Revolution von oben: Die Fabian Society und die Ideen hinter der großen Transformation

Shaw-Fenster an der London School of Economics zur Erinnerung an die Fabian-Gesellschaft. Es zeigt Shaw u. a. mit Sidney Webb und ER Pease, die dabei helfen, eine neue Welt zu schaffen. Bild: Ruth Hartnup / CC BY 2.0

Weltregierung, Planwirtschaft, Bevölkerungskontrolle: Wie der älteste Think-Tank des UK bis heute die Weltpolitik prägt. Vom Chatham House bis zu den Vereinten Nationen. Und Erich Kästner.

Ist die "Große Transformation", der proklamierte Übergang vom Kapitalismus zu einem menschen- und naturfreundlichen Gesellschaftssystem, ein neoliberales oder ein sozialistisches Projekt?

Der vorliegende Text soll einen Beitrag dazu liefern, dass Ihnen die Beantwortung dieser Frage nicht (mehr) leichtfällt.

Was Kinderbuchautoren und Weltpolitik verbindet

Manchmal fügen sich die Dinge. Vor kurzem hat mir ein guter Kollege Erich Kästners "Fabian" empfohlen. Ich kannte Kästner nur als Kinderbuchautor. Mit "Emil und die Detektive" oder dem "Fliegenden Klassenzimmer" hat "Fabian" allerdings überhaupt nichts zu tun. Eher mit ziemlich schonungsloser Gesellschaftskritik.

In seinem Roman von 1931 zeichnet Kästner die Lebens- und Leidensgeschichte des "Moralisten" Jakob Fabian und die seines besten Freundes Stephan Labude im Berlin der 1920er-Jahre nach. Dabei streut Kästner einige Zeitdiagnosen, vor allem aber durchaus revolutionäres Gedankengut, ein.

Jene Gedanken decken sich in auffallender Weise mit denen des britischen Autors Herbert George Wells ("Die Zeitmaschine", 1895), den ich ebenfalls erst vor Kurzem als politischen Philosophen entdeckt habe. Und, daher die Fügung: als (temporäres) Mitglied der britischen Fabian Society. Doch dazu später.

"Eine neue Weltanschauung"

In "Fabian" entwirft Kästner das Bild einer Gesellschaft, in der sich die soziale Frage drängender stellt denn je. Die Menschen fallen reihenweise in die Arbeitslosigkeit und rebellieren auf den Straßen, während die Industrie ihre Profite maximiert – am Wohle des Menschen vorbei, und mit dem Staat als ohnmächtigem Erfüllungsgehilfen.

Während die Hauptfigur, der aus einer Arbeiterfamilie stammende Fabian, angesichts der Verhältnisse zu resignieren droht, stellt sich sein bester Freund Labude, aufstrebender Akademiker aus bestem Berliner Milieu, ihnen offen entgegen.

In der Literaturwissenschaft werden die beiden Figuren als Ausdruck von Kästners innerem Zwiespalt gesehen: zwischen dem Idealisten Fabian, der helfen will, "die Menschen anständig und vernünftig zu machen" und dem Realisten Labude, der die Überzeugung vertritt, dass erst das System zugrunde gehen und anschließend "eine neue Weltanschauung konstituiert werden muss".

Fabian glaubt nicht an die "Heirat" von Macht und Vernunft. Labude dagegen arbeitet an der Revolution von oben:

Erst muss man das System vernünftig gestalten, dann werden sich die Menschen anpassen.

Zu diesem Zweck entwirft Fabians ehemaliger Germanisten-Kommilitone die Grundzüge einer "radikalbürgerlichen Initiative", die eine entsprechend erzogene Jugend an den universitären und außeruniversitären Schaltstellen der Macht platziert, um "den Kontinent zu reformieren".

Und zwar "[d]urch freiwillige Kürzung des privaten Profits, durch Zurückschraubung des Kapitalismus und der Technik auf ihre vernünftigen Maße". Ein früher "Marsch durch die Institutionen" sozusagen.

Am Ende des Romans gerät Protagonist Fabian ins Zweifeln:

Vielleicht hatte Labude recht gehabt? Vielleicht war es wirklich nicht nötig, auf die sittliche Hebung der gefallenen Menschen zu warten? Vielleicht war das Ziel der Moralisten, wie Fabian einer war, tatsächlich durch wirtschaftliche Maßnahmen erreichbar? (…) in seinen (Labudes) Plänen hätte es sich eingefügt.

Erich Kästner: Fabian – die Geschichte eines Moralisten

Die Reichen sollen’s richten

Wenn auch nicht eindeutig nachweisbar, liegt es doch nahe, dass Kästners Roman seinen Namen nicht von ungefähr trägt. Dieser Meinung ist auch Kästner-Experte und -Herausgeber Sven Hanuschek. So hat sich der Schriftsteller nachweislich eingehend mit den Ideen von H.G. Wells auseinandergesetzt, speziell mit dessen Romanreihe "The World of William Clissold" (1926).

In jener Romanreihe nimmt Wells wesentliche Gedanken seines politischen Traktats Open Conspiracy (1928) vorweg, in dem er für eine von Intellektuellen geführte Weltregierung plädiert, die sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.

Laut dem ehemaligen Vorsitzenden der Kästner-Gesellschaft, Klaus Doderer, spricht auch Kästner sich explizit für eine solche "Revolution von oben" aus. Wie diese vonstattengehen soll, klingt in seinem Gedicht "Ansprache an Millionäre" (1930) an, in dem er die Elite dazu auffordert, den Umbau der Welt zu führen. Die Reichen sollen’s richten.

Kästner wusste wohl auch schon, wie das umgebaute Utopia aussehen soll. Den Kindern erzählte er es zuerst.

In "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee", erschienen im selben Jahr wie "Fabian", entwirft Kästner das Zukunftsszenario von "Elektropolis" – einer Stadt, in der Autos selbstständig fahren und die Menschen nur noch zum Vergnügen arbeiten. Oder: "um schlank zu bleiben". Den übrigen Lebensstandard? "Besorgen die Maschinen."

Mit Blick auf die allgegenwärtigen Smart-City-Pläne und das autonome Fahren ist Kästners Vorausschau von bemerkenswerter Aktualität. Gleiches gilt auch für die Vorstellungen seines Inspirationsquells, H.G. Wells.

Dass dessen Gedanken zu einer mittels Wissenschaft und Technik planwirtschaftlich durchorganisierten Gesellschaft zum Wohle aller – im Gegensatz zu einem blinden Wachstums- und Profitstreben – wesentliche Parallelen zur Weltpolitik von heute bergen, ist allerdings weniger zufällig.

Schließlich war H.G. Wells ein bedeutender Vordenker der Vereinten Nationen, die heute im Namen der Nachhaltigkeit (Sustainable Development Goals, SDGs) ganz ähnlich anmutende Ziele verfolgen.

Und Wells war nicht das einzige Mitglied der Fabian-Society, das die UN entscheidend prägte. In diesem Zusammenhang sind besonders die Namen Julian Huxley, John Maynard Keynes oder Leonard Woolf (Ehemann von Schriftstellerin Virginia) zu nennen.

Aber wer waren diese Fabianer eigentlich?

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