Rekolonialisierung unter dem Deckmantel der Menschenrechte?
Thabo Mbeki wirft den westlichen Staaten vor, unter Vorgabe von humanitären Gründen und ohne Rücksicht auf die Afrikanische Union in afrikanischen Staaten zu intervenieren
Kommen, sehen und siegen gehört seit jeher zu den Primärtugenden von Imperialisten - wie auch von internationalen Einsätzen zum Schutz von Menschenrechten wie in Libyen vor einem Jahr. Während afrikanische Analysten nun die "Somalisierung" des Landes aufgrund der Abspaltung der Ost-Region Cyrenaika fürchten, bewegt afrikanische Denker auch die völkerrechtliche Dimension der Intervention. Südafrikas Ex-Premier wirft den westlichen Mächten Appetit auf "Rekolonialisierung" vor.
Thabo Mbeki ist keine unumstrittene Persönlichkeit. Einerseits war der Südafrikaner Wegbegleiter und Nachfolger Nelson Mandelas, hat in mehreren Konflikten erfolgreich vermittelt und mit seiner Vision einer Renaissance Afrikas immerhin ein wenig Aufbruchsstimmung verbreitet.
Andererseits entbehrte sein Abgang vom höchsten Amt Südafrikas ebensowenig eines Beigeschmacks wie seine Zusammenarbeit mit Robert Mugabe. Den größten Fehltritt leistete er sich allerdings, als er als südafrikanischer Präsident Aids leugnete, eine dementsprechend verheerende Gesundheitspolitik fuhr und auch mit dem wiederholt des gefährlichen Betrugs bezichtigten deutschen Arzt Matthias Rath zusammenarbeitete.
Appetit auf Interventionen
Als neuer Vorsitzender der UN-Wirtschaftskommission für Afrika hat Mbeki jedoch ein Amt inne, das ihn zu einer der einflussreichsten gesamtafrikanischen Stimmen macht. Umso bedenklicher sollte es stimmen, was er über den Westen sagt. Der "Elder Statesman" hat in einer Rede zum Gedenktag des Anti-Apartheid-Aktivisten Dullah Omar am 16. Februar 2012 den Westen der Rekolonialisierung angeklagt. Das Beispiel Libyen wie auch das der Elfenbeinküste habe gezeigt, "dass die westlichen Mächte ihren Appetit gesteigert haben, auf unserem Kontinent zu intervenieren, um ihre Interessen unabhängig von der Sichtweise Afrikas durchzusetzen".
Die vielleicht bitterste Pille, die Afrika beim Libyen-Konflikt zu schlucken hatte, war, dass es nicht mitreden durfte. Zwar hatte die Afrikanische Union bereits am 10. März einen Fahrplan für Frieden erarbeitet und verabschiedet, doch die UN ignorierte diesen und "entschied sich, die Entscheidung der Afrikanischen Union, wie man mit einem afrikanischen Land umgeht, zu ignorieren. Damit behandelte sie uns, die Menschen von Afrika, mit Verachtung."
Keine Beweise für Massenmorde
Im Grunde ähneln die Vorwürfe, die Mbeki gegenüber den westlichen Kriegsmächten erhebt, denen, die vor dem Irak-Krieg gegen die USA weltweit laut geworden sind und Anti-Amerikanismus salonfähig gemacht haben.
Der Unterschied ist, dass die Libyen-Intervention in den westlichen Medien weder davor noch danach auch nur im Ansatz in Frage gestellt wurde. Weil Gaddafi ein islamo-kommunistischer Diktator war? Einer, der sein Volk niedermeuchelte, als es sich in einem sympathischen, demokratischen Aufstand gegen ihn erhob? Dies zumindest war der Tenor der medialen Dauerbeschallung im Februar 2011. Dass die internationale Berichterstattung extrem einseitig war und es weder Beweise für einen Einsatz libyscher Kampfflugzeuge gegen Rebellen noch für Massenmorde gegeben habe, beklagt Mbeki unter Berufung auf zahlreiche Quellen, darunter die anerkannte International Crisis Group, den Boston Globe sowie Aussagen hochrangiger US-Militärs.
Wie die unbewiesenen Massenvernichtungswaffen Sadam Husseins wurden die unbewiesenen Massenmorde Gaddafis zum Vorwand, um im Eiltempo den Rechtsrahmen für militärische Interventionen auszuloten. Anders als im Irak jedoch wurde der Libyen-Einsatz von einer UN-Resolution legitimiert. Dies war der erste Fall, in dem die UN die "Schutzverantwortung" anwandte, um die staatliche Souveränität außer Kraft zu setzen.
Ein völkerrechtliches Novum, das auch das südafrikanische Institute for Security Studies in einer kürzlich erschienen Analyse untersucht hat. Es bewertet einerseits die Anwendung der Schutzverantwortung sehr positiv und hoffnungsvoll: "Das Ergebnis ist ein Triumph in allererster Linie für die bürgerlichen Kämpfer, die sich dagegen verweigert hatten, dass die Furcht vor Gaddafis Schergen ihr Schicksal weiter bestimmte."
Das Institut folgert aus den Vorgängen, "dass nun die herrschende Klasse jedes Landes internationale ökonomische, juristische und militärische Reaktionen fürchten muss, wenn sie globale Verhaltensstandards verletzt und die rote Linie der UN überschreitet." Andererseits sei es offensichtlich, dass nicht nur Werte, sondern auch strategische Interessen über den Einsatz entschieden haben. Offen sei zudem, ob die Resolution missbraucht wurde.
Auf die Resolution sei, meint Mbeki hingegen, eine ganze Reihe von Völkerrechtsverletzungen gefolgt. Die Bewaffnung des Nationalen Übergangsrates habe die Befugnisse der UN-Resolution weit überschritten und dessen Anerkennung als Staatsvertreter das internationale Recht verletzt. Wie sein Amtsnachfolger Jacob Zuma empört sich Mbeki darüber, dass die "Schutzverantwortung" ungeschminkt dazu genutzt wurde, einen Regimewechsel durchzusetzen.
Afrika noch immer uneins über Gaddafi
"Die nackte Realität ist es, dass die relevanten Organe der Vereinten Nationen - der Sicherheitsrat und das Büro des Generalsekretärs - sich entschieden haben, die verbindlichen Verpflichtungen des internationalen Rechtes zu brechen", folgert Mbeki.
Dabei ist Mbeki weit davon entfernt, Gaddafi zu vermissen. Er bekennt klar, dass dieser ein Diktator war, dem in Afrika viele zu recht feindlich gegenübergestanden haben. Damit geht er zwar nicht so weit wie sein Amtsnachfolger Jacob Zuma, der verlauten ließ, die Afrikanische Union würde ohne den Revolutionsführer viel besser funktionieren, da nun einige Mitglieder nicht mehr von diesem eingeschüchtert würden.
Mit der klaren Distanzierung von Gaddafi setzt sich Mbeki jedoch von zahlreichen anderen afrikanischen Politikern ab, die über die Hinrichtung Gaddafis empört sind. Sie haben nicht vergessen, dass er in seinen früheren Jahren eine durchaus konstruktive Rolle für Afrika gespielt hat. Gaddafi hatte Nelson Mandelas Kampf gegen die Apartheid unterstützt, die Gründung der Afrikanischen Union maßgeblich initiiert und für einige Mitgliedsstaaten lange Zeit die Mitgliedsgebühren bezahlt. Zudem hat er Erlöse aus dem libyschen Erdöl in Infrastrukturprogramme auf dem ganzen Kontinent investiert.
Auch wenn die Bewunderung für den "King of Kings" bei vielen längst in Furcht oder Wut umgeschlagen war, seit dieser immer offensichtlicher ärmere und diktatorisch geführte Länder von seinen Finanzspritzen abhängig machte und zunehmend selbstherrlich auftrat: Dass die westlichen Mächte die Revolution unterstützten, ohne Gaddafis Bedeutung für die Afrikanische Union noch deren Votum zu berücksichtigen, zeigt für Mbeki nicht nur die Ignoranz des Westens gegenüber afrikanischen Interessen, sondern auch die Ohnmacht seines Kontinents.
Er sieht die Intervention von geostrategischen Interessen getrieben - einerseits Öl, andererseits die geografische Lage Libyens -, wenn auch unter dem Vorwand, zur Verteidigung der Menschenrechte anzutreten. Dieses Vorgehen nennt er Rekolonialisierung. Nackte Machtpolitik.
Mbeki sieht eine neue Drohkulisse: Verletzt ein Land die globalen Verhaltensstandards, drohe die Freigabe zur Rekolonialisierung. Seine Folgerung ist die Ausweitung des Einflusses der Afrikanischen Union. Nur wenn die AU der Welt ihre Fähigkeit beweisn würde, Konflikte eigenständig zu lösen und Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte durchzusetzen, könne dem Vorwand westlicher Kriegstreiber, sich für Menschenrechte einzusetzen, der Boden entzogen und die Rekolonialisierung verhindert werden. In diesem Sinne werden die aktuellen Konflikte um Somalia und den Südsudan zum Testlauf. Oder um Libyen.