Rechte in Frankreich: Warten auf die Macht

Sie wartet schon lange: Marine Le Pen. Archivbild (2007): Antoine Bayet/CC BY-SA 2.0

Wenn Macron geht, hat Le Pen große Chancen, Präsidentin zu werden. Auch ihre Partei legt in Umfragen deutlich zu. Wie die extreme Rechte im Parlament und auf den Straßen agiert: ein Lagebild.

Hauptsache, die Etikette stimmt! Krawattenzwang für die Herren, Blazer für die Damen und Kritik am "verstrubbelten" Auftreten konkurrierender Oppositionsfraktionen: Die französische extreme Rechte gibt sich heute als "seriöse" parlamentarische Opposition.

In breiten Kreisen honoriert

Und die Wählerschaft scheint es ihr zu danken: Erstmals verzeichnete eine Umfrage vor wenigen Tagen, die sich auf Stimmabsichten im Falle erneuter Parlamentswahlen bezog – im Zusammenhang mit der schwierigen Durchsetzung der umstrittenen Rentenreform liegt die Drohung einer Auflösung der Nationalversammlung durch Staatspräsident Macron in der Luft –, einen voraussichtlichen Stimmenanteil von 26 Prozent für den Rassemblement national (RN).

Das wären sieben Prozentpunkte mehr als im Juni 2022. Beim RN, "Nationale Sammlung", handelt es sich um die früher unter dem Parteinamen Front National bekannte und seit dem 1. Juni 2018 umbenannte Partei. Ihre Wurzeln liegen erkennbar im historischen Post- und Neofaschismus.

Doch derzeit wird ihr um staatsmännische oder -frauliche "Glaubwürdigkeit" bemühtes Auftreten in breiten Kreisen honoriert.

Präsidentschaftswahl: Le Pen wäre jetzt Gewinnerin

Würde die Präsidentschaftswahlen vom April 2022, also von vor genau einem Jahr, heute wiederholt, dann wäre die damalige Nummer Zwei jetzt die Gewinnerin. Die rechtsextreme letztjährige Präsidentschaftskandidatin (und derzeitige Parlamentsfraktionsvorsitzende) Marine Le Pen, die damals in der Stichwahl um die Staatspräsidentschaft mit 41,5 Prozent abschnitt, würde stattdessen heute 55 Prozent gegenüber Amtsinhaber Emmanuel Macron mit 45 Prozent erzielen.

Genau in dieser Konfiguration wird die nächste Wahl, turnusmäßig müsste sie 2027 stattfinden, sich allerdings nicht abspielen: In ihrer seit 2008 geltenden Version lässt die französische Verfassung der Fünften Republik nur zwei aufeinander folgende Amtszeiten eines Staatsoberhaupts zu. Staatspräsident Macron kann also beim nächsten Mal nicht kandidieren.

Dieses fiktive Resultat bei einem demoskopischen Institut ist selbstverständlich auch Ausfluss der aktuellen Unzufriedenheiten und Frustrationen rund um die Rentenreform, die Emmanuel Macron letztlich unter Ausschaltung der Beratungs- und Abstimmungsrechte des Parlaments durchsetzte – die Sonderbestimmung von Artikel 49 Absatz 3 erlaubt die Annahme eines Gesetzes ohne Zustimmung des Parlaments, wenn die Regierung die Vertrauensfrage stellt.

Am kommenden Freitag, den 14. April, entscheidet sich nun, ob das französische Verfassungsgericht das auch sonst im Eilverfahren und unter falscher Deklarierung als "Haushaltsgesetz" durchgepeitschte Gesetz passieren lässt oder aber kassiert.

Die Haltung zu den Rentenprotesten – auf der Straße und im Parlament

In den letzten Wochen war der RN zwar nicht auf der Straße präsent – die Rechtsextremen sind in den Gewerkschaftsdemonstrationen explizit nicht willkommen. CGT-Chef Philippe Martinez etwa erklärte den RN für "unvereinbar mit gewerkschaftlichen Werten und Zielsetzungen".

Die Partei versucht jedoch im Parlament als die vermeintlich entschlossenste Opposition aufzutreten, jedenfalls auf verbaler Ebene, unter anderem dadurch, dass die Partei einigen Lärm um ihren Antrag auf "eine Volksabstimmung über die Reform" veranstaltete, wenn dieser auch abgelehnt wurde.

Was dem RN in den Augen von Teilen der Öffentlichkeit auch gelungen ist. Nicht oder kaum in jenem Teil der Gesellschaft, der aktiv gegen die Rentenreform streikt, wohl aber beim Fernsehpublikum und in wachsenden Segmenten der Wahlbevölkerung.

Bei den Menschen, die an Demonstrationen teilnehmen, wird in Paris oder in westfranzösischen Städten wie Rennes, Nantes und Toulouse kaum ein nennenswerter Teil für den RN stimmen – doch in Landstrichen wie Pas-de-Calais in Nordostfrankreich, in der Picardie oder in Lothringen, wo der RN eine echte "Volkspartei" mit starkem Unterklassen-Votum darstellt, dürfte dies erheblich anders aussehen. Dort darf er auch im Kontext der Rentenreform wachsende Zustimmung ernten.

Unverdient zwar, denn in der Sache hat die neofaschistische Rechte gar nicht viel zur Rentenreform zu sagen. Insbesondere nichts zu Berufsbildern mit ihren körperlichen Erschwernissen oder ihrer Arbeitsmonotonie und zu beruflichen Krankheiten, auf die die Gewerkschaften sich berufen, um gegen eine Anhebung des Rentenalters einzutreten.

Inhaltlich besteht das Einzige, was die Rechtsextremen zum Thema beisteuern – vor der umstrittenen Rentenreform Sarkozys von 2010 traten sie selbst für eine erhebliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit an, ließen diesen Programmpunkt jedoch aufgrund des damaligen Meinungsklimas dann fallen –, in der Aussage: Wer in jungen Jahren vor dem Alter von zwanzig schon arbeitete, müsse auch relativ früh in Rente gehen können, verdientermaßen.

Ansonsten bleibt die rechte Agitation im Parlament gegen die Reform eher inhaltslos. RN-Parteichef Jordan Bardella erklärte in einem seiner TV-Interviews, zu beruflichen Anforderungen und Arbeitsbedingungen brauche seine Partei nichts zu sagen, denn jene, die unter erschwerten Konditionen arbeiteten, seien ohnehin identisch mit denen, die schon vor zwanzig malochen mussten.

Eine fadenscheinige Ausflucht, die Inhaltslosigkeit bei gleichzeitiger Verbalradikalität markiert.

Außerparlamentarische extreme Rechte

Doch zur extremen Rechten zählen im Übrigen auch stiefelfaschistische Gruppen, die sich nicht unbedingt in den an Parlamentswahlen teilnehmenden Parteien dieses Spektrums – welche, wie der RN, durch ihre Wahlorientierung notwendig Rücksichten auf gesellschaftliche Akzeptanzfähigkeit nehmen – wiedererkennen.

In der Anfangs- und Entwicklungsphase der aktuellen sozialen Protestbewegung in Frankreich hielt diese (außerparlamentarische) extreme Rechte sich zunächst weitgehend zurück. Denn einerseits möchte sie sicherlich nicht als Verteidigerin des Regierungslagers und der "Reform" auftreten. Andererseits aber auch nicht als Weggefährtin der Linken, die in dieser Bewegung – neben oder in den Gewerkschaften – aktiv waren und sind.

Doch seitdem die Studierenden und die lernende Jugend sich verstärkt an Aktionen und Demonstrationen beteiligen, verstärkt insbesondere seit dem Rückgriff der Regierung auf den Artikel 49 Absatz 3 der Verfassung, und den darüber erlebten demokratischen Bruch, hat sich dies zum Teil gewandelt. Jedenfalls kommt es im Milieu der Studierenden zu einer wachsenden Zahl von Angriffen.

So fügten rechtsextreme Angreifer am zur Universität Paris-1 zählenden juristischen Zentrum René-Cassin im 13. Pariser Bezirk einem Studenten einen Nasen- und Kieferbruch zu. Angehörige der traditionell rechtsextreme Aktivitäten beherbergenden Jura-Fakultät der Universität Paris-II in der rue d’Assas griffen, unter der Selbstzeichnung "Waffen-Assas" (laut Bekennerkommuniqué) vorgehend, am 23. März einen Demonstrationszug von Studierenden im Zentrum von Paris in der Nähe der Hauptgebäude der Sorbonne an.

Die Angegriffenen zählten zur Elitehochschule Ecole normale supérieure (ENS), welche in der Nähe liegt. Auch in den ostfranzösischen Städten Reims und Besançon kam es zu rechtsextremen Attacken auf studentische Besetzungen.

Seit nunmehr zehn Monaten sitzt die neofaschistische Rechte, zum ersten Mal seit einem kurzen Intermezzo in den Jahren 1986 bis 1988, in Fraktionsstärke in der französischen Nationalversammlung. Dort verfügen die Rechtsextreme dort nun über 88 Abgeordnete – eine Zahl, die aus anderen Gründen bei anderen Rechten als Chiffre geschätzt wird. Jedenfalls derzeit.

Ursprünglich waren sogar 89 gewählte Abgeordnete des Rassemblement national in die Nationalversammlung gewählt worden. Allerdings verlor einer von ihnen bei einer Wiederholungswahl im Januar dieses Jahres seinen Sitz zugunsten der Linkspartei LFI ("Das unbeugsame Frankreich"), die in diesem Wahlkreis ebenfalls für ihre Opposition gegen die Rentenreform wahlpolitisch belohnt wurde.

Die Abgeordneten sind formal um Anstand bemüht. Auch wenn eigene Abgeordnete der Rechtsfraktion sich über den finsteren Einfluss von Opus Dei-Fundamentalisten, vor allem in den Reihen der parlamentarischen Mitarbeiter, beschweren, und selbst wenn ein Abgeordneter im November 2022 wegen rassistischer Aussprüche für zwei Sitzungswochen ausgeschlossen wurde.

Inhaltlich stehen sie dagegen nicht wirklich für eine Alternative, betrachtet man sich ihr Stimmverhalten genauer.