Raumschiff vom Sirius landet auf dem Flughafen Köln-Bonn
Über Diedrich Diederichsens (Hg.): Loving the Alien und seine Umgebung
Drum Herum
Man muss es sich einmal klar machen: "Cultural Studies" ist als Wort in aller Munde, sogar bis zu meinen Eltern nach Unterfranken hat es sich vorgestrampelt. In der Praxis, in der realen deutschen Welt der Buchstaben, findet es allerdings so gut wie gar nicht statt. Veröffentlichungen, in denen Popkultur und Theorie befreundet miteinander fachsimpeln, gibt es hier vielleicht drei im Jahr (und von denen sind mindestens zwei beim Berliner ID-Verlag erschienen und mindestens eine ist von Diedrich Diederichsen herausgegeben). Während sich in England beispielsweise mit Routledge ein akademisch orientierter Verlag über 'Cultural Studies' populärer Kultur nicht nur geöffnet hat, sondern sie auch ernst nimmt, schweigen die deutschen Äquivalente und bleiben in ihren hochkulturellen Verlagshäusern versteckt. Auch im deutschen Feuilleton grenzt man populäre Kultur reihenweise aus. Zwar finden dort Popmusik, Mode und natürlich vor allem Film mehr und mehr ihren Platz, die Behandlung, die sie dort erfahren, gleicht jedoch der eines Bastards: Außer Literatur, Theater oder Kunst ist es offensichtlich keiner Kulturform erlaubt, eine eigene Geschichte zu haben. Sowieso hat man mehr und mehr den Eindruck, daß sich im Feuilleton die letzte Bastion der Konservativen verschanzt, der politische Teil jeder Tageszeitung ist zumeist weitaus progressiver als das Feuilleton. In diesem Sinne ist es nur erfreulich, wenn in Deutschland mal wieder ein Buch herauskommt, das einen daran erinnert, wie es anders gemacht werden kann. Und natürlich ist es beim ID-Verlag erschienen und von Diedrich Diederichsen herausgegeben:"Loving the Alien. Science Fiction, Diaspora, Multikultur", der Reader zum gleichnamigen Kongress, der im Herbst letzten Jahres in der Berliner Volksbühne stattfand.
Innendrin: Space is the place
In "Loving the Alien" treffen Science Fiction (SF) und Black Identity Politics aufeinander. Die Verbindung zwischen Schwarzer Diaspora und Außerirdischem ist offensichtlich: Einerseits ist "alien" z.B. die offizielle Bezeichnung für Ausländer in der US-Amtssprache, andererseits findet sich eine lange schwarze Tradition von Black Science Fiction, welche in Predigten, sowie in vielen Teilen populärer Musik die Ausgrenzung aktiv umdeutet - etwa von "Space Alien" Sun Ra's Freejazz bis zur elektronischen Musik des imaginären Subkontinents Drexija. Es ist dabei eine der Stärken des Buches, daß die britischen, amerikanischen und deutschen Schreiber durcheinandermurmeln. Verschiedene Meinungen nebeneinander, die auf verschiedene Weise geschrieben sind - mal akademisch, aber auch literarisch. Es wird zeitlich durcheinandergeredet und aufeinander reagiert. Das erhöht zwar den Schwierigkeitslevel, sich in das Gemurmel einzufinden, versorgt einen aber gleichzeitig mit einer größtmöglichen Fülle an Information und Ansätzen.
Trotzdem: Zu den besten Aufsätzen gehören meines Erachtens die, die sich einer konkreten Version von Science Fiction widmen: etwa John F. Szweds Aufsatz über Sun Ras Utopismus, in dem von schwarzen Vorstellungen des "Space", von religiösen Kosmologien und der schwarzen Form von "Science" berichtet wird, (die im übrigen mit der weißen SF und ihrem kolonialen Entdeckergehabe nicht sehr viel zu tun hat, was, glaube ich, auch vielen der Autoren nicht so wirklich klar ist). Ein zweites Highlite ist natürlich der Aufsatz DER deutschen Fachleute für SF - Dietmar Dath und Barbara Kirchner - die brilliant unterhaltsam UND intelligent durch ihr Universum an Wissen jagen: Anekdoten (wie die CIA einst Fidel Castros Bart chemisch angreifen wollte) kombiniert mit Kennerschaft (Dietmar Dath bespricht nicht nur, sondern schreibt selbst Science Fiction) und den Tellerrand übergreifende Aufmerksamkeit gegenüber Extra-Terrestischer-Intelligenz (denn Barbara Kirchner kennt als kulturkritische Physikerin das Alien noch von einer ganz anderen Seite).
Problematisch wird der Reader dagegen genau an den Stellen, an denen einige der Autoren SF nicht als eigene Kultur ernst nehmen, sondern oberflächliche theoretische Andockmanöver starten. Problematisch deshalb, weil SF und das Alien keinen homogenen Diskurs bilden, den man einfach so herunterjagen könnte, sondern z.B. allein schon beim unfreundlichen, feindlichen Alien mit einer gigantischen Projektionsfläche von Ängsten spielt. Faux Pas, wenn man die Aliens der Hollywood-Produktionen (besonders beliebt: Ridley Scotts "Alien") mit den "Schwarzen" kurzschließt, wenn sie eindeutig wie Insektenparasiten aussehen und biologische Kampfmaschinen thematisieren, die nämlich nicht die andere Rasse pimmelartig infiltrieren und vermischen, sondern schlicht und einfach vernichten.
Eigenartig einsam bleibt auch die im ersten Aufsatz von Mark Dery gestellte Frage:
"Warum schreiben so wenige schwarze US-Amerikaner Science Fiction"?
Hier deutet sich an, daß das Kurzschließen zwischen Black Politics und SF vielleicht komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint und Schwarz sein und Science Fiction weniger ein und dasselbe ist, als gemeinhin vielleicht angenommen wird. Schlicht und einfach deswegen, weil sich die Rassengrenze nicht nur immer noch durch die Welt (In South Carolina dürfen Partner unterschiedlicher Herkunft etwa erst seit den Kongresswahlen Anfang November heiraten), sondern auch durch SF zieht. Und der "schwarze" Umgang mit SF ist vor allem in der Musik besonders deutlich. In diesem Sinne sollte man Tobias Nagls Anmerkung noch einmal nachfliegen: nämlich daß man elektronische Musik und ihren Bezug auf SF weniger mit dem Subtext schwarzer Identität versehen sollte, sondern "Outta Space" eher eine Zone musikalischer Imagination und Innovation bedeutet. Um es mit den Worten von Lee Perry zu sagen:
"Auf der Maschine standen nur vier Spuren, aber ich konnte noch 20 weitere von dem kosmischen Trupp empfangen."
Trotzdem: ein anstrengendes, aber spannendes Buch, dessen Themen man von "Loving the Alien" aus weiter bereisen kann. Unendliche Weiten gibt es genug.
Diedrich Diederichsen (Hg.): Loving the Alien, ID-Verlag, Berlin 1998
Mercedes Bunz ist Mitherausgeberin von De:Bug.