Regierung zögert Rückführung deutscher IS-Terroristen hinaus
Wo ist das Problem?
US-Präsident Trump twitterte mal wieder. Die USA hielten hunderte IS-Kämpfer in Syrien fest, darunter auch Deutsche. Europa solle seine Dschihadisten zurückholen, sonst müsse man sie freilassen. Und man würde ungern zusehen, wie die IS-Kämpfer nach Europa einsickern.
Na ja, festzuhalten ist zunächst, dass nicht die USA die Dschihadisten festhalten, sondern die Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) der Demokratischen Föderation Nordost-Syrien. Sie und die Selbstverwaltung der Föderation kümmern sich um die Gefangenen und sind für deren Versorgung zuständig. Allerdings hat Trump mit seiner Forderung der Rücknahme recht. Warum sollte man der Bevölkerung Nordost-Syriens die Verantwortung für diese Terroristen aufbürden?
Haben die kurdischen, arabischen, aramäischen und jesidischen Einheiten nicht schon genug Opfer gebracht, als sie sich als Einzige am Boden mit Luftunterstützung der Anti-IS-Koalition dem IS entgegenstellten?
Wie Telepolis berichtete, befinden sich mehr als 60 deutsche Dschihadisten mit ihren Kindern in Gewahrsam in Nordsyrien. Zahlreiche Journalisten aus aller Welt reisten in die Föderation, um sich über die Lage vor Ort ein Bild zu machen. Reportern vom NDR und SWR gelang es, die Genehmigung für Interviews mit inhaftierten deutschen IS-Terroristen zu bekommen. Andere Journalisten konnten mit deutschen IS-Frauen sprechen.
Anzunehmen ist, dass auch deutsche Behördenvertreter vor Ort sind, schließlich gehört Deutschland auch zur Anti-IS-Koalition. Die Bundesregierung äußerte sich zurückhaltend zu Trumps Forderung. Man habe zwar Kenntnis von deutschen Staatsangehörigen, die sich in Nordsyrien in Gewahrsam befinden sollen, berichtete das Auswärtige Amt. Man habe aber keine eigenen Erkenntnisse. Wirklich nicht?
Details "unter Verschluss"
Im November 2018 stellten Abgeordnete der Partei Die Linke eine detaillierte Anfrage zu deutschen IS - Angehörigen in Nordsyrien. Darin verweist die Bundesregierung auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse, die nicht öffentlich gemacht werden können und viele Detailfragen daher nicht offen beantwortet werden können.
Schon im November verwies die Bundesregierung darauf, dass eine konsularische Betreuung nach der Schließung der deutschen Botschaft in Damaskus nicht möglich sei. Heute, drei Monate später, hören wir noch immer die gleiche Argumentation, obwohl andere Länder schon längst die Rückführung ihrer IS-Terroristen vorbereiten.
Darüber hat die Bundesregierung durchaus eigene Erkenntnisse, denn das geht aus der Nicht-Beantwortung der Frage 4 in der Anfrage hervor: "Die Beantwortung kann nicht offen erfolgen. Auf die Vorbemerkung der Bundesregierung wird verwiesen."
Und die Vorbemerkung sieht so aus (Auszüge):
Die Beantwortung der Fragen 3a, 4 bis 4b, 5, 6, 9 und 10 kann ganz oder in Teilen nicht offen erfolgen... Die Kenntnisnahme von einzelnen nachrichtendienstlichen Analyseergebnissen durch Unbefugte könnte die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährden ... Eine Veröffentlichung von solchen Einzelheiten würde im vorliegenden Fall zu einer wesentlichen Schwächung der dem Bundesnachrichtendienst zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Informationsgewinnung führen und ließe Rückschlüsse auf die Aufklärungsschwerpunkte, Methoden der Erkenntnisgewinnung und Kooperationen mit anderen Nachrichtendiensten zu ...
Antwort der Bundesregierung
Rückführung prinzipiell möglich
Es wäre durchaus möglich, die inhaftierten Deutschen rückzuführen. Eine Möglichkeit bestünde darin, die nordirakische kurdische Autonomieregierung zu konsultieren, um die Übergabe der deutschen Islamisten an einem Grenzübergang zwischen Nordsyrien und dem Nordirak zu organisieren. So könnten die SDF die Gefangenen an die Grenze bringen, sie den deutschen Behörden unter Beobachtung der nordirakischen Peschmerga übergeben und sie mit der dort stationierten Bundeswehr über den Landweg und den Flughafen Erbil nach Deutschland fliegen.
Die Vertretung der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien in Berlin könnte bei der Organisation der Gefangenenübergabe behilflich sein. Auch dieses Szenario wurde schon im November 2018 in Frage 15 angesprochen und wie folgt beantwortet:
Die Beantwortung der Frage kann nicht offen erfolgen. Die erbetenen Auskünfte sind unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Vertraulichkeit im Bereich bilateraler Kooperationen besonders schutzwürdig. Gemäß § 2 Absatz 2 Nummer 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz vom 10. August 2018 (Verschlusssachenanweisung - VSA) werden die Informationen daher als "VS - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft und dem Deutschen Bundestag gesondert übermittelt.
Antwort der Bundesregierung
Letztlich will es die Bundesregierung vor allem vermeiden, die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien in irgendeiner Form als Verhandlungspartner anzuerkennen. Denn das würde den türkischen Präsidenten Erdogan wieder in Wallung bringen und mit dem möchte man weiterhin freundschaftliche Beziehungen pflegen.
Dies wird auch in einer Rede von Staatsminister Niels Annen deutlich, die er letzte Woche auf einer Konferenz der deutsch-türkischen Kommunalpartnerschaften hielt:
Die Türkei ist und bleibt für uns, wie auch für die EU, ein wichtiger bi- und multilateraler Partner. Sie ist die Brücke Europas in den Nahen und Mittleren Osten. Und wir haben gemeinsame regionale Interessen, wie derzeit in Syrien, wo die Türkei ganz unmittelbar betroffen ist - und daher ein unverzichtbarer Partner für eine Lösung des Bürgerkriegs.
Staatsminister Niels Annen
Ist die Türkei wirklich unverzichtbarer Partner für eine Lösung des "Bürgerkrieges" in Syrien? Ist die völkerrechtswidrige Annektion Afrins und der drohende Einmarsch der Türkei in ganz Nordsyrien, um die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyriens zu zerschlagen, unser "gemeinsames regionales Interesse"? Sind die Vertreibung der dortigen kurdischen Bevölkerung, die Zerstörung von kurdischen und jesidischen Kulturgütern und die Türkisierung der besetzten Gebiete in Nordsyrien unsere "gemeinsame Lösung" mit dem Partner Türkei für den Bürgerkrieg in Syrien?
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