Rassismus: Als es noch um "faule Trunkenbolde" aus den "Armenhäusern Europas" ging
Ist Rassismus etwas Normales, an das wir uns besser gewöhnen sollten? Der Nutzer Spechtschaden behauptete genau das als Antwort auf meinen Telepolis-Artikel "Warum die AfD nicht das Copyright auf rassistische Inhalte hat".
In dem Artikel bezog ich mich auf eine Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte und schrieb, dass heute selten offen biologischer Rassismus propagiert werde. Stattdessen würden Menschen einer bestimmten Herkunftsregion pauschal bestimmte Eigenschaften und Weltbilder zugeschrieben, um sie abzuwerten und ihnen fundamentale Rechte vorzuenthalten.
Heute trifft dies vor allem Menschen aus islamisch geprägten Ländern, die individuell aber gar nicht zwangsläufig religiös sind oder auch als Muslime nicht dem Klischee entsprechen müssen, um mit Rassismus konfrontiert zu werden. Menschen, deren Geburtsurkunde im Nahen oder Mittleren Osten ausgestellt wurde oder deren Eltern von dort stammen, werden hierzulande oft ungefragt als Muslime "gelesen". Manche fühlen sich dadurch von außen "islamisiert". Hinzu kommt im Extremfall die Unterstellung eines besonders radikalen Islam. Das war gemeint.
Der User ghostlink monierte im Forum, die "Rassismuskeule" werde heute "indifferent gegen alles geschwungen, was nicht dem Mainstream folgt".
Schwammig und beliebig
Das ist natürlich kein Argument gegen das geschilderte Verständnis von Rassismus. Aber es lohnt sich dennoch auf die Aussage einzugehen. Denn auch bei richtigem Gebrauch träfe die Keule auf einen Gegenstand, der schwammig und beliebig ist wie kaum ein anderer. Dem früheren Sozialdemokraten Karl Kautsky gebührt die Ehre, dies in aller Ausführlichkeit gezeigt zu haben. Im Oktober 1914 veröffentlichte er seine Schrift "Rasse und Judentum".
Mit beißendem Spott übergießt Kautsky die "Rassentheoretiker" seiner Zeit, die emsig darum bemüht sind, die Weltpolitik aus der Rassenzugehörigkeit zu erklären. So behaupteten die Deutschen, die englische Politik sei dem Rassencharakter der Treulosigkeit zuzuschreiben, während Treue zu den "unverlöschlichsten Kennzeichen der germanischen Rasse" gehöre. In den Jahren vor dem Krieg hatte man den Rassenkampf gegen die Slawen gepredigt, mit dem Krieg versuchte man dann, die Waffenbruderschaft mit ihnen rassisch zu erklären: Kurzerhand erfand man die Rasse der "lateinischen Slawen" und machte damit den katholischen Glauben zum Rassemerkmal.
Ein absurderes Wortgeklingel ohne jeden tatsächlichen Hintergrund als derartige Rassenphantasien ist kaum denkbar, es tritt jedoch mit dem Anspruch größter Wissenschaftlichkeit auf und imponiert, um so mehr, je weniger die meisten versucht haben, den Begriff der Rasse wissenschaftlich genau festzustellen.
Karl Kautsky / "Rasse und Judentum"
Der User Mathematiker mag es nicht glauben, dass der Rassismus in den USA nicht nur die afrikanischen Sklaven wegen ihrer Hautfarbe traf, sondern auch Europäer, weil sie als nicht weiß galten. Er schreibt: "Die Deutschen stellen dort, nach den Briten mit Iren, die größte Herkunftsgruppe der weißen Amerikaner und wenn man nur die Briten rechnet, sogar die größte."
An der rassistischen Unterdrückung ändert das aber nichts. Thomas Jefferson, dritter Präsident der USA, glaubte, dass nur protestantische Angelsachsen, also Engländer, zur "weißen nordischen Herrenrasse" gehörten, die Amerika regieren sollten. Deutschen wurde damals von anglophilen Amerikanern unterstellt, sie seien keine richtigen Teutonen, sondern hätten "keltisches Blut". Kelten galten als dunkle, kleinwüchsige, minderwertige Menschen, anders als die großen, blonden, blauäugigen Angelsachsen.
Vor allem aber die irischen Einwanderer hatten unter diesem Stigma zu leiden. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein waren sie "rassischer" Diskriminierung bis hin zu Pogromen ausgesetzt. Die US-amerikanische Historikerin Nell Irvin Painter hat dies ausführlich in ihrem Buch "The history of white people" beschrieben. Auch die Iren galten als Kelten, und sie wurden in den Zeitungen beschimpft als faule Trunkenbolde, "Gewürm", "Ungeziefer", "Kriminelle aus den Armenhäusern Europas".
Man bezeichnete sie als "weiße Schimpansen" und karikierte sie in den Zeitungen. Von dem Pastor Henry Ward Beecher, dem Vater der Schriftstellerin Harriet Beecher Stowe, ist überliefert, dass er in Predigten gegen Iren hetzte. Die Folge war, dass ein aufgebrachter Mob anschließend eine Klosterschule und mehrere katholische Kirchen niederbrannte. Nicht zu vergessen die Unruhen in Philadelphia im Jahre 1844 oder die Unruhen in Louisville nach den Wahlen von 1855: In beiden Fällen wurden arme, katholische Iren von aufgebrachten Protestanten massakriert.
User die-Harke verweist auf einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). In diesem werden zwei interessante Aussagen getroffen: Überall, wo es Sklaverei gab, fand man auch Rassismus. Und die zweite Aussage: Der Hautfarbenrassismus sei eine Innovation aus dem arabischen Kulturkreis. Allerdings galt "dunkel" auch im frühen Europa auch als typische Hautfarbe von Sklaven, schreibt Painter. Auch in der angelsächsischen und nordischen Literatur werden Waliser und Kelten mit dunkler Haut beschrieben.
Painter schreibt: "Im altnordischen isländischen Gedicht Rigsthula erscheinen Sklaven als schmutzige, sonnengebräunte Menschen mit hässlichen, streitsüchtigen, faulen, klatschenden und schmierigen Kindern". An anderer Stelle betont Painter, dass "dunkel" oder "schwarz" vor allem für die Sklaven gebraucht wurde, die schwere Arbeit leisten mussten. Dagegen wurden Sexsklaven meist glamouröser geschildert.
Das soll natürlich nicht bedeuten, in der arabischen Welt hätte es keinen Rassismus gegeben. Ganz im Gegenteil: Der us-amerikanische Historiker David Brion Davis schildert dies sehr ausführlich in seinem Buch "The Problem of Slavery in the Age of Emancipation". Gleichzeitig habe sich aber in der arabischen Welt eine Literatur herausgebildet, welche die Menschlichkeit und Gleichheit der Schwarzen betonte, so Davis.