Rettet ein Bestechungsskandal Tsipras vor dem Abstieg?
Zwei Ex-Premiers und acht Ex-Minister von der PASOK und Nea Dimokratia werden der Bestechlichkeit und Untreue beschuldigt, alle sehen sich verleumdet
Mitten in die kontroversen Diskussionen über den Namensstreit Griechenlands mit dem nördlichen Nachbarn, der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, stand Premierminister Alexis Tsipras bis Montagabend unter stetig wachsendem Druck. Der immer wieder herbeizitierte wirtschaftliche Aufschwung will sich ebenso wenig einstellen wie ein absehbares Ende der Austerität. Im Gegenteil, die Bevölkerung empfindet die Lage als immer schlimmer. Bei den linken Themen, die eigentlich auch ohne viel Kapital durchgesetzt werden könnten, versagt die Regierung.
Tsipras alltäglich unter Druck
Ein sechsundzwanzigjähriger Häftling verstarb im Gefängnis von Larissa an einem entzündeten Zahn. Die Gefängnisleitung hatte wochenlang die Bitten des Häftlings nach Zugang zu einem Arzt ignoriert. Erst nach erbosten Protesten ließ sich Arbeitsministerin Efi Achtzioglou erweichen, die Krankheit Multiple Sklerose in der staatlichen Liste unheilbarer Krankheiten aufzunehmen. Vorher hatte sie offenbar entgegen der wissenschaftlichen Realität angenommen, Einsparungen von Sozialleistungen durch Deklaration von MS als heilbare Krankheit zu generieren.
Die Liste der alltäglichen Probleme von Tsipras Regierung ist lang, die seiner gebrochenen Wahlversprechen noch länger. Ohne wirkliche Alternativen anzubieten und ohne einen konkreten Plan vorzulegen, konnten daher die früheren Regierungsparteien Nea Dimokratia und PASOK in Umfragen Zuspruch gewinnen. Die Nea Dimokratia verharrt zwar auf einem mit dem Wahlergebnis vom September 2015 vergleichbaren Niveau, SYRIZA jedoch leidet unter stetig steigendem Verlust der Wählergunst. Die als Kinima Allagis umfirmierte PASOK konnte zumindest in Umfragen ihr Wahlergebnis verdoppeln.
Wie während der gesamten Zeit der Metapolitefsis, der Periode seit dem Ende der Militärdiktatur (1967-74), setzen die Altparteien auf die "Theorie der reifen Frucht". Sie brauchten eigentlich nur abzuwarten, wie SYRIZA sich weiter abnutzt.
Der größte Skandal Griechenlands?
Dies alles änderte sich zumindest vorläufig am Montag. Vom größten Skandal seit Bestehen des neugriechischen Staats spricht der Vize-Justizminister Dimitris Papangelopoulos. Papangelopoulos meinte gar, dass die aktuelle Affäre den Siemens-Skandal bei Weitem überragen würde.
Es geht konkret um den Vorwurf der Bestechlichkeit und Untreue von zehn hochrangigen Politikern, zwei früheren Premiers und acht Ministern, die bis auf den Interimspremierminister von 2012, Panagiotis Pikrammenos, allesamt für PASOK und Nea Dimokratia die Regierungsgeschäfte führten. Im Zentrum des Skandals steht der Pharmariese Novartis.
Die dubiosen Geschäfte in Griechenland wurden nicht etwa in Griechenland, sondern in den USA entdeckt. Die Akten reichte das Federal Bureau of Investigation (FBI) an die griechische Justiz weiter. Diese ermittelte und befand, dass für die zehn Politiker ein nicht näher konkretisierter Anfangsverdacht besteht. Gemäß den in der Verfassung verankerten Verfahrensregeln für derartige Fälle wird die Ermittlungsakte von der Justiz ans Hellenische Parlament geschickt.
Dieses hat dann als "natürlicher Richter" für die Politiker zu ermitteln, ob eine strafbare Handlung vorliegt, und ob diese nicht eventuell durch das ebenfalls in der Verfassung verankerte "Gesetz zur Verantwortlichkeit von Ministern" amnestiert ist. Dieser Fall tritt ein, wenn die Straftat im Amt in einer Zeit begangen wurde, die mehr als zwei Sitzungsperioden des Parlaments zurückliegt. Ist dies der Fall, dann gilt das Amtsvergehen als gegenstandslos. Theoretisch kann damit ein Politiker, dem eine vor mehr als zwei Sitzungsperioden stattgefundene Straftat eindeutig nachgewiesen wird, mit der Amnestieregel jeden der Verleumdung bezichtigen, der diese Straftat in Zusammenhang mit dem Politiker erwähnt.
Davon ausgenommen ist lediglich der Vorwurf der Geldwäsche, bei dem laut einschlägigem Parlamentsbeschluss erst dann die Verjährungsfrist beginnt, wenn kein Geld mehr vorhanden ist. Dabei wird das Vorhandensein von Geld durch Kontoauszüge und Überweisungsbelege nachgewiesen.
Laut bisherigem Stand der Informationen flossen im Novartis-Gate genannten Fall zwar schätzungsweise 50 Millionen Euro an Politiker und insgesamt 60 Millionen Euro an alle in den Fall involvierten Personen. Damit hätten die zehn Politiker erheblich mehr eingenommen als die übrigen zwanzig angeklagten Beamten, Funktionäre und Berater.
Die Bestechungsaffäre soll von 2007 bis Ende 2014 / Anfang 2015 stattgefunden haben. Damit ist die Verjährung für die Politiker bereits so gut wie sicher, da in den fraglichen Akten der Anklage keinerlei Kontoauszüge oder Kontodaten dokumentiert sein sollen. Vielmehr sei das Geld in bar an seine Empfänger geflossen, heißt es.
Der Gesamtschaden der öffentlichen Hand beziffert sich auf eine Summe zwischen drei und dreißig Milliarden Euro, je nachdem welcher Regierungspolitiker den Schaden beziffert. Und spätestens hiermit beginnen die Ungereimtheiten rund um die Affäre.
Ex-Premier Samaras oder Ex-Finanzminister Venizelos sollen in den Fall "Novartis-Gate" verwickelt sein
Der Inhalt der Anklageschrift wurde von Seiten der Regierung bereits am Montag an die Medien weitergeleitet, obwohl sie offiziell erst am Dienstagnachmittag - wie vorgeschrieben - von der Justiz an das Parlament übergeben wurde. Damit der Empfang der Justizakte, samt der Verlesung der Namen, bereits am Dienstag veröffentlicht werden konnte, wurde eine außerordentliche Plenarsitzung einberufen. Dort verlas Parlamentsvizepräsidentin Tasia Christodoulopoulou die Zusammenfassung der Anklageschrift und machte die Namen der Involvierten offiziell öffentlich.
Unter Verdacht der Beteiligung in der einen oder anderen Form stehen somit:
- Der frühere Premierminister (20-6-2012 bis 26-1-2015) Antonis Samaras
- Der frühere Vizepremierminister (25-6-2013 bis 25-1-2015) und Finanzminister (17-6-2011 bis 21-3-2012) Evangelos Venizelos
- Der frühere Interimspremierminister Panagiotis Pikrammenos (16-5-2012 bis 20-6-2012)
- Der frühere Gesundheitsminister (2006 bis 2009) und aktueller EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos
- Der frühere Gesundheitsminister (25-6-2013 bis 9-6-2014) und aktueller Vize der Nea Dimokratia Adonis Georgiadis
- Der frühere Finanzminister (5-7-2012 bis 10-6-2014) und aktueller Präsident der Notenbank Yannis Stournaras
- Der frühere Gesundheitsminister (7-9-2010 bis 17-5-2012) Andreas Loverdos
- Der frühere Gesundheitsminister (21-6-2012 bis 25-6-2013) Andreas Lykourentzos
- Der frühere Vizegesundheitsminister (22-6-2012 bis 23-6-2013) Marios Salmas
- Der frühere Arbeits- und Sozialminister (Juni 2011 bis Mai 2012) Giorgos Koutroumanis
Im Prinzip stützt sich die Anklage auf Whistleblower, die unter Zeugenschutz stehen. Dementsprechend fiel auch die Reaktion der in die Affäre verwickelten Personen aus. Der Verfassungsrechtsprofessor Venizelos verlangte die Offenlegung der Namen der Zeugen. Der ebenfalls als Juraprofessor für Verfassungsrecht bekannte Andreas Loverdos begehrt, dass die Zeugen in Kutten gehüllt vor dem Parlament aussagen. Marios Salmas droht, dass er die Zeugen ausfindig machen würde und einer Strafe zuführen würde.
Alle Beteiligten sehen sich verleumdet. Samaras hat eine Anzeige gegen Premierminister Tsipras und Vizejustizminister Papangelopoulos angekündigt. Alle Beteiligten beschuldigen die Regierung der Manipulation der Justiz. Sie belegen dies dadurch, dass die Minister der Regierung bereits über die Anklage und die Namen plauderten, bevor diese von der Justiz offiziell übergeben wurde.Andreas Loverdos vermutet "dunkle Kreise" und eine Verschwörung gegen ihn und will, wie Adonis Georgiadis auch, Anzeige erstatten.
Die letzte Zeugenaussage im Fall wurde übrigens am Sonntag, dem Tag der Großdemonstration in Athen von der Justiz aufgenommen. Die Regierung verweist jedoch darauf, dass der Verdacht der Manipulation allein wegen der Ermittlungen durch das FBI abwegig sei.
Für Mittwoch ist allerdings weiterer Diskussionsstoff angesagt. Dann wird von der Justiz die Verdachtsakte gegen den amtierenden Verteidigungsminister Panos Kammenos und der Waffenverkäufe an Saudi-Arabien ins Parlament eingereicht.