Regierungskrise dank Potenzmittel und Medienhilfe
In Griechenland beherrscht das Liebesleben von Regierungsbeamten mit Todesfolge Medien und Politik
Auf Beipackzetteln in Arzneimittelpackungen steht nicht zu unrecht: "Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Apotheker." Den aktuellen griechischen GAU, der offenbar durch die Einnahme eines Potenzmittels begünstigt wurde, kann dennoch keiner vorhersehen. Zu den unerwarteten Nebenwirkungen zählen neben einer mittleren Regierungskrise, tiefen Einblicken in das Liebesleben hoher Regierungsbeamter natürlich die Top-Einschaltquoten der privaten TV-Sender. Andererseits enthüllt dieser Fall die Arbeitsweise der griechischen Medien, deren Glaubwürdigkeit oft angezweifelt wird.
Am Abend des 9. Februar 2007 wurde der Verwaltungsdirektor der staatlichen griechischen Versicherungsanstalt IKA, Yiannis Vartholomaios, auf einer Straße in einem Vorort Athens offensichtlich erschlagen aufgefunden. Der 66-jährige Karrierebeamte, politisch der Regierungspartei Nea Dimokratia nahe stehend, war ohne seinen Fahrer und ohne seinen Personenschutz unterwegs.
Der verheiratete Vartholomaios hatte, so stellte sich schnell heraus, eine Verabredung mit seiner ebenfalls verheirateten 48-jährigen Geliebten. Dabei wurde er vom Ehemann seiner Geliebten noch vor dem Haus, in dem sich seine Freundin befand, überrascht.
Der 59-jährige gehörnte Ehemann hatte einen Detektiv beauftragt, der ihn darüber benachrichtigte, dass die Ehefrau zu ihrem Elternhaus gegangen war. Da die Schwiegereltern kurzfristig in Urlaub waren, vermutete der gehörnte Ehemann zu Recht, dass ein außereheliches Schäferstündchen bevorstand. Er postierte sich vor das Haus und stellte sich seinem Nebenbuhler in den Weg und stellte ihn zur Rede. Bei dem darauf folgenden kurzen Handgemenge starb Vartholomaios. Bevor er sich vom Tatort entfernte, veranlasste der Täter noch einen Passanten dazu, Krankenwagen und Polizei zu rufen. Der mutmaßliche Totschläger stellte sich nach zwei Tagen selbst den Behörden und wurde zunächst aufgrund eines Mordverdachts vorläufig festgenommen.
Die journalistische Verarbeitung
Ein solches Familiendrama liefert normalerweise höchstens eine gute Vorlage für gerade einen preiswerten Realitykrimi. Als griechisches Reality-TV kann es aber tagelang und vor allem preiswert die Hauptnachrichtensendungen füllen und als Zugabe Zeitungsschlagzeilen liefern. Denn es müssen lebenswichtige Fragen von unermesslichem öffentlichen Interesse beantwortet werden. Wo arbeitet der Täter? Was sagt seine Verwandtschaft? Was wussten die Nachbarn? Was sagt der Privatdetektiv? Was kann man über die Frau erfahren, die das Drama ausgelöst hat? Was sagen die Kollegen des gehörnten Ehemanns? Wie denken die Mitarbeiter des Opfers über ihren Chef?
Diese und andere Fragen füllen derzeit die werbeträchtige Primetime. Stündliche Nachrichtenteaser über neue Enthüllungen fesseln gespannte Fernsehkonsumenten an die Sender. Nachdem sich die griechischen Medien tagelang über die verhängnisvolle Affäre von Vartholomaios ausgelassen hatten und bevor die Einschaltquoten wieder sanken, kamen in den Nachrichtensendungen des privaten griechischen Fernsehsenders Mega TV die Kollegen der Geliebten von Vartholomaios zu Wort.
Die griechische Öffentlichkeit erfuhr, dass die werte Dame direkte Untergebene und Protegierte von Vartholomaios war. Vartholomaios hatte dafür gesorgt, dass seine Sekretärin, die bis auf einen Schulabschluss keinerlei fachspezifischen Abschluss vorweisen kann, ohne Lehre oder Studium als provisorische Abteilungsdirektorin für die zentral gesteuerten Einkäufe des IKA verantwortlich war. Sie sollte zur ständigen Abteilungsdirektorin befördert werden.
Dafür wurde in das Gesetz 3518 unter Absatz 35 eine kleine Änderung der Personalordnung des IKA eingebaut. Die Sozialkasse IKA, die sowohl als Rentenversicherungsträger auftritt als auch über eigene Polikliniken und Arztpraxen für ihre Versicherten verfügt, gibt pro Jahr mehrere Millionen Euro für Einkäufe aus. Entsprechend begehrt sind die Lieferverträge mit IKA: Beschwerden von Firmen, die von Lieferverträgen ausgeschlossen wurden, gab es schon lange, seit der IKA Gründung wird über Korruption in der Behörde gemunkelt. Ebenso lang ist bekannt, dass nach mehrfacher Ausschreibung im IT-Sektor für die Verwaltung der Kasse, mangelhafte Software zu hohen Preisen bestellt wurde.
Die Gesetzesänderung ist auch vor Monaten veröffentlicht worden. Jeder Fachjournalist hätte die Möglichkeit gehabt, offensichtliche Vetternwirtschaft anzuprangern. Trotzdem suchen die griechischen Medien jetzt nach einem quotenträchtigen Hauptschuldigen. Prozesse wie gegen Peter Hartz können aber nicht stattfinden. Vartholomaios kann aufgrund seines Ablebens nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden, also wird der Arbeits- und Sozial- Minister, Savvas Tsitouridis, beschuldigt. Schließlich trägt er die politische Verantwortung für die Sozialversicherung.
Natürlich hat kein Abgeordneter, weder von der Regierung noch von der Opposition, die Tragweite des kurzen Absatzes in der Gesetzesnovelle erkannt. Offenbar hat niemand den Text gelesen. Genau darauf beruft sich auch Minister Tsitouridis. Die Opposition schweigt zu ihrem eigenen Versagen als Kontrollinstanz einer parlamentarischen Demokratie und fordert stattdessen den Kopf des Ministers während gleichzeitig geprüft wird, ob nicht auch noch andere Regierungsstellen in den Skandal verwickelt sind. Aus dem eigentlichen Kriminalfall entwickelt sich ein Politikum, das noch mehr Sendezeit mit endlosen Diskussionen füllen kann.
Der Täter und die öffentliche Meinung
Bleibt nur noch der gehörnte Ehemann, irgendwie muss dem armen Mann doch geholfen werden. Auch hier haben die philantropen Medien die Lösung gefunden. Wurden bei Vartholomaios nicht kleine blaue potenzsteigernde Pillen gefunden? Kann es nicht sein, dass die Einnahme dieser Pillen eine bestehende Herzkrankheit des Todesopfers begünstigt hat? Hat ein gehörnter Ehemann nicht das Recht, seinen Nebenbuhler zur Rede zu stellen? Kann man mit solchen Fragen nicht auch Sendezeit und Zeitungsseiten füllen?
Das öffentliche Bild vom Täter ändert sich nahezu stündlich. Während direkt nach dem Todesfall die Ergreifung der "feigen Täter" gefordert wurde, reagiert die Öffentlichkeit mittlerweile verärgert über die Untersuchungshaft, in der sich der Täter, der mittlerweile zum Martyrer aller Gehörnten stilisiert wird, befindet. Die gleiche Öffentlichkeit, die Tage zuvor erschüttert das inoffizielle Staatsbegräbnis für Vartholomaios verfolgte. Selten kann man in so kurzer Zeit so gut beobachten, wie sehr Medien die öffentliche Meinung beeinflussen und steuern können.
Die politischen Nebenwirkungen der Staatsaffäre um die Liebschaft des verstorbenen Regierungsbeamten sind noch nicht abzusehen. Aber geklärt ist die Frage, warum Sendeformate wie Big Brother, bei denen der Zuschauer auf Skandale hofft, in Griechenland keinen Erfolg hatten. Es gibt die Skandale halt preiswerter, auch ohne dass die Sender ein Preisgeld dafür ausloben.