Regieren in der Minderheit und mit Experten: Neue Optionen durch Sondervermögen

Jongleur mit 500-Euro-Bällen vor BRD-Flagge

Deutschland vor historischer Wende. Sondervermögen eröffnet Spielraum – auch bei Regierungsformen. Doch wer hat den Mut, die Chance zu nutzen?

Anfangs schien es vielen eine Kommunikationsstrategie der CDU zu sein, immer nur von einem "Sondervermögen", statt von "Neuverschuldung" zu sprechen. Es ist eine wenig bekannte Form des öffentlichen Haushaltsrechts, die Genehmigung eines zusätzlichen und meist langjährigen Kreditrahmens außerhalb des ordentlichen Haushalts für einen genau bestimmten Zweck.

Schulden werden aus diesem Sondervermögen erst, wenn im Parlament über die detaillierte Verwendung beschlossen und dazu Bundesanleihen ausgegeben werden.

Und davon ist auszugehen, von welcher Regierung auch immer. Denn die darin vorgegebenen Verwendungen sind fast alle dringlichst.

Regiert werden kann auch ohne Koalition

Ob das allerdings Friedrich Merz sein wird, ist offen. Noch ist er nicht gewählt worden. Die Koalitionsverhandlungen stecken bei der Haushaltskonsolidierung und noch eindeutiger beim großen Streitthema Migration offensichtlich fest – und da SPD-Politikerin Saskia Esken während dieser Verhandlungen im Urlaub ist, könnte dies darauf hindeuten, dass innerhalb der SPD-Führung derzeit keine klaren Signale zur Kompromissbereitschaft gesetzt werden.

Überziehen darf die SPD nicht. Denn mit der Genehmigung dieses Kreditrahmens werden auch verschiedene Formen parteiübergreifenden Regierens leichter und selbst Minderheits- und Expertenregierungen haben damit enorme Möglichkeiten. Es sind Regierungsformen, die für uns bis jetzt nicht gewohnt sind.

Alle Fragen abdeckende Koalitionsverträge müssen nicht sein. Im Grundgesetz steht nichts von Koalition. Da steht nur, dass ein Kanzler gewählt werden muss, so gar nicht mal all-in. Schon im zweiten Wahlgang genügt die einfache Mehrheit.

Dieser Kanzler hat dann die Richtlinienkompetenz und kann seine Minister dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorschlagen, viel Flexibilität für ein Regieren auch ohne Koalition – und diplomatischen Anforderungen bei der Ernennung der Minister und für parteiübergreifende Mehrheiten für die einzelnen Gesetze.

Aber auch ein Unions-Kanzler könnte einen Pistorius als Verteidigungsminister gut finden. Kompetenz und Qualität würden gut zu diesem Sondervermögen passen.

Parteiübergreifend, statt nur Brandmauer

Auch das Versprechen, nicht mit der AfD zu koalieren, erhält gerade damit zusätzliche Flexibilität. Denn es ist nachvollziehbar, dass eine Reihe von Abgeordneten der AfD durch rechtsextreme Bemerkungen aufgefallen sind und deshalb keine Koalitionsbereitschaft bestehen wird, zumindest nicht mit diesen im Parlament gern pöbelnden Abgeordneten in der ersten Reihe.

Letztlich aber stehen Fraktionsdruck oder Fraktionszwang ebenfalls nicht im Grundgesetz und gerade die AfD legt hier großen Wert auf die Meinungsfreiheit ihrer Abgeordneten – zumindest, wenn es nicht um ihre eigenen Anträge geht.

Im Klartext: Minderheitsregierungen sind möglich, wenn die Abgeordneten parteiübergreifend Gesetze beschließen. Kein Idealzustand, aber tragbar für eine Übergangszeit – und eine Phase lebendiger Diskussion.

In der Vorphase der Grundgesetzänderung gab es seit Langem wieder einmal eine solche freie Debatte zwischen den Abgeordneten, von den üblichen Zwängen frei, zumindest weitgehend. Und die Diskussion veränderte den ursprünglichen Vorschlag von SPD und Union.

Die Erfahrungen der Nachbarländer

Die Schweiz hat parteiübergreifendes Regieren schrittweise im letzten Jahrhundert eingeführt, mit einem aus heutiger Sicht großen Erfolg für Stabilität und Wohlstand. Österreich hatte eine Expertenregierung. Vor allem wurden lang umstrittene Infrastrukturprojekte im Straßenbau und bei der Bahn und die Digitalisierung der Verwaltung.

Es ist als eine erfolgreiche positive Phase in Erinnerung, sowohl in der Bevölkerung als auch in der Wirtschaft. Es zählte Kompetenz statt Parteibuch. Dieses Modell ist auch in unserer Demokratie möglich, insbesondere als eine von allen Parteien getragene Zwischenlösung, es muss kein Dauerzustand sein.

Ein Kanzler – all-in

Friedrich Merz hat allerdings mehrfach geäußert, für Minderheitsregierungen nicht zur Verfügung zu stehen, zuletzt auch am Tag des Bundesratsentscheids.

Ein Kanzler muss sich natürlich finden – oder eine Kanzlerin – und der Bundespräsident muss ernennen, was im zweiten Wahlgang mit einfacher Mehrheit des Bundestags verfassungskonform und damit eher Formsache wäre.

Wem auch immer die Verantwortung für die Verwendung dieser Sondervermögen zufällt, die Verantwortung für gleichzeitige Konsolidierung des Haushalts bleibt bestehen.

Der Gedanke der Schuldenbremse ist glücklicherweise nicht aufgegeben und bleibt eine unverzichtbare Verantwortung gegenüber der Belastbarkeit der nächsten Generationen. All das sind Herausforderungen, die bayerische Ministerpräsidenten traditionell beherrschen. Das auch wichtige diplomatische Geschick beherrschen sie allerdings weniger.

Der Schuldenstand Deutschlands beträgt 62,7 Prozent des BIP (2025), was im Vergleich zum EU-Durchschnitt (89,5 Prozent) relativ niedrig ist. Das geplante Sondervermögen könnte diesen um etwa zehn Prozentpunkte erhöhen. Das relativiert sich, auch in die Zinshöhe, wenn zur Konsolidierung auch der Ruf Deutschlands als Wirtschaftsstandort verbessert wird. Dabei kann der Blick auf die Ursachen der langjährigen Abwärtsspirale hilfreich sein.

Mehr Schulden, erst mal mehr Zinsen

Noch ist die Verschuldung nicht real. Wer diese neuen Möglichkeiten nutzt und mit welcher begleitende Konsolidierung, bleibt spannend. Mehr Schulden werden auf jeden Fall gemacht. Die Zinsen für zehnjährige Bundesanleihen stiegen kürzlich auf fast drei Prozent.

Dass die Verschuldung kommt, scheint der Finanzwelt also sicher. Ob die Wirtschaft dadurch anspringt, ist dagegen noch offen. Da ist noch nichts zu spüren. Die Unternehmer warten noch ab, wie die Konsolidierung aussieht.

Wer auch immer regiert, hat die Chance, es gut zu machen, und die Flexibilität ist erhöht.