Revolution von oben: Die Fabian Society und die Ideen hinter der großen Transformation
Seite 2: "Die Jesuiten des Sozialismus"
Die Fabian Society entstand 1884 in London als Abspaltung der Gruppe "Fellowship of the New Life" des schottischen Philosophen Thomas Davidson. Diese wurde ihrerseits von Leo Tolstoi und Henry David Thoreau inspiriert und verfolgte die Grundsätze des Pazifismus, Vegetarismus und Minimalismus, um "in jedem und in allem ein perfektes Wesen zu kultivieren".
Die Fabianer wollten jedoch mehr, als nur Vorbilder sein. Sondern direkt auf das politische Geschehen Einfluss nehmen, und zwar in den höchsten Kreisen. Allerdings subtil. Und duldsam.
Daher wählten sie ihren Namen nach dem römischen Feldherrn Quintus Fabius Maximus, dessen Verzögerungstaktik in der Schlacht ihm den Spitznamen "Cunctator" oder "der Verzögerer" einbrachte.
Daraus leiteten die Fabianer ihre Taktik der allmählichen Subversion ab, um "die Jesuiten des Sozialismus" zu werden, wie Dramatiker George Bernard Shaw gesagt haben soll.
In den Anfangszeiten ziert das Wappen der Fabianer treffenderweise ein Wolf im Schafspelz.
In dem von Shaw verfassten Manifest benennen die Fabianer als Hauptziele die Kollektivierung von Besitz und eine staatliche Lenkung der Wirtschaft, die sie als direkte Reaktion auf die verheerenden Entbehrungen und die (ursprüngliche) soziale Frage im Zuge der industriellen Revolution verstehen, Stichwort: Klassengesellschaft.
Anti-Marx/Engels
Die "Revolution von oben", das Ansinnen der Fabianer, die gesellschaftliche Elite für ihre Ziele zu gewinnen, statt die Bevölkerung (neudeutsch:) "bottom up" zu mobilisieren, unterscheidet sie von ihren sozialistischen Zeitgenossen, die nur wenig Sympathie für das Fabianische Vorhaben aufbringen können.
So schreibt Friedrich Engels 1893 an Friedrich Adolph Sorge über die "Sektierer":
Die Fabians sind hier in London eine Bande von Strebern, die Verstand genug haben, die Unvermeidlichkeit der sozialen Umwälzung einzusehen, die aber dem rohen Proletariat unmöglich diese Riesenarbeit allein anvertrauen können und deshalb die Gewohnheit haben, sich an die Spitze zu stellen; Angst vor der Revolution ist ihr Grundprinzip. Sie sind die "Jebildeten" par excellence.
Ihr Sozialismus ist Munizipalsozialismus; die Kommune, nicht die Nation, soll wenigstens vorläufig Eigentümerin der Produktionsmittel werden.
Dieser ihr Sozialismus wird dann dargestellt als eine äußerste, aber unvermeidliche Konsequenz des bürgerlichen Liberalismus, und daher folgt ihre Taktik, die Liberalen nicht als Gegner entschieden zu bekämpfen, sondern sie zu sozialistischen Konsequenzen fortzutreiben, ergo mit ihnen zu mogeln, to permeate Liberalism with Socialism, und den Liberalen sozialistische Kandidaten nicht entgegenzustellen, sondern aufzuhängen und aufzuzwingen resp. aufzulügen.
Daß(!) sie dabei entweder selbst belogen und betrogen sind oder den Sozialismus belügen, sehn sie natürlich nicht ein.
Friedrich Engels: Brief an Friedrich Adolph Sorge, 18. Januar 1893
Ein anderer prominenter Sozialist, der zeitweise auch von den Fabianern unterstützt wurde, hat ebenfalls nicht viel für die bürgerlichen Sozialisten übrig:
Es ist ein komplettes Sündenbekenntnis dieser überheblichen Bourgeois, die sich gnädigerweise dazu herablassen würden, das Proletariat von oben zu emanzipieren, wenn es nur vernünftig genug wäre, um zu erkennen, dass eine so rohe, ungebildete Masse sich nicht allein emanzipieren kann und nichts erreichen kann, außer durch die Gnade dieser klugen Anwälte, Schriftsteller und sentimentalen alten Frauen.
Wladimir Iljitsch Lenin: British Pacifism and the British Dislike of Theory (1915)
Und doch ist es genau dieses verzögerte Fabianische Vorgehen, der Marsch durch die Institutionen, der die Fabianer ihrem Ziel näherbringen wird. Näher, als Marx und Engels ihrer sozialistischen Utopie gekommen sind.
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