien, wo angeblich Arbeiter eines Zuliefererbetriebs für Autos ihr Werk besetzt haben und statt Autos Lastenfahrräder bauen wollen.

Um die Klimakrise käme man nicht herum. Man müsse "die Lösung durch ein Verändern der Machtverhältnisse herbeiführen", gegen die Konzerne vorgehen und "Lobby-Einfluss abbauen" – als ob die Klimalobby keine Lobby wäre.

Auf die Frage, ob es nicht naheliegender gewesen sei, zu den Grünen zu gehen, antwortete Rackete, es gebe für sie vor allem "einen entscheidenden Unterschied": Die Grünen trieben sehr stark eine "grüne Wachstumslogik" voran. Das sei keine Lösung auf einem endlichen Planeten mit endlichen Ressourcen.

Statt Wachstum müsse man die Güter weltweit "gerecht verteilen", und "wirtschaftlich umstrukturieren". Man könne nicht "nur darauf hinarbeiten, dass die Wirtschaft jetzt plötzlich grün wird, aber immer weiter wächst. Das ist einfach nicht möglich".

Zweifel am Engagement in Parteien

Etwas paradox scheint Racketes Eintreten gegen Einflussnahme durch Lobbyisten, wo doch die Klimaprotestbewegung exakt das ist: Eine Interessengruppe, die an den demokratischen Institutionen vorbei durch ihre Aktionen Einfluss nehmen will.

Zu einer Gratwanderung zwischen den Empfindlichkeiten wurde auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Klimabewegung und parlamentarischer Demokratie. Allzu oft hatten Fridays for Future und Letzte Generation schon deutlich gemacht, dass sie sich als von ihrer globalen Sendung erfüllte wissende und privilegierte Minderheit nicht um demokratische Mehrheiten scheren.

Ich möchte aber gleich sagen, dass ich es fundamental wichtig finde, dass die Bewegungen auf der Straße stehen, und dass wir auf keinen Fall glauben dürfen, als Menschen der Zivilgesellschaft, dass wir mit einem Engagement bei Parteien die Klimakrise auflösen könnten. Das ist natürlich nicht möglich.

Wir brauchen eine Partei in den Institutionen, die das Thema ernst nimmt, aber genauso müssen wir auch zivilgesellschaftlich weiterarbeiten.

Ich glaube, die Klimagerechtigkeitsbewegung als solche kann sich auch nicht erlauben, vollkommen zu negieren, dass wir nun mal in einem parlamentarischen System leben. Gleichzeitig finde ich es richtig und wichtig, dass es diese Protestaktionen gibt.

Carola Rackete

Was hat Rackete in der Linkspartei zu suchen?

Zur Partei der Linken richtig bekennen möchte sich die Neupolitikerin, die ihre Wirtspartei "umbauen" will, ohne ihr beizutreten, bislang nicht:

Ich bin ja parteilos und ich wurde auch als Parteilose explizit angefragt. Ich möchte damit verbunden werden, wofür die Partei in der Zukunft steht.

Carola Rackete

Ähnlich wie Friedrich Merz und Markus Söder sagt die Führung der Linkspartei mit der Wahl für Rackete: Unser Hauptgegner sind die Grünen.

"Wählerschreck" und "ein Geschenk an die AfD"

Denn die Nominierung einer Flüchtlings- und Klimaaktivistin lässt sich vor allem dadurch erklären, dass man all jene Wähler, die von den Kompromissen der Grünen in der Ampel-Regierung enttäuscht sind, für sich gewinnen will.

Entsprechend reserviert reagieren weite Teile der Parteibasis und langjährige Abgeordnete auf die parteilose Kandidatin. Alexander Ulrich, der parlamentarische Geschäftsführer der Linkspartei, nennt Rackete einen "Wählerschreck" und "ein Geschenk an die AfD". Mit dieser Spitzenkandidatur würden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen verprellt, auch die traditionelle Basis der Linken verschreckt und vor den Kopf gestoßen.

Mit radikaler Klimapolitik und dem Ruf nach offenen Grenzen bei gleichzeitiger Vernachlässigung von sozialen Fragen gewinne man nichts, sondern verliere weiter, "wir können nicht alle Menschen aufnehmen, die zu uns kommen wollen".

Die Idee dieser Nominierung zeige wieder einmal, dass die Linke "trotz jahrelanger Wahlniederlagen nicht verstehen will, warum wir bei vielen Arbeitnehmern, sozial Benachteiligten oder Friedensbewegten kaum noch wählbar sind", so Ulrich.

Der ehemalige Parteivorsitzende Klaus Ernst bezeichnete die Parteiführung als "politikunfähige Clowns" und das Rackete-Unterfangen sogar als "politische Geisterfahrt". Er fügte hinzu:

Statt sich um die Interessen der einfachen Menschen zu kümmern, stellen wir Themen in den Vordergrund, die mit deren Lebenswirklichkeit kaum etwas zu tun haben.

Klaus Ernst

Seine Partei solle besser den Versuch aufgeben, "grüner sein zu wollen als die Grünen".

Auch Sevim Dagdelen erhob erneut schwere Vorwürfe gegen die Parteiführung. Sie mache Politik "für eine schrumpfende Gruppe von Sektenanhängern", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Ausgegrenzt würden alle, "die sich für eine Politik für die Mehrheit der Bevölkerung einsetzen".

Es scheint eindeutig: Die aus dem Anti-Wagenknecht-Lager stammende Parteiführung hat die Spitzenkandidatin Rackete vor allem auch durchgedrückt, um eine endgültige Entscheidung im Machtkampf gegen Wagenknecht herbeizuführen.

Nun könnte sie sich aber als woker Sargnagel für die Partei erweisen.

Die Existenzkrise wird noch schärfer.