Revolution von oben: Die Fabian Society und die Ideen hinter der großen Transformation
Seite 5: Liberalismus und Sozialismus
Wells trennt sich bereits 1908 von den Fabianern. Wie der niederländische Politikwissenschaftler Mark Somos in einem Paper über Wells’ Roman "A New Machiavelli" (1911) schreibt, heißt das jedoch nicht, dass er die Fabianischen Grundannahmen über Bord wirft, die sich auf einem "breiten Verständnis des Sozialismus als rationaler (im Sinne von teleologischer) Gesellschaftsform" gründen.
Somos führt aus:
Das Wohl der Allgemeinheit erfordert eine immer umfassendere, schließlich totalitäre Politisierung und Manipulation der Massen. Dies kann nur von einer intellektuellen Elite geleistet werden, die ganz bestimmte Anforderungen erfüllt, die sich je nach der Art des Projekts, das Remington und andere zu einem bestimmten Zeitpunkt verfolgen, ändern.
Mark Somos: A century of "Hate and Coarse Thinking": Anti-Machiavellian Machiavellism in H.G. Wells’ The New Machiavelli (1911)
Wörtlich heißt es im "Machiavelli":
Wir (es spricht die autobiografische Figur "Remington") mussten, so sah ich, die Erziehung mit öffentlichen Absichten durchdringen, eine neue, besser lebende Generation mit einer kollektivistischen Denkweise heranbilden, die jetzt chaotischen Aktivitäten in jeder menschlichen Angelegenheit miteinander verbinden und insbesondere dieses entkommene, weltschaffende, weltzerstörende, gefährliche Ding, das Industrie- und Finanzunternehmen, einfangen und es in den Dienst des Allgemeinwohls zurückbringen (…) undisziplinierte Arbeiter und undisziplinierten Reichtum zu unterwerfen und das wissenschaftliche Gemeinwohl zum König zu machen, war die ständige Substanz unseres Umgangs miteinander.
H.G.Wells: The New Machiavelli (1911)
Die offenbar viele Rezipienten plagenden Zweifel, ob Wells ein Sozialist war, der globalistischen Liberalismus als Instrument nutzte oder ein Globalist, der den Sozialismus instrumentalisierte, räumt der Politologe Somos folgendermaßen aus:
Die weit gefasste Definition des Sozialismus als rationaler Fortschritt auf dem Weg zur Ordnung zerstreut auch viel von der Verwirrung, die Wells' wechselnde Zugehörigkeit zu Labour und Liberalen umgibt.
Dieser Fall von Wells' eindeutiger Selbstidentifikation mit Remington ist umso pointierter, wenn wir Remingtons Ideal und Lebenswerk scheitern sehen und sein Eingeständnis, dass anstelle von "Love and Fine Thinking" das, was die Welt wirklich bewegt, "Hatred and Coarse Thinking" ist.
Somos: A Century of "Hate and Coarse Thinking"
Was der naive Sozialist vielleicht nicht ganz begreifen kann: Wie sollen die beiden Interessen – die des Großkapitals und die der Masse der Bevölkerung – miteinander vereinbar sein?
Wie kann, um in die Gegenwart zurückzukehren, das von den Vereinten Nationen vielfach angestrebte Modell der Public-Private-Partnership dazu beitragen, die alten Strukturen abzuschaffen, auf dem die Privaten doch gerade ihren Reichtum aufgebaut haben?
Eine denkwürdige Antwort darauf hat Wells selbst gegeben, als er in "Russia in the Shadows" (1921) schrieb:
Das Großkapital ist dem Kommunismus keineswegs abgeneigt. Je größer das Großunternehmen wird, desto mehr nähert es sich dem Kollektivismus an. Es ist der obere Weg der Wenigen und nicht der untere Weg der Massen zum Kollektivismus.
H.G. Wells: Russia in the Shadows
Oder, noch einmal, mit Kästners Worten an die Millionäre:
Der Mensch ist schlecht. Er bleibt es künftig.
Ihr sollt euch keine Flügel anheften.
Ihr sollt nicht gut sein, sondern vernünftig.
Wir sprechen von Geschäften.
Ihr helft, wenn ihr halft, nicht etwa nur ihnen.
Erich Kästner: Ansprache an Millionäre (1930)
Man kann sich, auch wenn man gibt, beschenken.
Die Welt verbessern und dran verdienen –
das lohnt, drüber nachzudenken.
Fällt es Ihnen noch leicht, zu beurteilen, ob sie diesen Sozialismus für gutheißen oder nicht?
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