Raus aus der Tonne, rein in die Fabrik - Der künftige Phaeton-Fahrer darf sich als Philosoph fühlen.

Peter Sloterdijks "Philosophisches Quartett" ist VW gerne zu Diensten

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Diesen Sonntagabend läuft zum ersten Mal das "Philosophische Quartett" im Zweiten Deutschen Fernsehen. Das ZDF schätzt sich glücklich, dafür eine ähnlich markante und polarisierende Persönlichkeit wie Marcel Reich-Ranicki engagiert zu haben. Der Sender stapelt nicht gerade tief, wenn er über den neuen Frontmann Peter Sloterdijk sagt, dass dieser "als der erfolgreichste und meistdiskutierte Vordenker unserer Zeit gelten" darf.

Nun, es soll hier nicht so sehr um ihn persönlich gehen. Natürlich ist er derzeit der Vorzeigephilosoph schlechthin (auch wenn ihm der wild gestikulierende Slavoj Zizek hart auf den Fersen ist). Seine Berühmtheit verdankt er aber nicht unbedingt seinen philosophischen Fähigkeiten. Früher zitierte man ab und an zumindest noch den Titel seiner "Kritik der zynischen Vernunft". Heute verdankt sich Sloterdijks Ruhm einer anderen Quelle: Er ist in bester Weise medienkompatibel. Wie Boris Becker ist er überall dabei und hat zu allem etwas zu sagen. Aber für die derzeitige Philosophie ist er vermutlich geradeso repräsentativ, wie es Marcel Reich-Ranicki für die Literaturwissenschaft war. Wäre man böse, so könnte man sagen, beide gleichen ein wenig Rumpelstilzchen, das schon immer da ist, wenn der Igel laut schnaubend herbeigeschlurft kommt. Wir sind ins falsche Märchen geraten? Na und! Hier geht's schließlich auch um Philosophie in einer Autofabrik.

Ja, Autofabrik. Früher lebten Philosophen, wie Diogenes, bekanntlich in Tonnen, bevor sie dann in den Elfenbeinturm zogen. Sloterdijk tut das, was vor ein paar Jahrzehnten noch als revolutionär gegolten hätte: Er geht in die Fabrik. Bei seinen Züchtungsphantasien und der Rede vom "Menschheitspark" kann das nicht überraschen. Das tut die Fabrik schon selbst. Denn es ist die neue von VW in Dresden. Und weil deren Äußeres nur aus Glas und Stahl besteht, lautet der volle Titel der nun alle zwei Monate dort stattfindenden Sendung: "Im Glashaus. Das philosophische Quartett."

Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last

Schon im Dezember wurde die neue mitten in der Stadt, genauer: in einer barocken Parkanlage gelegene Produktionsstätte unter großem Tamtam der Öffentlichkeit vorgestellt. Ihr korrekter Name tut so, als herrsche immer noch August der Starke in Dresden: Gläserne Manufaktur. "Alles Handarbeit", will man damit sagen. "Seht her, genauso edel wie eine Suppenterrine aus der Porzellan-Manufaktur Meißen!" Da die eigentliche Arbeit bereits in Zwickau gemacht wurde, von wo die vorproduzierten Teile nach Dresden geliefert werden - das letzte Stück per Straßenbahn -, sind in der "Manufaktur" nur drei Roboter am Werk. Die Hauptarbeit werden, wenn die Produktion einmal im vollen Gange ist, 800 Monteure leisten, die hier auf Ahornholzparkett die erste Luxuslimousine mit VW-Signet, den "Phaeton", zusammenschrauben. Jeder kann ihnen dabei zusehen. Auch "Big Brother" war ein sehr erfolgreiches TV-Format.

Fabrik und Glas, das ist nicht allzu ungewöhnlich. Gerade Ingenieure waren von diesem Baustoff fasziniert. Der "Kristall-Palast" auf der Londoner Weltausstellung von 1851 ist legendär, ebenso Walter Gropius' Fagus-Werk (1911/12), das Glas demonstrativ im Fabrikbau einsetzte. Doch dann zogen die Fabriken auf die Grüne Wiese, und die Architektur wurde belanglos. Seine symbolische Aufladung erhielt das Glas als Werkstoff der modernen Architektur. Mit Glas ließ sich die alte Sehnsucht nach Licht, Luft und Sonne verwirklichen. "Ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last" stand schon auf Bruno Tauts kristallinem Pavillon auf der Kölner Werkbundausstellung von 1914. Welches Material hätte besser den Kampf gegen die steinerne Stadt des 19. Jahrhunderts versinnbildlicht?

Im Nationalsozialismus verschwand das Glas aus Deutschland. Macht zu demonstrieren brauchte es schweren Stein. Dafür machte die Glasarchitektur im International Style des Westens eine einzigartige Karriere. Nach 1945 avancierte Glas in Westdeutschland seiner Transparenz wegen zum idealen Baustoff der Demokratie. Und noch Sir Norman Foster wurde genötigt, dem Reichstag eine gläserne Kuppel zu applizieren: Das Volk muss doch seinen Vertretern auf die Finger gucken können.

Volkswagen hat Dir etwas zu sagen

Sollte das aber nicht zu denken geben, wenn sich nun die Industrie der Glasarchitektur bedient, um zu beteuern: "Wir haben nichts zu verbergen. Wir tun nur das Beste für euch"? Indes: Bei VW geht es noch um etwas anderes. Mit dem Phaeton will man in die Luxusklasse aufsteigen - und da muss einiges getan werden, um in höheren Kreisen als standesgemäße Marke respektiert zu werden. Das heißt: Weg vom Käfer-Golf-Passat-Image. Schon mit der Autostadt in Wolfsburg beschritt man einen neuen Weg. Sie ist ein "Markenerlebnispark", eine "Brandscape", die, wie es Peter Lau in Brand eins schrieb, den Besuchern mitteilen möchte: "Volkswagen ist nicht irgendein Konzern, der Autos herstellt - Volkswagen hat Dir etwas zu sagen." Die Autostadt, in der Autokäufer ihren neuen Wagen abholen können und potenzielle Interessenten an die Marke herangeführt werden, dient dazu die "Konzernwerte" erlebbar werden zu lassen.

Das klappte nicht einmal recht im Segment der Mittelklassewagen. Trotz Ritz-Carlton in der Autostadt: Wer will schon nach Wolfsburg? Um jene betuchte Kundschaft zu ködern, die bereit ist, bis zu 100.000 Euro für einen "handgefertigten" Phaeton hinzulegen, bedarf es der opulenten Kultur des sich gerne als Elbflorenz gerierenden Dresdens. Denn wer hierher kommt, seinen neuen Wagen in Empfang zu nehmen, den schickt VW erst einmal in die Semperoper, nach Meißen und zu Raffaels "Sixtinischer Madonna" in die Gemäldegalerie, um ihn dann endlich in die "Gläserne Manufaktur" zu führen, wo sein ganz persönliches Kunstwerk auf ihn wartet.

So wird ein Grundproblem gelöst: Wie kann etwas, das auf profane Weise zusammengeschraubt wird, eine Aura besitzen? Hier nun wird sie produziert: Die Pathosformeln des Museums, des Theaters, ja der Hochkultur überhaupt werden bemüht; sie alle sollen etwas von ihrem Glanz und ihrer Bedeutung auf die Autos, die hier hergestellt werden, übergehen lassen. Das ist die eigentliche Leistung der "Gläsernen Manufaktur". Und Peter Sloterdijk hilft dabei. Er exekutiert das Grundprinzip des Brandings - wie es Naomi Klein in "No Logo" [www.nologo.org] analysierte: "Wir verkaufen keine Autos, sondern eine Philosophie."

Dank des "Philosophischen Quartetts", bei dem Sloterdijk von dem Nietzsche- und Heidegger-Biographen Rüdiger Safranski sekundiert wird, erscheint die Marketinglyrik, die auf der Website der "Gläsernen Manufaktur" tatsächlich unter dem Punkt "Philosophie" auftaucht, legitimiert: "Eine neue automobile Kultur", wird da verheißen:

Nur wer neue Wege geht, kann auch neue Werte schaffen. Die Gläserne Manufaktur in Dresden ist Ausdruck unseres automobilen Denkens und Handelns.

Der künftige Phaeton-Fahrer darf sich als kleiner Philosoph fühlen. Während man sonst einiges aufwenden muss, um ökonomisches in kulturelles Kapital zu verwandeln, genügt hier ein - zugegebenermaßen nicht ganz billiger - Autokauf.

Warum Sloterdijk nicht mit Steinen werden darf

Was aber heißt das für das "Philosophische Quartett"? "Im Glashaus" - so lautet der treffende Titel. Und das dürfte Programm sein: Wer im Glashaus sitzt, wirft nicht mit Steinen. Da verbietet sich alle kritische Theorie (gerade die der "Frankfurter Schule"). Die Philosophie verkommt zur bloßen Lebenshilfe, das deutet schon das Thema der Eröffnungssendung an: "Angst - oder warum es keine Sicherheit gibt".

Nun, natürlich gibt es nie absolute Sicherheit, wird der ewige Bergsteiger Reinhold Messner, einer der beiden Gäste, sagen. Wenn man aber nur fleißig genug trainiert hat, eine gute Ausrüstung sein eigen nennt und fest an sich glaubt, braucht man keine Angst zu haben. Der zweite Gast, Friedrich Schorlemmer, wird ihm beipflichten: Nein, Sicherheit gibt es auf Gottes Erden nun mal nicht. Wer aber nur fest genug auf den Herrn im Himmel vertraut, dem wird allen Fährnissen der Welt zu Trotz nichts passieren.

Dass auch Volkswagen in diese Eintracht einstimmen kann, versteht sich von selbst. Wenn es keine absolute Sicherheit auf deutschen Straßen gibt, ist es umso wichtiger, ein gutes Auto zu fahren. Und mit einem, wie es in dieser Fabrik von verantwortungsvollen Mechanikern in weißen Anzügen gefertigt wird, braucht man gar keine Angst mehr zu haben. Selbst wenn es am Sonntagabend ganz und gar anders laufen sollte, Volkswagen wäre immer der Gewinner! Seht her, so weltoffen sind wir. Denk- oder gar Sprechverbote kennen wir nicht. Volkswagen kann also nur gewinnen. Warum aber lässt sich jemand wie Sloterdijk darauf ein? Man stelle sich vor, "Wetten, dass..." fände auf immer und ewig in der "Gläsernen Manufaktur" statt. Der Boulevard würde titeln: "VW kauft Gottschalk". Überhaupt: Wir haben es hier mit einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt zu tun, die durch Gebühren finanziert wird: Wie kann die sich fest an Volkswagen binden? Es reicht doch schon, dass der Bundeskanzler das tut.

Phaeton - aus der Bahn geworfen

Hans Helmut Hillrichs, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, lässt verlauten:

Philosophen, so lautet eine Selbstdefinition von Peter Sloterdijk, seien von Amts wegen wehrlos gegenüber Einsichten in größere Zusammenhänge. Möge etwas von dieser Wehrlosigkeit auch auf den Zuschauer überspringen und ihm anzeigen, dass er nicht zum Artisten, zum Akrobaten werden muss, um in guter Gesellschaft darüber nachzudenken, was unsere Welt bewegt.

Muss der solcherart wehrlos gemachte Zuschauer wirklich noch nachdenken? In der guten Gesellschaft von VW ist sonnenklar, natürlich bewegt das Auto unsere Welt. Ganz besonders eines wie der Phaeton: 320 sagt der Tacho.

Doch apropos Sonne: Wovor sich VW wirklich fürchten muss, ist, dass einer der philosophischen Gäste ausplaudern könnte, was es mit Phaeton wirklich auf sich hat. Der war nämlich der Sohn des Sonnengotts Helios und lieh sich von seinem Vater den Sonnenwagen aus. Das aber ging mächtig schief. Die vier prächtigen Pferde gerieten in Panik, Phaeton konnte sie nicht bändigen. Zuerst riss der Wagen nur eine große Wunde in den Himmel - daraus wurde die Milchstraße. Dann kam er der Erde so nahe, dass er dort eine gewaltige Dürre verursachte und die Haut der Äquatorbewohner schwärzte. Götterkönig Zeus geriet darüber so in Rage, dass er dem jugendlichen Raser einen Donnerkeil hinterher schleuderte. Phaeton stürzte getroffen aus dem Wagen und ging in Flammen auf. Sicherheit gab es also nicht einmal in der Antike, dafür Philosophen in der Tonne.

Die erste Sendung von "Im Glashaus - Das Philosophische Quartett" strahlt das ZDF am Sonntag, 20. Januar 2002, um 22:45 Uhr aus. Mit Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski werden als Gäste Reinhold Messner und Friedrich Schorlemmer über das Thema: "Angst - Warum es keine Sicherheit gibt" diskutieren. Die nächsten Sendungen gibt es am 24. März und am 28. April, jeweils um 23.15 Uhr.