"Rechtsanwältin am Tage - Domina in der Nacht"

"Hera" - das moderne Gegenstück zur "O" oder nur ein schlauer Marketingtrick?

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Eine Domina schildert 11 Tage mit einem reichen Unbekannten in einem phantastischen Schloss mit vielen Verliesen und Kellerräumen der unterschiedlichsten Art. Eine wahre Geschichte – oder beabsichtigtes Medienkalkül? Zumindest scheint dieses Buch die Skandale um frühere SM-Literatur im Zeitraffer durchlaufen zu wollen.

Das Sexleben von Juristen landet mitunter in den Schlagzeilen – jawohl, auch Juristen sind Menschen und haben so etwas, und im Normalfall leben sie dies auch nicht vor bzw. im Gericht aus, obwohl auch das leider immer wieder passieren soll. Doch auch sonst scheint das Privatleben von Juristen öfters von 0815 abzuweichen.

So ist im Moment gerade Margarethe von Trottas Film "Ich bin die Andere" nach dem Buch von Peter Märthesheimer in die Kinos gekommen, in dem unter anderem Katja Riemann und Armin Mueller-Stahl mitspielen. Aufgrund einer traumatischen Kindheit, in der sie vom Vater missbraucht wurde, leidet die Heldin des Films unter einer Persönlichkeitsspaltung und arbeitet am Tag als erfolgreiche Anwältin Carolin in einer Anwaltskanzlei, in der Nacht dagegen als die Prostituierte Carlotta.

Würde ein solcher Fall in der Realität aufkommen, könnte dies durchaus die Anwaltslizenz der Dame gefährden: Rechtsanwälte dürfen, wenn ihr Einkommen nicht ausreicht oder sie zu viel Zeit haben, nicht beliebige Neben- oder gar Haupttätigkeiten ausüben. Eine Tätigkeit als Putzfrau würde beispielsweise zum Ausschluss durch die Anwaltskammer führen, das sittenwidrige Ausstellen von Rechnungen (Abmahner und Absahner: Anwälte packen aus) dagegen leider nicht. Die Tätigkeit als Prostituierte dürfte allerdings durchaus problematisch sein, auch wenn Juristen hier schon einmal Gemeinsamkeiten zu Anwälten sehen. Aber es ist ja nur ein Film.

Ein besonders großes Interesse scheint jedoch der Sado-Masochismus („SM“) bei Juristen auszulösen. Die einen leben ihn nur beruflich aus und reduzieren ihn auf Sadismus, bei dem das Opfer nicht gefragt wird, ob es mit der "Behandlung" denn auch einverstanden ist. Die anderen leben ihn auch privat aus: Die Nähe zur Macht scheint auch im Bett das Interesse an Machtspielchen zu wecken. Und hoffentlich beruflich zu neutralerer Arbeitsweise zu führen. Auch dies war vor nicht allzu langer Zeit im Film zu sehen, in der schrägen Komödie "Secretary", die das Thema SM als Witz angehen will, doch durchaus realistische Verhaltensweisen der Protagonisten einführt.

Eine Domina ist in einer anderen Situation als eine normale Prostituierte: Sie gibt ihren Kunden nur Befehle und peitscht sie gegebenenfalls noch aus, sie hat aber keinerlei körperlichen Kontakt mit ihnen, von Geschlechtsverkehr ganz zu schweigen. Ein derartige Tätigkeit ist also wesentlich ungefährlicher – sowohl in gesundheitlicher als auch in beruflicher Hinsicht: Die Anwaltslizenz sollte nicht in Gefahr sein, und möglicherweise steigert ein schlagkräftiger Zweitjob als Domina sogar noch die berufliche Attraktivität im Erstjob, da die Frau dann als besonders durchsetzungsfähig gelten würde. Übrigens eine Fehleinschätzung, weil die meisten SM-Interessierten privat gerade einen Ausgleich zu ihrem beruflichen Umfeld suchen: erfolgreiche Chefs und Manager werden Kunde bei einer Domina, während weniger erfolgreiche Männer zuhause die Peitsche herausholen – und umgekehrt.

Dennoch ist die Dame, die im Roman „Hera“ genannt wird, sehr vorsichtig gewesen. Wenn man ihrer Erzählung glauben darf, hat sie einen ihrer Kunden und Verehrer privat besucht – in einem luxuriösen Schloss, gegenüber dem sich Disneyland absolut mickrig vorkommen müsste. Während er sie mit den kuriosesten Gegenständen und kulinarischen Genüssen verwöhnt und ihr diverse Freunde vorstellen will, fällt ihr auf, wie einsam er ist und wie sehr er nun an ihr hängt, weshalb sie ihn am 11. Tag wieder verlässt. Die Szenerie erinnert etwas an die typischen Szenen aus SM-Romanen wie dem Klassiker "Geschichte der O.", nur dass in jenem die Frau nicht dominieren durfte, sondern unterworfen wurde.

Doch Hera ist moderner: Sie schreibt ihre Geschichte gleich unbeeindruckt von den Millionen ihres Gastgebers vor Ort als Tagebuch auf einem mitgebrachten Notebook auf. Allerdings veröffentlicht sie diese dann nicht selbst, sondern mailt sie dem im Internet kennengelernten Buchautor Mirko J. Simoni zu, der sie dann bei Schwarzkopf & Schwarzkopf verlegen ließ.

Der Unterschied: Während die "O." eine fiktive Erzählung ist, die die französische Journalistin und Literaturkritiker Dominique Aury unter dem Pseudonym Pauline Réage schrieb, um ihrem Liebhaber zu imponieren, der davon so beeindruckt war, dass er nicht nur bei ihr blieb, sondern auch noch das Buch veröffentlichte, behauptet Hera, eine wahre Geschichte zu erzählen. Doch ist das Schloss des Millionärs einfach zu phantastisch ausgemalt, um tatsächlich existent zu sein und auch einige andere Geschichten wie Karaffen voller abgelagerten Urins schöner Frauen, den der Protagonist sich während den Gesprächen mit Hera einschenkt, sind doch zu absurd geraten.

Andere SM-Autorinnen schrieben zuerst eine Phantasiegeschichte, wie Catherine Robbe-Grillet unter dem Pseudonym Jean de Berg „Das Bild“. Erst viele Jahre später schob sie als Jeanne de Berg noch "Die Frau" nach, ein Werk, das dann wahre Geschichten enthielt. Wirklich nachprüfen kann so etwas natürlich niemand, doch all diese Bücher führten in ihrer Zeit und auch noch Jahrzehnte danach zu Skandalen und waren oft auch gerade unter denen, die als Zensoren die Bücher verboten, besonders gefragt. Für die beteiligten Verlage waren diese Skandale teilweise schlecht, teilweise auch sehr lukrativ.

Ein Verbot muss "Hera" nicht befürchten, da sich das Buch eigentlich mehr in sexuellen Phantasien und phantastisch ausgemalten Räumen im Schloss des Protagonisten Purius ergeht und echte sexuelle Handlungen normaler oder sado-masochistischer Art nicht direkt vorkommen. Bestenfalls befragen Purius und seine Gäste Hera zu ihrer Arbeit im Zweitberuf im Kölner SM-Studio und über die Arbeit in ihrem Hauptberuf in einer Kölner Rechtsanwaltskanzlei und sie spricht über ihren Autismus. Und während mich persönlich die Kombination SM und Jura nach meinen Erfahrungen mit Kölner und anderen Juristen und -innen nun überhaupt nicht verwundert und auch bereits öfters berichtet wurde, dass Jura und Autismus gut zusammenpassen, sind die meisten Leser des Werks doch ziemlich erstaunt. Auch Missbrauch in der Kindheit findet sich hier wieder, mit 13 durch einem Onkel:

Mademoiselle, Sie sind Anwältin geworden, weil Sie die Waffen in die Hand bekommen wollten, um sich für den Missbrauch in jungen Jahren zu rächen und fortan den Männern aufgrund Ihres juristischen Wissens eine Menge Ärger bereiten zu können.

“Purius“ befragt „Hera“

Die früheren Skandale um solche Bücher erscheinen nun im Medienzeitalter zwar weniger heftig – was kann denn heutzutage noch wirklich schocken? – aber dafür im Zeitraffer abzulaufen: Obwohl das Buch erst Anfang des Monats erschienen ist und angeblich innerhalb weniger Tage vergriffen war, und obwohl die Protagonistin ursprünglich anonym bleiben wollte, ist sie nach Angaben des Verlags tatsächlich die Dame auf dem Titelbild und wird am Dienstag den 17. Oktober um 23.15 Uhr bei Johannes B. Kerner im Fernsehen auftreten.

Ob diese Art der Werbung dann allerdings noch von der Rechtsanwaltskammer geduldet wird? Schließlich ist Anwälten doch jegliche Art der Werbung verboten (Zahnarzt- und Rechtsanwaltspraxen im Fernsehen)! Doch vielleicht hofft sie auch, zukünftig von den Buchhonoraren und ihrem so beworbenen Zweitjob alleine leben zu können – nach einem Fernsehauftritt ist dies durchaus denkbar, während sonst Bücher meistens kein Geschäft sind. Auch in der Bild-Zeitung ist sie bereits gelandet und wurde als "Deutschlands härteste Anwältin" tituliert, was dann tatsächlich einige Berufskollegen und Kolleginnen sauer machen und auf „unlauteren Wettbewerb“ klagen lassen dürfte, denn als hart und gemein wollen nun mal die meisten Juristen gelten und vielen gelingt es auch.

Nicht gelingt es dagegen, Hera ihre Geschichte so wirklich abzunehmen: Sie mag tatsächlich Anwältin und Domina sein, doch ihr Roman erscheint aus den gängigen SM-Klischees zusammengebastelt zu sein, um den in jener Szene vorherrschenden Mainstream-Geschmack abzudecken. Und von daher dürften auch sämtliche nun um das Buch entstehenden oder versuchten Skandale in die Rubrik "Schlaues Marketing" zu rechnen sein…

Hera: Rechtsanwältin am Tage – Domina in der Nacht, Mirko J. Simoni, Schwarzkopf & Schwarzkopf Berlin, 200 Seiten, ISBN 3-89602-745-X, 9,90 Euro