Rasterfahndung im Internet - Der permanente Blick in die Glaskugel
Seite 2: Fusion von "Close Source Intelligence" und "Open Source Intelligence"
- Rasterfahndung im Internet - Der permanente Blick in die Glaskugel
- Fusion von "Close Source Intelligence" und "Open Source Intelligence"
- Auf einer Seite lesen
Bayerisches Landeskriminalamt gehört zu potentiellen "Endnutzern"
PROACTIVE wird angeführt vom italienischen Konzern Vitrociset, der auf zivile und militärische Überwachungs- und Transportsysteme spezialisiert ist. Ebenfalls an Bord ist die polnische University of Science and Technology mit Sitz in Krakau, deren Forscher bereits an INDECT geforscht hatten (Nasenhaare in Großformat). Unter den Beteiligten findet sich aber auch die Universität der Bundeswehr in München. Die kurze Beschreibung über die Mitarbeit der deutschen Militärforscher lässt darauf schließen, dass die in PROACTIVE entwickelte Plattform auch Drohnen einbinden könnte – oder aber deren autonome Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu treffen. Zuständig ist das Institut für Flugsysteme, dessen Arbeiten zur künstlichen Intelligenz unbemannter Luftfahrzeuge durch PROACTIVE gelobt werden. Diese seien geeignet, eine Situation schnell einzuschätzen und Entscheidungshilfen zu geben.
Meist liegen die Kosten der Forschungsprogramme im Sicherheitsbereich zwischen fünf und 15 Millionen Euro, von denen die EU-Kommission dann rund zwei Drittel übernimmt. PROACTIVE wird mit 3,3 Millionen gefördert. Bis Ende April nächsten Jahres sollen Ergebnisse vorliegen, dann kommen die "Endnutzer" zum Zuge. Hinter dem Begriff stecken meist Polizeibehörden, die sich für die Technik interessieren.
Für die Anwendung von PROACTIVE interessieren sich Polizeibehörden und Geheimdienste aus Finnland, Zypern, Ungarn, Rumänien und Polen, aber auch das in Italien ansässige Crime and Justice Research Institute (UNICRI). Das UNICRI ist bei den Vereinten Nationen angesiedelt und beschäftigt sich insbesondere mit Forschungen zur Beherrschbarkeit polizeilicher Großlagen (EU will "Koordinator" für Gipfelproteste und grenzüberschreitende Sportereignisse einrichten). Auch das Bayerische Landeskriminalamt hat mindestens zweimal an Workshops von "Endnutzern" teilgenommen.
Fusion von "Close Source Intelligence" und "Open Source Intelligence"
PROACTIVE soll also den städtischen Raum nach "terroristischen Angriffen" scannen. Damit auch die "organisierte Kriminalität" von der zunehmend automatisierten Überwachung aufs Korn genommen werden kann, finanziert die EU-Kommission das Programm CAPER. CAPER ist teurer als PROACTIVE, die Gesamtkosten belaufen sich auf über sieben Millionen Euro.
Wieder steht das Kürzel für einen erschlagenden Titel, der sich in etwa als "Gemeinschaftliche Information, Beschaffung, Verarbeitung, Verwertung und Meldung zur Vorbeugung organisierter Kriminalität" übersetzen lässt. Das System soll die von Kriminellen genutzte Informationstechnologie ausforschen und auswerten. Hierzu gehört insbesondere die "Open Source Intelligence" des Internet, das mit Verkaufsplattformen zum Tatort wird. Gemeint sind öffentlich zugängliche Daten von Webseiten und Sozialen Medien, die sich Behörden immer mehr zunutze machen.
Angeführt vom auf Sicherheitsanwendungen spezialisierten Softwarehaus S21sec macht auch das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD bei CAPER mit. Das Institut erklärt auch die Funktionsweise der Plattform: In weiteren Verarbeitungsschritten würden die gewonnenen Daten "semantisch analysiert und visuell so aufbereitet, dass Zusammenhänge oder besondere Ereignisse erkannt werden können".
CAPER will Informationen von Diensten wie Twitter aber mit sogenannter "Close Source Intelligence" verbinden. Hinter dem Begriff verbergen sich Informationen, die in Polizeidatenbanken lagern. Diese polizeilichen Daten könnten dann mit Analysesystemen verknüpft werden, die Bilder, Videos, verschiedene Sprachen und biometrische Daten verarbeiten. CAPER soll diese Rasterfahndung in verschiedenen Datenquellen derart vereinfachen, dass sie über ein simples Interface vorgenommen werden kann. Auf diese Weise wollen die Ermittler bislang unentdeckte Informationen finden. Das Projekt läuft noch bis Ende Juni.
Ein erster Prototyp war letztes Jahr als "Meilenstein" auf einer Sicherheitskonferenz vorgestellt worden. Dabei wurde eine Erweiterung des Teilnehmerkreises angekündigt. Schon seit Beginn waren die israelische Polizei und die berüchtigten Mossos d'Esquadra aus Barcelona als "Endnutzer" von CAPER registriert.
Als neue Beobachter sind nun das britische Innenministerium, der rumänische Geheimdienst und das deutsche BKA an Bord. Dies wäre also mindestens das zweite Vorhaben, in dem sich die Kriminalisten aus Wiesbaden mit dem Blick in die Glaskugel befassen (Universität Freiburg forscht mit IBM zur Vorhersage von Straftaten).