Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung – Kampfbegriff oder reales Problem?

Dokumentiert: Bildet sich unter der Flagge der Friedenstaube eine "Querfront"? Genügt die Abgrenzung gegen Rechts? Die "Ukraine-Initiative – Die Waffen nieder" hat dazu Thesen veröffentlicht.

Nicht erst seit der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer organisierten Großdemonstration "Aufstand für Frieden" am 25. Februar in Berlin gibt es sowohl reale Versuche von extremen Rechten, die Friedensbewegung zu unterwandern, als auch das Bestreben von Befürwortern militärischer Lösungsansätze, die gesamte Friedensbewegung als rechts oder zumindest rechtsoffen darzustellen.

Langjährige Friedensbewegte aus dem linken Lager konstatieren dagegen "nur", dass die Zeiten vorbei sind, in denen soziale Bewegungen und die Friedensbewegung meist von Anfang an unter der Hegemonie linker oder progressiver Kräfte standen. Doch wie sollen sie damit umgehen? Finger weg, weil das alles zu diffus ist, oder rein in die Bewegung, um dort mit Überzeugungsarbeit um Hegemonie zu kämpfen? Und wie entscheidend ist dafür eine gemeinsame Analyse der Hintergründe des Ukraine-Kriegs?

Im Folgenden dokumentieren wir dazu ein Thesenpapier der "Ukraine-Initiative – Die Waffen nieder".

Rechtsoffenheit in der Friedensbewegung – Kampfbegriff oder reales Problem?

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges spielt seit einiger Zeit das Narrativ von der Rechtsoffenheit der Friedensbewegung eine zunehmende Rolle. Besonders massiv vorgetragen wurde es gegen die große Friedenskundgebung im Februar 2023 in Berlin, initiiert von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Die Führung hatte dabei das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit einer massiv manipulativen Berichterstattung, sekundiert von den übrigen Leitmedien.

Die Funktion dieser Demagogie besteht darin, die Gegner der herrschenden Kriegspolitik als Feinde der Demokratie zu markieren und so mundtot zu machen. Denn angesichts der weit verbreiteten Skepsis in der Bevölkerung gegen den amtlichen Bellizismus muss an der medialen Heimatfront mit allen Mitteln das Ziel eines militärischen Siegs der Ukraine mehrheitsfähig gemacht werden.

Der Vorwurf der Rechtsoffenheit oder gar rechts zu sein ist schwerwiegend und wirkt daher auf so manche einschüchternd, die sich eigentlich gern engagieren würden. Sie ziehen sich dann aus Protesten zurück und äußern ihre Meinung allenfalls noch hinter vorgehaltener Hand.

Leider wird das Narrativ von der Rechtsoffenheit gegenwärtig auch von manchen Kräften in der Friedensbewegung verbreitet. Mit jenen, die nicht in gleichem Atemzug auch die Nato-Positionen übernommen haben, verbindet uns aber nach wie vor das Eintreten für einen Verhandlungsfrieden und die Ablehnung von Militarisierung und Aufrüstung. Umso wichtiger ist es daher, die Diskussion innerhalb der Bewegung zu führen. Dazu soll der vorliegende Text beitragen.

Wie mit neuartigen Protestbewegungen umgehen?

Zentrum der Meinungsverschiedenheiten ist die Frage nach dem Umgang mit neuen und neuartigen Protestbewegungen. Das ist kein spezifisches Problem der deutschen Friedensbewegung. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg standen soziale Bewegungen, darunter auch die Friedensbewegung, meist von Anfang an unter der Hegemonie linker oder progressiver Kräfte. Diese Zeiten sind allerdings vorbei.

Mit den gesellschaftlichen Umbrüchen und multiplen Krisen in fast allen Ländern des ‚demokratischen Kapitalismus‘ sind zwar viele neue Anlässe für Protest entstanden. Aber angesichts des Niedergangs und der Schwäche der gesellschaftlichen Linken ist dieser Protest politisch und ideologisch meist diffus, von Widersprüchen durchzogen und in seiner Zusammensetzung oft sehr heterogen.

Typische Beispiele sind die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich oder die Cinque Stelle in Italien (vor ihrer Formierung zur Partei), die Hunderttausende mobilisieren konnten. Die Linke wurde davon völlig überrascht, und einige hatten große Probleme, damit umzugehen. So behaupteten manche, die Gelbwesten seien von der extremen Rechten gesteuert oder gar antisemitisch.

Wenn eine solche neuartige Bewegung auftritt, besteht angesichts ihrer Heterogenität und politischen Nicht-Determiniertheit in der Tat eine gewisse Offenheit – aber nach allen Seiten hin. Entscheidend ist in einer solchen Situation, welche Orientierung sich im weiteren Gang der Dinge durchsetzt. Politik ist nicht statisch, sondern prozesshaft.

Wer von vorneherein glaubt, dass eine solche Bewegung vom Start weg sofort den Ansprüchen etablierter linker Organisationen genügen müsse, hat nicht verstanden, wie soziale Bewegung und politische Meinungsbildung an der Basis der Bevölkerung heute funktionieren. Das Bündel von außergewöhnlichen Krisen, die die Gesellschaften erschüttern, und der zunehmende Kontrollverlust auf Herrschaftsseite führen zu enormer Verunsicherung und Orientierungslosigkeit.

Wenn Menschen sich dann zu Protest organisieren, ist das zunächst einmal ein Akt der Selbstermächtigung. Was dann daraus wird, hängt zwar nicht nur, aber auch in hohem Maße davon ab, wer in den weiteren Prozess mit welchen Zielen eingreift.

Natürlich besteht das Risiko des Scheiterns

Die AfD u.a. Rechte haben das begriffen und bemühen sich um Hegemonie über neue Protestbewegungen. Verkennt die Linke jedoch die Heterogenität und Offenheit neu entstehender Bewegungen und verzichtet auf Eingriffsmöglichkeiten, weil sie glaubt, vermeintlich lupenreine Gewissheiten verteidigen zu müssen, ist das Kapitulation vor den neuen Herausforderungen, quasi Selbstmord aus Angst vorm Tod. Natürlich besteht dabei, wie bei allem politischen Engagement, das Risiko des Scheiterns.

Bei den Gelbwesten begaben sich Teile der Linken, darunter La France Insoumise, Attac Frankreich und einige Gewerkschaften, in die Bewegung hinein. Sie haben dabei darauf verzichtet, ihre eigene politische Identität durchzudrücken. Stattdessen diskutierten sie, organisierten Erfahrungen und Lernprozesse auch für politisch unbeschriebene Blätter, naive oder in Irrtümern befangene Mitstreiter.

Nicht jeder, der auf die Straße geht, hat Faschismustheorie und einschlägige historische Kenntnisse intus. Zwar wurden die Gelbwesten nicht die neue Avantgarde auf dem Weg in linke Utopien, aber die Versuche, die Bewegung von rechts zu instrumentalisieren, scheiterten. Das ist mal erfolgreiche Antifa.

Lehrreich im negativen Sinn ist in diesem Zusammenhang dagegen der Umgang mit der Massenbewegung für einen kostenlosen ÖPNV in Brasilien 2013: die Arbeiterpartei (PT) und weite Teile der Linken, darunter die Landlosenbewegung MST, bekämpften die Bewegung offensiv. Dadurch gewann die Rechte die Sympathien der Straße, was dann ein wesentlicher Faktor für den späteren Erfolg Bolsonaros war.

Die Linke muss sich unter den aktuellen Bedingungen auch hierzulande auf die Komplexität der neuen Verhältnisse einlassen. Die Frage ist, wie geht man mit Widersprüchlichem, mit Ambivalenz, mit Unfertigem, oder oft einfach nur mit Unwissenheit um. Gebraucht werden eine fundierte Analyse und eine entsprechende Strategie. Opportunistische Anpassung oder politische Beliebigkeit wären freilich der falsche Weg. Es bleibt klar: Faschismus, Antisemitismus, Rassismus, nationalistische, völkische Überlegenheitsideologien und dämonisierende Feindbilder haben in der Friedensbewegung nichts zu suchen.

Begriffliche Klarheit statt Kampfbegriffe

Fundierte Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse heißt als erstes, Klarheit in die Diffusität um zentrale Begrifflichkeiten wie "rechts" und "rechtsoffen" zu bringen.

Als rechts galten bis in die Ära Kohl die CDU/CSU und Umfeld, denen ein einigermaßen kohärentes Weltbild zugeordnet wurde: wirtschafts- und sozialpolitisch kapitalistischen Interessen verpflichtet, innenpolitisch für Law & Order, kulturell konservativ und außenpolitisch strikt transatlantisch mit Affinität zum Militärischen.

Links dagegen hieß: den Lohnabhängigen verpflichtet, innenpolitisch liberal und Demokratisierung in allen gesellschaftlichen Bereichen einfordernd, im kulturellen Habitus progressiv, und außenpolitisch für Entspannung und Abrüstung, internationale Solidarität sowie Distanz zum Militärischen.

Mit dem Triumph des Neoliberalismus begann die traditionelle Links-Rechts-Konfiguration jedoch zu erodieren. Mit New Labour – in Deutschland mit Gerhard Schröder als ‚Genosse der Bosse‘ – begann die Entfremdung zwischen Lohnabhängigen und Sozialdemokratie und deren Abstieg in fast allen Ländern des ‚demokratischen Kapitalismus‘. Die soziale Frage, die immer der harte Kern des Begriffs ‚links‘ war, wurde durch den Neoliberalismus zwar enorm verschärft, verlor aber zunehmend ihre Repräsentation im politischen System.

Hinzu kommt eine für unser Thema zweite, wichtige Entwicklung: Seit etwa einem Jahrzehnt werden Politiken hegemonial, die sich gegen die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten (POCs, LBQTI+ etc.) richten. Auch die gehören schon immer zum traditionellen Bestand linker Programmatik. Sie bleiben auch nach wie vor emanzipatorisch – wenn man einmal von Übertreibungen und Exzessen absieht, wie sie schon immer am Rand emanzipatorischer Bewegungen aufzutreten pflegen.

Wenn dann aber ein transnationaler Konzern wie Amazon, berüchtigt dafür, jede gewerkschaftliche Aktivität im Keim zu ersticken, mit dem Foto einer Muslima im Hidschab nach Arbeitskräften sucht, dann verwischt dieser "progressive Neoliberalismus" (Nancy Fraser) die klare Trennung zwischen links und rechts.

Ähnliches gilt, wenn beim Christopher Street Day 2023 in Berlin an der Spitze der Demo der ukrainische Botschafter und ein ganzer Block läuft, der den aggressiven Nationalismus Kiews und Krieg bis zum Sieg propagiert – und so Kompatibilität zwischen Bellizismus und linker Identitätspolitik herstellt.

Die relative Kohärenz linker wie rechter Weltbilder befindet sich in Auflösung, und die einstmals eindeutigen Begriffe sind auch innerhalb der jeweiligen Lager umstritten. Wer heute über "rechts" redet, steht deshalb in der Pflicht, präzise zu sagen, was damit gemeint ist. Das gilt umso mehr, wenn man "rechts" zum Zentrum eines Diskursfeldes macht, zu dem Faschismus, Antisemitismus, Rassismus u. a. vergleichbar antihumanistische Ideologien gehören.

Oft wird dann ‚rechts‘ auch prompt mit Faschismus, Antisemitismus etc. gleichgesetzt. Wir halten es dagegen für notwendig, weiterhin zwischen der konservativen Rechten und jenem Teil des politischen Spektrums zu unterscheiden, das gemeinhin als ‚rechtsextrem‘ bezeichnet wird, also den Anhängern von völkischen, rassistischen, antisemitischen, nationalistischen und anderen Ideologien, die eine Ungleichheit von Menschen(gruppen) behaupten. Auch Auffassungen, die sich der Rechts-Links-Polarität entziehen, können nicht von vorneherein und pauschal als "rechts" eingeordnet werden.

Hinzu kommt, dass die Rede von der "Rechtsoffenheit" die Diffusität der Begriffe noch um einiges erhöht, sodass sie in völlig nebulöser Beliebigkeit endet. Sie wird dann zum Nährboden für eine Unkultur permanenter Verdächtigung und Denunziation, befeuert von selbsternannten Tugendwächtern. Auf solchem Treibsand lassen sich ursprünglich sinnvolle Begriffe leicht als Kampfbegriffe missbrauchen. Es geht dann nicht mehr darum, die Wirklichkeit zu verstehen, sondern die Begriffe für die Ausgrenzung von Positionen, Personen und Gruppen zu instrumentalisieren.