"Reagan hat den Grundstein für Bush gelegt"

Die US-Journalistin und Buchautorin Jill Nelson beklagt sich über das "ausufernde Lob" für den Ex-Präsidenten Ronald Reagan. Telepolis befragte sie zu den Hintergründen ihrer Kritik

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Jill Nelson ist im New Yorker Stadtteil Harlem aufgewachsen. Seit zwanzig Jahren ist sie als Journalistin tätig. Nach ihrer Ausbildung am New Yorker City College und der Colombia School of Journalism ist Nelson heute für zahlreiche US-Publikationen tätig. Ihre Texte erscheinen unter anderem in der New York Times, der Washington Post, The Nation, Essence, der Chicago Tribune und im Magazin Village Voice. Nelson ist Autorin des Bestsellers "Volunteer Slavery: My Authentic Negro Experience" (1993). Die Mutter einer erwachsenen Tochter lebt in Harlem/ New York.

Der amtierende Präsident George W. Bush hat Ronald Reagan als einen "couragierten Führer" bezeichnet, der "die Welt gerettet" habe. Welche innenpolitischen Auswirkungen hatte diese "Courage" denn?

Jill Nelson: Mit dieser Einschätzung stimme ich natürlich nicht überein. Trotz Reagans Versprechen einer Politik für die breite Bevölkerung bestand eines seiner Hauptziele in der Verteidigung der Wirtschaftsinteressen bestimmter Gruppen zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung. Ein Phänomen, das wir unter dem amtierenden Präsidenten George W. Bush wieder erleben. Beide Administrationen arbeiten offensichtlich im Interesse von bestimmten Unternehmen und hängen einer extrem rechten Ideologie an. Wenn mit diese "Courage" die "Welt gerettet" werden kann, weshalb ist sie dann in einem solch schlechten Zustand? In gewisser Weise, meine ich, hat die Arroganz der Macht in der Ära Reagan den Grundstein für das Handeln der amtierenden Regierung gelegt. Das gilt auch für die engen Verbindungen zu rechtsextremen und christlich-fundamentalistischen Kreisen.

Sie waren während der Reagan-Regierung bereits in der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung aktiv. Wo lagen damals die Hauptkonfliktpunkte mit der Regierung?

Jill Nelson: Reagan macht gleich zu Beginn seiner Amtszeit seine unnachgiebige Haltung gegen die Bürgerrechtsbewegung deutlich. Wir sollten nicht vergessen, dass er derjenige US-Präsident war, der die Arbeit der US-Menschenrechtskommission massiv behindert hat, und dass er, während er die USA dem Ausland gegenüber zu einer "farbenblinden Gesellschaft" deklarierte, im Inland die Bürgerrechte zu untergraben versuchte. Gegen die Widerstände aus dem eigenen Lager versuchte er die Steuerfreiheit für die christlich-fundamentalistische Bob-Jones-Universität in Greenville in South Carolina durchzusetzen. Die Universität war und ist umstritten, weil sie nach der Lehre ihres Gründers, des Predigers Bob Jones, die Rassentrennung vorschreibt. Bedrohte Bürgerrechtler bezichtigte Reagan, aus ihrem Opferstatus politisch Profit zu schlagen. Von den Posten, die er im Justizwesen besetzen ließ, wurden exakt 1,9 Prozent an Schwarze vergeben.

Wie dauerhaft waren diese Ernennungen?

Jill Nelson: Die meisten Posten gelten auf Lebenszeit. Nur um die Verhältnisse zu klären: Von den 385 Bundesrichtern, die von Reagan benannt wurden, waren sieben Schwarze. James Carter hatte bei 265 Ernennungen 38 schwarze Juristen gewählt. Die Vergabe von diesen Posten wirkt bis weit über die Amtszeit des jeweiligen Präsidenten hinaus. Alle von 1980 bis 1989 ernannten Richter werden auf der Basis der sogenannten Reagan-Doktrin Recht sprechen - bis sie zurücktreten oder sterben.

Sie haben in einem Kommentar unlängst das "ausschweifende Lob" nach dem Tod von Ronald Reagan kritisiert. Gibt es in den USA denn keine kritischen Stimmen?

Jill Nelson: Die Kritiker werden von den großen Redaktionen weitgehend ausgeklammert. Ich habe den Eindruck, dass erst nach und nach und mit zunehmendem Abstand von Tod Reagans auch kritisch über dessen Politik berichtet wird. Es erschreckt mich schon, dass die Berichterstattung nach Reagans Ableben sehr der verhaltenen Reaktion nach den Terroranschlägen am 11. September 2001, nach der Verabschiedung des "Patriot Act" oder der beinahe unilateralen Invasion in Irak ähneln. Einmal mehr plappern die großen Verlagshäuser die Vorgaben aus den Weißen Haus nach. Kritische Stimmen werden außer acht gelassen, Berichte peinlich genau an die offiziellen Vorgaben angepasst: Ronald Reagan war ein großer Mann und wir sollen seinen Verlust betrauern.

Sie haben den sogenannten Krieg gegen den Terrorismus und den "Patriot Act" von George W. Bush erwähnt. Traut sich niemand, kritische Akzente zu setzen, weil die amtierende Regierung politischen Gegnern ähnlich repressiv begegnet?

Jill Nelson: Sicher, dabei sollten die aktuelle Politik der Bush-Regierung im In- und Ausland dazu beitragen, dass wir umso kritischer mit den vergangenen Fehlern von Ronald Reagan umgehen - und umgekehrt. Reagans Zungenschlag, seine Schlichtheit und seine Arroganz haben dem politischen Stil der beiden Bush-Regierungen das Feld bereitet.

George W. Bush hat die Kunst zur Perfektion getrieben, das rote Ziel anzustreben, vom grünen zu sprechen und Millionen von US-Amerikanern davon zu überzeugen, dass sie ihren Augen nicht trauen können. Erinnern wir uns, dass Reagan das nukleare Star-Wars-System planen ließ, dass er die Möglichkeit propagierte, einen Atomkrieg gewinnen zu können, dass er dachte, Bäume seien für die Luftverschmutzung verantwortlich. Er verdoppelte die Staatsverschuldung binnen acht Jahren, leistete der Rassismus und religiöser Intoleranz Vorschub, unternahm über Jahre hinweg nichts gegen die international anerkannte AIDS-Epidemie, sprach sich für ein "konstruktives Engagement" gegenüber dem südafrikanischen Apartheidsystem aus, löste den Iran-Contra-Skandal aus, zerschlug die Luftfahrtgewerkschaft oder ignorierte die Massaker in El Salvador. Diese Liste ließe sich noch bedeutend erweitern.

Die Attitüde der amtierenden Regierung, der Welt ungeachtet der Beweislage ihre Politik aufzudrängen, hat sich in den Reagan-Jahren herausgebildet. Der einzige Unterschied zwischen Reagan und Bush ist, dass Reagan damals mit relativ wenig Widerstand zu rechnen hatte. Bush hingegen stehen islamistische Terrorgruppen gegenüber, die vor dem Leben und dem Rechtsstaat ebenso wenig Respekt haben wie er selber.