Reform für Arbeitgeber: "Gut für die Arbeitsplätze"?

Seite 2: Die geplanten Neuerungen im Arbeitsrecht

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Nach wie vor hat die französische Öffentlichkeit in weiten Teilen noch gar nicht alle einzelnen Bestimmungen des Entwurfs zur "Reform" des französischen Arbeitsrechts entdeckt. So plant die Regierung in ihrem Gesetzesvorhaben u.a., die bisher obligatorischen periodischen Untersuchungen bei der für das jeweilige Unternehmen zuständigen "Arbeitsmedizin" - beim Antritt einer Arbeitsstelle und in periodischen Abstände - durch reine "Informationsbesuche" zu ersetzen.

Deswegen fürchtet die Angestelltengewerkschaft CFE-CGC, den Ärztinnen und Ärzten werde insbesondere das Recht genommen, über von ihnen beobachtete Phänomene von burn-out (Erschöpfung, Ermattung im Arbeitsverhältnis) zu berichten.

Bislang war für den Jahres- (oder Teil-) Urlaub des Lohnabhängigen eine Sperrfrist von einem Monat vorgesehen: Innerhalb eines Monats vor Urlaubsantritt konnte der Arbeitgeber nicht mehr einseitig das Datum ändern. Diese Sperrfrist entfällt nunmehr und soll freien Vereinbarungen weichen. Pech für die Lohnabhängigen, falls sie einen Flug gebucht haben sollten…?

11 Stunden Ruhezeit pro Tag - nicht mehr am Stück

Gravierend ist auch die Bestimmung, wonach zwar die derzeitige Mindestgarantie von 11 Stunden Ruhezeit pro Tag - was im Umkehrbeschluss eine gesetzlich zulässige Maximalarbeitszeit von dreizehn Stunden täglich bedeutet - beibehalten wird; doch soll die Regel entfallen, wonach eine elfstündige Ruheperiode am Stück und ohne Unterbrechung gewährt bleiben muss. Künftig soll die Ruhezeit von elf Stunden täglich auch, infolge einer freien Vereinbarung, gestückelt werden können.

Dies betrifft insbesondere Lohnabhängige mit einem so genannten forfait-jour, d.h. einer Arbeitszeitpauschale, aufgrund derer keine Überstunden mehr gemessen werden. Vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen bis zu 50 Beschäftigten wird die Möglichkeit, solche Arbeitszeitpauschalen mit Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern zu "vereinbaren", durch den Gesetzentwurf erheblich ausgedehnt.

Die gewerkschaftliche Vertretung

Im ersten Vorentwurf war geplant, dass der Arbeitgeber in diesem Falle sogar - ohne jegliche kollektive Interessenvertretung einzuschalten - in Unternehmen dieser Größe allein entscheiden können soll, welchen abhängig Beschäftigten er eine solche Pauschalregelung "vorschlägt".

Nunmehr soll - nachdem der Entwurf am 14. März, infolge erster Proteste, an einigen Punkten leicht entschärft worden ist - der Arbeitgeber in Unternehmen mit bis zu fünfzig Beschäftigten, in denen kein gesetzlich vorgeschriebener délégué syndical, d.h. keine gewerkschaftliche Vertretung mit Verhandlungsvollmacht, existiert, mit einem oder einer einzelnen Beschäftigten seines Unternehmens darüber verhandeln. (Was natürlich ein absolut tolles Kräftegleichgewicht garantiert!)

Der oder die Lohnabhängige soll dafür von einer, extern bleibenden, Gewerkschaft mit einer zeitlich befristeten und auf dieses Verhandlungsthema beschränkten Sonder-Verhandlungsvollmacht ausgestattet werden. Man spricht von salarié mandaté oder salariée mandatée, also einem oder einer abhängig Beschäftigten mit (Verhandlungs-) Auftrag.

Erleichterung von betriebsbedingten Kündigungen

Zu den geplanten Neuerungen im Arbeitsrecht zählt auch die Erleichterung von betriebsbedingten Kündigungen (licenciements économiques). Bislang muss ein Konzern, der in Frankreich Massenentlassungen plant, nachweisen, dass er in der betreffenden Sparte wirtschaftliche Schwierigkeiten aufweist und zwar auf nationaler wie internationaler Ebene.

Der Entwurf möchte die Analyse dazu auf die nationale Ebene beschränken; multinationale Unternehmen könnten also ungestört Gewinne und vorgebliche Verluste je nach Bedarf zwischen ihren Filialen verteilen und eventuell damit Massenkündigungen begründen.

Beispielsweise kann der Toyota-Konzern dann - um ein konkretes, aktuelles und real existierendes Beispiel zu benennen - die Geldmittel seiner französischen Filiale (Toyota France) teilweise abziehen und diese Filiale finanziell austrocknen, etwa weil aus seiner Sicht die CGT in seinen französischen Niederlassungen zu stark präsent sein könnte.

Im konkreten Falle werden die Finanzmittel der europäischen Filialen in Brüssel konzentriert. Bislang hätte Toyota nachweisen müssen, dass es ihm - im Falle von Entlassungen im Automobilbereich auf französischem Boden - weltweit in der Automobilbranche schlecht geht. Was übrigens nicht der Fall ist. Künftig müsste Toyota nur noch nachweisen, dass es seiner französischen Filiale nicht gut geht.

Festgelegte Obergrenzen für Abfindungszahlungen

Umstritten war und ist auch das Regierungsvorhaben, gerichtlich zu erstreitende Abfindungen bei sozial ungerechtfertigten Kündigungen zu deckeln. Die Regierung wollte ursprünglich statt einer Untergrenze, wie sie bislang gilt, künftig eine Obergrenze einführen, die die Arbeitsrichter nicht überschreiten dürfen. Und zwar im Namen der "Rechtssicherheit" für Unternehmen, die ungerechtfertigt entlassen.

Angeblich schafft dies Arbeitsplätze, weil es den Unternehmen "die Furcht vor Neueinstellungen nimmt", so lautet die Begründung. (Ausnahmen sollten im Falle von Kündigungen infolge von Mobbing oder ausdrücklich rechtswidriger Diskriminierung gelten.)

Diese Bestimmungen wurden bei der partiellen Entschärfung des Entwurfs vom 14. März relativiert. Im Grundsatz werden sie beibehalten, doch wird die Richterrolle gestärkt. So soll nach wie vor eine Tabelle mit Obergrenzen für Abfindungszahlungen vor den Arbeitsgerichten - im Falle betriebsbedingter Kündigungen - existieren.

Nach bislang geltendem Recht gab es lediglich eine Untergrenze von sechs Monatslöhnen (ab zweijähriger Unternehmenszugehörigkeit) als Abfindung bei einer ungerechtfertigten Kündigung. Stattdessen gibt es künftig Obergrenzen von drei Monatslöhnen bis zu zweijähriger Unternehmenszugehörigkeit, von sechs Monatslöhnen zwischen zwei und fünf Jahren usw., bis zu fünfzehn Monatslöhnen ab zwanzigjähriger Zugehörigkeit.

Allerdings, so lautet die Ankündigung zur "Reform der Reform" vom 14. März, sind diese Obergrenzen künftig nicht mehr rechtsverbindlich: Wünschen die Arbeitsgerichte dies, dann dürfen sie davon abweichen, werden dann jedoch durch die verurteilte (Arbeitgeber-) Partei unter Rechtfertigungsdruck gesetzt werden (die Arbeitsgerichte in Frankreich sind paritätisch aus "Arbeitnehmer"- und "Arbeitgeber"-Vertretern zusammengesetzt).

"Betriebsbedingte Schwierigkeiten"

Ferner verfeinert die Reform die Kriterien dafür, ab wann das Unternehmen "betriebliche (wirtschaftliche) Probleme" geltend können machen soll. Bislang war im Gesetz nur generell von "wirtschaftlichen Schwierigkeiten" die Rede, das Nähere dazu regelten die Arbeitsgerichte in Einzelfallprüfung. Künftig wird jedoch vorgegeben, ab wann "betriebsbedingte Schwierigkeiten" (also Kündigungsgründe) anerkannt werden sollen.

Dies ist in Zukunft dann der Fall, wenn das Unternehmen entweder vier Quartale hindurch - also ein Jahr lang - seinen Umsatz sinken sieht (aber noch schwarze Zahlen schreibt), oder wenn es ein halbes Jahr lang Verluste verzeichnet. Abkommen mit Gewerkschaften sollen diese Perioden auf ein halbes Jahr (sinkender Umsatz) respektive ein Vierteljahr (Verlustperioden) absenken können.

Abstimmungen im Betrieb

Bislang können in Frankreich - wo Gewerkschaftspluralismus besteht - Minderheitengewerkschaften eine Vereinbarung unterzeichnen, wenn sie mindestens 30 Prozent der Stimmen unter den Beschäftigten wiegen. Doch Mehrheitsgewerkschaften, die mindestens 50 Prozent wiegen, können das Inkrafttreten der Bestimmungen verhindern, wenn sie ihr Veto binnen einer Woche einlegen.

Die Regierung will diese Bestimmung kippen und durch eine Abstimmung (unter Organisierten wie Nichtorganisierten) im Betrieb ersetzen. Die CGT moniert, dies sei nur im Einzelunternehmen und nicht auf Branchenebene vorgesehen, deswegen würde eine solche Abstimmung sich stets unter dem Druck des erpresserischen "Arbeitsplätze"-Arguments vollziehen.

Regelarbeitszeit von 35 Stunden pro Woche nur im dreijährigen Mittel nötig

In Sachen Arbeitszeit sieht der Entwurf i.Ü. drastische Möglichkeiten zu ihrer Verlängerung vor. Überdauert hat auch in dem leicht entschärften Entwurf eine Bestimmung, wonach eine flexibilisierte Arbeitszeit auf bis zu drei Jahre bemessen werden kann. Dies bedeutet, dass die theoretisch geltende Regelarbeitszeit von 35 Stunden pro Woche nur im dreijährigen Mittel erreicht werden müsste, was innerhalb dieses Zeitraums sehr viel längere Arbeitswochen zulässt.

Bislang gilt (seit der verbindlichen Einführung der nur theoretisch geltenden 35-Stunden-Woche im Jahr 2000), dass die Regelarbeitszeit im einjährigen Mittel erreicht werden muss, wenn dies mit den Gewerkschaften ausgehandelt wurde - oder im Monatsmittel bei einseitiger Entscheidung des Arbeitgebers. Die Regierungsspitze möchte letztere Möglichkeit auf vier Monate ausdehnen, und hat nun als "Kompromiss" eine neunwöchige Periode dafür akzeptiert.

Ebenfalls als "Kompromiss" akzeptierte sie am 14. März d.J., dass ein Branchenabkommen die Möglichkeit vorsehen (also erlauben) muss, dass einzelbetriebliche Abkommen vom ein- auf das dreijährige Mittel übergehen. Das bedeutet dann in der Praxis vor allem, dass viele Überstunden nicht als solche bezahlt werden, und dass die abhängig Beschäftigten je nach Auftragslage des Unternehmens mal länger und mal kürzer arbeiten müssen.

Ferner enthält der Gesetzentwurf eine Bestimmung, wonach mit "Arbeitsplätzesicherung" begründete Abkommen im Unternehmen Arbeitszeiten verlängern können. Arbeitnehmern, die sich dem widersetzen, droht demzufolge künftig die Kündigung. Lohnkürzungen wurden dagegen seit dem 14. März aus dem Vorhaben, solche "arbeitsplatzsichernden" Abkommen zu genehmigen, herausgenommen.

Bereits nach bisher geltendem Recht waren solche "arbeitsplatzsichernden Abkommen" (mit bislang bis zu zweijähriger Dauer) zulässig, aber nur, wenn das Unternehmen in - so war es im Gesetz vom Juni 2013 dazu formuliert - "gravierenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten" steckt. Künftig sind solche Abkommen hingegen auch in ökonomischen Schönwetterperioden zulässig, sofern sie mit längerfristiger "Arbeitsplatzsicherung" begründet werden.

Nun, Hand aufs Herz: Werden "Arbeitgeber" - wenn sie von ihren abhängig Beschäftigten Opfer fordern - nicht immer, immer, immer darauf berufen, dass dies "gut für die Arbeitsplätze" und "beschäftigungssichernd" sei?