Reform der Grundsteuer: Kommt der große Aufstand gegen die Regierung?
Staatsversagen in großem Ausmaß: Streitfälle beschäftigen die Gerichte, die Finanzverwaltung ist überlastet. Braut sich da ein neuer Skandal zusammen?
Die Grundsteuerreform in Deutschland löst bei vielen Immobilienbesitzern Entsetzen und Wut aus. Seit sie die ersten Bescheide vom Finanzamt erhalten haben, fürchten sich Millionen Eigentümer vor stark steigenden Abgaben ab 2025.
Über einzelne Härtefälle berichten vorwiegend Lokalmedien, zuletzt hatte aber auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel über den wachsenden Unmut gegen ein Mammutprojekt der Finanzverwaltung berichtet, das sich zum nächsten großen Skandal der Republik entwickeln könnte.
Ein Rentnerehepaar aus Stuttgart-Kaltental zum Beispiel müsse dann voraussichtlich 2.875 Euro pro Jahr zahlen – statt bisher 195 Euro, berichtet das Magazin "Das grenzt an Enteignung", sagt der 67-jährige Burkhard Wolf. Das Ehepaar fühlt sich für seinen großen Garten "bestraft", der ihm jetzt zum Verhängnis wird. Sie klagen bereits gegen die neue Berechnung.
Die Grundsteuerreform geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2018 zurück. Es hatte die völlig veraltete Bewertung von Grundstücken als verfassungswidrig eingestuft. Bis Ende 2024 müssen nun alle 36 Millionen Liegenschaften in Deutschland neu bewertet werden – ein Mammutprojekt, das offensichtlich durch Verwaltungsfehler und Personalmangel an die Wand gefahren wird.
Jeder Immobilienbesitzer musste dafür eine Erklärung mit Daten ans Finanzamt schicken. Auf dieser Basis berechnet die Behörde nun den sogenannten Grundsteuerwert. Viele Eigentümer staunen über die Ergebnisse in den ersten Bescheiden, die sie jetzt erhalten:
- In Sachsen wurde ein Grundstück, das bisher mit 10 Pfennig pro Quadratmeter bewertet wurde, auf 83 Euro hochgestuft - eine Steigerung um mehr als das 1600-fache.
- In Rheinland-Pfalz ging das Finanzamt bei einem sanierungsbedürftigen Altbau von Mieteinnahmen aus, wie sie in Neubauten erzielt werden. Der Bundesfinanzhof gab der Eigentümerin später Recht.
- In Nordrhein-Westfalen wurde ein an einen Golfklub verpachtetes Grundstück wie Bauland bewertet - mit einem amtlichen Wert von 29 Millionen Euro. Tatsächlicher Verkehrswert: 297.500 Euro.
"Solche Fälle schaden der Akzeptanz der ganzen Reform", sagt Steuerberater Oliver Hagen. Ihm berichten viele Mandanten von als willkürlich empfundenen Bewertungen. Das beklagen auch Interessenverbände wie Haus & Grund oder der Bund der Steuerzahler. Sie koordinieren Musterklagen gegen die Reform.
Besonders umstritten ist, dass die Reform vielerorts zu Verschiebungen führt: Gewerbeimmobilien werden häufig niedriger besteuert, Einfamilienhäuser deutlich höher. "Da beklagen sich natürlich nur die Verlierer, nicht die Gewinner", sagt Steuerrechtsexperte Marcel Krumm von der Uni Münster. Er hält einen Großteil der Aufregung für einen "Verteilungskampf".
Verpatzte Grundsteuerreform: Kommunen bessern nach
Viele Kommunen versuchen, Schieflagen durch eine Anpassung der Hebesätze auszugleichen, mit denen aus dem Grundsteuerwert die eigentliche Steuer berechnet wird. Die genaue Belastung für jeden Eigentümer steht daher vielerorts bisher nicht fest. Es zeichnet sich aber in etlichen Städten und Gemeinden ab, dass die Reform bei manchem Bürger zu massiven Erhöhungen führen wird.
Der Unmut darüber könnte nach Einschätzung von Lokalpolitikern das Vertrauen in die Demokratie beschädigen: "Die Auswirkungen werden sich bei den Wahlen niederschlagen", prognostiziert die Gladbecker Bürgermeisterin Bettina Weist (SPD). In Sachsen haben sich "Grundsteuerrebellen" zusammengetan, die gegen ihre Bescheide protestieren. Die AfD fordert gleich die komplette Abschaffung der Grundsteuer.
Härtefälle abmildern
Bund und Länder steuern inzwischen gegen und korrigieren das Regelwerk punktuell – um Härtefälle abzumildern. Doch Steuerrechtler Krumm bezweifelt, dass die Möglichkeiten dafür in der Praxis häufig genutzt werden. Die nötigen Gutachten seien für viele Bürger zu teuer. Das sehen auch die "Grundsteuerrebellen" in Sachsen so. Sie hoffen nun auf die Landtagswahl im September. Ihr Sprecher Torsten Küllig warnt: "Sonst könnte die Frustration bei vielen weiter steigen."
Das hätte womöglich auch politische Folgen und würde den Niedergang der Ampel-Koalition weiter beschleunigen.