Reboot der Insel der Seligen

Seite 2: Im deutschen Feuilleton gilt man offenbar schon als "stramm links", wenn man fragt, ob es wirklich sein müsse, dass Wenige viel haben und umgekehrt

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Die deutschen Feuilletonisten sind seit jeher anspruchslos, wenn es darum geht, den Umsturz in Mainstream-Filmen zu bewerten. Für Andreas Borcholte von Spiegel online wird der Held zur "proletarischen Kampfmaschine, zum Klassenkämpfer, der für die Befreiung der Armen sein Leben riskiert". Nach dieser Logik wäre Clint Eastwood in "Pale Rider" ein Linksextremist, weil er genau das auch tut. Und "Elysium" fiele, was die soziale Utopie angeht, noch hinter zahlreiche Western zurück, weil im Jahr 2154 die Armen nicht wirklich befreit, sondern nur gesünder werden.

Bild: Sony Pictures

Martina Knoben auf sueddeutsche.de spricht von einer "stramm" linken, "leider immer wieder plakativ-naiv formulierte Message". Hartwig Tegeler behauptet im Deutschlandradio, es handelte sich bei "Elysium" um einen kritischer Blick "auf gesellschaftliche Missstände".

Nichts von dem trifft zu. In Deutschland gilt man offenbar schon als "stramm links", wenn man fragt, ob es wirklich sein müsse, dass Wenige viel haben und umgekehrt. Und was eigentlich ist in "Elysium" ein unerträglicher Missstand, abgesehen von den nicht-menschlichen Sozialarbeitern? "Arm" und "reich" sind immer relative Begriffe. In vielen Ländern der so genannten "Dritten Welt" empfindet es kaum jemand als ungehörig, den Reichtum zur Schau zu stellen, auch wenn gleich nebenan die Armen auf der Straße verhungern. Niemand käme dort auf die Idee, deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben.

Der Gegensatz von Arm und Reich, mag er noch so krass sein, ist kein hinreichendes oder glaubhaftes Motiv, einen Aufstand anzuzetteln. Die Motivlage des Helden in "Elysium" ist dünn und muss daher noch unterfüttert werden: Mad Max DeCosta hat wegen einer Überdosis Radioaktivität nur noch fünf Tage zu leben. Dann beeilt man sich natürlich mit der Revolution.

Ohnehin eignen sich Hollywood-Filme nicht dazu, Gefühle beim Publikum dauerhaft zu implementieren, die es bewegen könnten, sich politisch anders zu verhalten. Man weiß von Beginn an, dass es nur um Katharsis geht und dass die "bad guys" in die Schranken verwiesen werden. Niemand möchte orientierungslos und verstört ein Kino verlassen. "Links" - wenn man das politische Koordinatensystem Europas voraussetzt – kann höchstens sein, wenn etwas in einem Blockbuster vorkommt, das vorher tabuisiert wurde oder dem widerspricht, was das Publikum gewohnt ist, vorgesetzt zu bekommen. Quentin Tarantinos "Django Unchained" (2012) ist daher wesentlich "linker", weil ein schwarzer Kopfgeldjäger, der nicht unter Seelenqualen, sondern durchaus lustvoll die weiße herrschende Klasse umlegt, so noch nicht gezeigt worden war und demgemäß Konservative in den USA verärgerte.

Bild: Sony Pictures

Jodie Foster würde heute sicher nicht in einem Film mitspielen, den sie für nicht anspruchsvoll genug hält. Ihr Auftritt in "Elysium" ist kurz, aber prägnant und lässt kurz aufleuchten, dass die Herrschenden nicht einfach die Bösen sind, sondern ihre eigenen, durchaus nachvollziehbaren Motive haben: "Was würden Sie tun", fragt sie Elysiums Präsidenten, gegen den sie einen Putsch plant, "wenn Sie Kinder hätten und diese vor dem Mob beschützen müssten?" Das geht über den bloßen Antagonismus "Gut gegen Böse" hinaus.

Ein wirklicher und dauerhafter sozialer Reboot würde die Einsicht voraussetzen, dass die Akteure innerhalb des Systems nur ihre vorgesehene Rolle einnehmen, als eine Art "Charaktermaske", und dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Es kommt vermutlich weniger darauf an, wer die Macht hat, sondern zu ändern, worauf Macht beruht. So weit geht "Elysium" nicht.

Am Schluss strömen die "befreiten" Massen zu den Raumschiffen, um nach Elysium und zu den medizinischen Wunder-Apparaten zu gelangen. Das ist eher eine pessimistische, wenn nicht zynische Sicht auf das Ende einer Revolte.