Reboot der Insel der Seligen
"Elysium" ist ein solide gemachter Action-Film, dessen Science-Fiction-Kostüm kaum kaschieren kann, dass der Plot fast die gegenwärtige Realität beschreibt
Der südafrikanische Regisseur Neill Blomkamp verzichtet in "Elysium" ganz auf Aliens. Die "Fremden" sind die, die noch auf der Erde leben müssen. Im Jahr 2154 sprechen die Armen spanisch und schuften entweder am Fließband oder lungern arbeitslos im Slum herum. Die Reichen sprechen, wenn es ganz elitär wird, französisch, und vergnügen sich sorgenfrei und medizinisch rundumversorgt in "Elysium", einem Riesenrad in Sichtweite der Erde, die so ähnlich aussieht wie die Raumstation in Kubricks "Odyssee im Weltraum" (1968) oder wie der Stanford Torus, den die NASA schon 1975 ganz real plante. Dort spielt man andauernd bei schönem Wetter Golf. Dauernd steigen tropfnasse Supermodels aus Swimmingpools. Und alle Einwohner sind unerbittlich nett zu einander.
Die "Insel der Seligen" der herrschenden Klasse beherrscht die Welt mit einer Androiden-Polizei, die auch noch brutal und willkürlich vorgeht, als wenn der schreiende Gegensatz zwischen Arm und Reich noch nicht genug wäre. Der Alptraum ist perfekt, wenn auch der Sozialarbeiter ein Roboter ist.
Schon nach einer Minute weiß jedes Kind, dass der proletarische Held Max DeCosta (Matt Damon) irgendwie von ganz unten nach oben muss, auch wenn das strikt verboten ist, und die Asylanten, die es schaffen, ein (Raum)Schiff zu kapern, einfach abgeschossen werden - auf Befehl der (Heimat-)Ministerin Delacourt (Jodie Foster), gegen deren eisige Attitude jeder rechtspopulistische Hardliner der Gegenwart wie ein Kuschelbär wirkt.
Die Moral derartiger Geschichten ist auch schon spätestens seit Sergio Corbuccis "Il Mercenario" (1968) klar: Der Held hat zunächst ein egoistisches Motiv (Geld, in "Elysium" die eigene Gesundheit), und eine schöne Frau bringt ihn auf den richtigen Weg an die Seite der Armen und Guten, denen er hilft, die Bösen militärisch zu besiegen (wie auch in "Avatar - die Reise nach Pandora").
Während die Djangos der Filmgeschichte den schnelleren Revolver oder das größere Maschinengewehr einzusetzen wussten, um dem zu Recht zu verhelfen, was der Mainstream des Kinopublikums gefühlt für das moralisch Wertvolle hielt, geht es heute um Computerprogramme und Zugangscodes. "Revolution" heißt "das System resetten". Die vorher Admins und befugte Nutzer waren, müssen anschließend draußen bleiben. Die Androiden sehen das natürlich genaiso. Man braucht als Revolutionär das Militär und die Sicherheitskräfte nicht gesondert überzeugen, auf die Seite der Guten zu schwenken.
Metapher für die Parallelwelt der herrschenden Klasse
Da man auch in ferner Zukunft offenbar im Weltraum noch kein Internet hat, müssen die Daten im Körper des Helden transportiert werden, der zum Neuromancer und Cyborg verwandelt wird. Deshalb kann er die Frau am Schluss auch nicht glaubhaft kriegen, sondern opfert sich für das Gute wie ein deutscher Soldat für die freien Handelswege am Hindukusch.
Neill Blomkamp hat mehrfach gesagt, dass "Elysum" nicht wirklich Science Fiction sei, sondern das Heute überhöht darstelle. Das kann man als Marketing nehmen. Blomberg hat aber schon in "District 9" (2009) gezeigt, dass er die gängigen Blockbuster-Klischees gern individuell gegen den Strich bürstet: Man sieht nicht alle Tage, dass ausgerechnet schleimige Schaben zu den "good guys" gehören.
Für das Los Angeles der Zukunft konnte Blomkamp die Slums der Hauptstadt Mexikos nehmen, ohne dass er etwas verändern musste. Auch die Waffen sind weniger futuristisch als die Soldaten der "Zukunft", an denen etwa die US-Armee jetzt schon bastelt.
Die Reichen in Kalifornien, aber auch in Russland oder in Brasilien leben in ihren Villen abgeschottet vom Rest der Welt und gut bewacht. Dort einzudringen wäre ähnlich schwierig wie in die Raumstation: "Elysium" ist nur eine technisch zur Zeit noch nicht umgesetzte Metapher für die Parallelwelt der herrschenden Klasse.
In den meisten Staaten kann man sich medizinische Versorgung nur leisten, wenn man die bezahlen kann. Flüchtlinge werden auch heute vom "System" nicht akzeptiert. Unbotmäßiges Verhalten kann derzeit schon effektiver bekämpft werden als in Blomkamps "Science Fiction" - dort ist die Drohnendichte immer noch geringer als die der Überwachungskameras im heutigen Großbritannien.