Regierungsoffen statt rechtsoffen: Wie die Ampel-Spitze die Anti-AfD-Demos für sich nutzt

Seite 2: Framing des Slogans "Unser Staat, unser Land, unsere Demokratie"

Denn allein die Polizeipräsenz und der Personenschutz vor Ort machte deutlich, dass die Teilnahme von Scholz und Baerbock offenbar keine spontane Entscheidung war. Man darf vermuten, dass es Gründe gab, die Anwesenheit beider möglichst (lange) nicht zu thematisieren.

Und es dürften kaum – oder nicht allein – Sicherheitsgründe gewesen sein. So konnten die Regierenden im Vorübergehen Bekenntnisse zu ihren Gunsten einsammeln. Und es gab keinen Protest gegen sie.

Kritik am Staat und seiner aktuellen Verfasstheit

Auch der zitierte Slogan, man müsse "unseren Staat, unser Land, unsere Demokratie" verteidigen, kann und muss diskutiert werden. Warum sollten wir vor allem "unseren Staat" verteidigen? Bietet der Staat in seiner aktuellen Verfasstheit nicht selbst Nährboden für Rechtsextreme, die mit ihrem Pseudoprotest Zuspruch billig für ihre Zwecke nutzen können.

Das betrifft die weitere Zerstörung des Sozialstaates, die Militarisierung der Gesellschaft, die Verschärfung der Konkurrenz in verschiedenen Lebensbereichen, verstärkte Umverteilung von unten nach oben zugunsten der global orientierten Großkonzerne und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Rahmensetzung "Geheimplan gegen Deutschland"

Damit verbunden ist das Framing, das bereits Correctiv vorgegeben hatte. Dort heißt der Titel des Investigativ-Beitrages zum Bericht über das Treffen hochrangiger Rechtsextremer WEITERHIN: "Geheimplan gegen Deutschland". Das aber ist vor allem Staats-Idealismus.

Wieso denn "gegen Deutschland"? Die Pläne richten sich laut jenem Medienbericht gegen Millionen Menschen hierzulande. Ist das allein nicht genug, nicht nachrichtenwert aus einer humanistischen Perspektive?

Was soll diese Rahmensetzung "gegen Deutschland"? Genau das bestreiten ja die Rechtsextremen, weil sie mit "Deutschland" exakt das meinen, was sie halt als Deutsch-Nationale darunter verstehen. Hier wetteifern offenbar zwar Spielarten von Nationalismus eher miteinander als gegeneinander: Die völkischen Vaterlandsfans mit den Neoliberalen, im Kampf um den Titel der "besseren Deutschen".

Moderation durch öffentlich-rechtlichen Medienvertreter

Moderiert wurde die Kundgebung in Potsdam übrigens von Attila Weidemann. Weidemann ist ein Medienschaffender des öffentlich-rechtlichen Landessenders RBB. Er taucht dort mehr als Unterhaltungsmensch vor der Kamera auf denn als Journalist oder Autor.

Auch hier wird wieder das strukturelle Problem zwischen Kaperung und Bekenntniszwang deutlich: Wieso moderiert ein Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine solche politische Veranstaltung?

Weidemann wird aus Rundfunkbeiträgen bezahlt, also auch von Leuten, die zum Beispiel AfD wählen. Oder sonst wie rechtsextrem eingestellt sind, sodass sich diese Veranstaltung kritisch gegen sie und ihr Auftreten richtete. Sind führende Vertreter in Politik und Medien wirklich so aktionsblind, dass sie diesen Widerspruch nicht sehen?

Bekenntniszwang und seine Auswirkungen

Wenn eine solche Kundgebung einer Moderation bedarf, dann bitte vom Rathaussprecher der SPD oder von der Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion oder von wem auch immer. Womöglich auch durch einen Neu-Potsdamer Promi wie Günther Jauch.

Aber bitte nicht – schon wieder – von einer Person des öffentlich-rechtlichen Lebens. Genau das ist Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen und ihrer Forderungen nach Abschaffung der öffentlich-rechtlichen Medien, oder zumindest des Rundfunkbeitrags, den hierzulande praktisch jeder zahlen muss, egal, ob er und sie Farbe bekennen möchte oder nicht.

Bekenntniszwang oder -drang wirkt jedenfalls wie Öl in autoritäre Feuer: Sowohl ins nationalistische als auch ins neoliberale. Und wirkt vernünftiger Kritik an Kapital und Staat entgegen.

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