Rezession – ein Grund, Alarm zu schlagen?
Das Wachstum lahmt – und wir alle sollen uns Sorgen um "unsere" Wirtschaft machen. Warum eigentlich?
"Die deutsche Wirtschaft braucht einen Kurswechsel" – das wusste die Süddeutsche Zeitung am vergangenen Wochenende zu vermelden. Denn andernfalls käme die deutsche Wirtschaft in eine Dauerkrise. Auch die Bild am Sonntag machte sich Sorgen: "Die Bürokratiekosten steigen, die Wirtschaft schrumpft. Muss das sein?" Und auf Telepolis stellt Philipp Fess die Frage "Deutsche Wirtschaft: Krank oder doch gesund?". Er steuert eine Vielzahl ähnlicher Stellungnahmen bei, die "alarmierende Zahlen beim kranken Mann Europas" bekannt machen.
Damit ist die allgemeine Spekulation eröffnet, ob eine Wirtschaftskrise zu erwarten ist, wie sich der Krieg in der Ukraine und der Wirtschaftskrieg mit Russland aufs hiesige Geschäftsleben auswirken, welche Schäden die schwache Konjunktur in China verursacht und wie sich die Weltkonjunktur insgesamt darstellt.
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Zugleich überschlagen sich Wirtschaftsweise wie Journalisten mit Ideen, wie eine Krise verhindert werden kann und was die Bundesregierung zu tun hat, um sie zu vermeiden, also neues Wachstum zu stimulieren.
Als größte Selbstverständlichkeit gilt nämlich allenthalben, dass die Wirtschaft wachsen muss. Warum eigentlich? Ist Nichtwachstum eine Katastrophe?
Das Wirtschaftswachstum ist ständig Thema bei den Fachleuten und Gegenstand öffentlicher Anteilnahme. Mal wird eine Überhitzung des Wachstums befürchtet, dann ist wieder sein geringes Ausmaß das Problem oder es wird darüber räsoniert, wie schnell oder wie hoch es eigentlich wachsen müsste. Dass es notwendig ist, steht ein für alle Mal fest.
Weniger Stress und mehr Freizeit für alle
Nur muss man sich dabei folgende Überlegung verbieten: Wenn es wirklich um die Versorgung der Bürger ginge, dann müsste die Wirtschaft nicht ständig wachsen. Denn wenn es in diesem Jahr gereicht hat, alle zu versorgen, dann bräuchte man im nächsten Jahr doch nicht unbedingt mehr davon. Und wenn dann auch noch ständig technische Neuerungen stattfinden, die es erlauben, in kürzerer Zeit mehr herzustellen, dann könnte man das Gleiche in weniger Zeit produzieren und alle hätten mehr Freizeit.
Doch um die Versorgung der Bevölkerung geht es beim Wirtschaftswachstum, das in kapitalistischen Marktwirtschaften ständig beschworen wird, offensichtlich nicht. Wachsen soll vielmehr der Reichtum in Form von Geld; dessen Akkumulation ist ja täglich in den Börsenmeldungen und auf den Wirtschaftsseiten Thema.
Die Versorgung der Bevölkerung ist nur ein Mittel, um aus einem angelegten Vermögen ein größeres zu machen. Menschen, die über Reichtum verfügen, setzen es ein, indem sie Anteile an Industriebetrieben erwerben, in Handelsunternehmen investieren oder damit Kredite vergeben. Sie tun es, um so ihren Reichtum zu steigern. Alle setzen drauf, dass das investierte Geld vermehrt zurückfließt.
Die Produktion von Wachstum
Die Firmen ihrerseits geben das Geld für Gebäude, Maschinen samt Roh- und Hilfsstoffen sowie Personal aus. Während Firmengebäude und Anlagen abgeschrieben werden und so das Geld sukzessive zurückfließt, haben die Ausgaben für Personal eine besondere Eigenschaft: Hier wird Geld ausgegeben, um aus ihm mehr zu machen.
Mit der Einstellung eines Mitarbeiters bezahlt die Firma nämlich nicht das, was er Tag für Tag schafft. Sie verschafft sich vielmehr mit der Bezahlung die Verfügung über sein Arbeitsvermögen. Was dieser Mensch in der bezahlten Zeit zu tun hat, wie intensiv er zu arbeiten hat, wann er anfangen und aufhören muss etc., all das bestimmt der Betrieb; er legt fest, dass sich jede Minute bezahlte Zeit oder jedes produzierte Stück für die Firma lohnt. Die Personalkosten sollen daher möglichst gering und die Leistung möglichst hoch sein.
Auf dem Markt vergleichen sich die verschiedenen Unternehmen dann bezüglich der Qualität ihrer Produkte und der Höhe ihrer Preise. Alle wollen ihre Waren verkaufen, damit das investierte Geld mit Gewinn zurückfließt. Dabei stoßen sie alle auf die Tatsache, dass die Käufer der Waren dieselben Figuren sind, denen sie um des Gewinns willen wenig gezahlt haben – und deren Einkommen zum Beispiel gerade durch die Inflation drastisch gesenkt wird.
Diese jetzt als Träger von Kaufkraft umworbenen Menschen sollen aber unbedingt ihre Ware in Geld verwandeln, wie gesagt, oft auch noch mit zusätzlich beschränkten Mitteln.
In ihrem Kampf um Marktanteile verdrängen die Firmen zudem Konkurrenten aus dem Markt und reduzieren so zusätzlich Absatzmöglichkeiten ihrer Kollegen, die, je nachdem, Arbeitsplätze abbauen oder den Betrieb einstellen. Um die von ihnen selbst weiter beschränkte Zahlungsfähigkeit konkurrieren die Unternehmen dann mit allgegenwärtiger Werbung, mit der Qualität ihrer Produkte und mit deren Preis. So versuchen sie auf ständig erweiterter Stufenleiter, ihre Konkurrenten, die dasselbe wollen, aus dem Markt zu werfen. Und wo Konkurrenz herrscht, gibt es immer Gewinner und Verlierer.
Auf diese Weise wird der Markt mit einer Vielzahl von Produkten überschwemmt – Luxuswaren für die happy few, etwas teurere mit zum Teil besserer Qualität für die zahlungskräftige Kundschaft und jede Menge Billigprodukte für den Massenmarkt. Qualitätsprodukte versprechen meist höhere Gewinnmargen, stoßen aber auf die Begrenztheit dieses Marktsegmentes, schließlich gibt es nur wenige, die sich diese Produkte leisten können.
Hart umkämpft ist der Massenmarkt mit Billigprodukten, die wenig Gewinn abwerfen. Deswegen muss möglichst viel davon zu Geld gemacht werden, die Menge also den Gewinn sichern. Rezession oder Krise
Alle Produzenten und Händler versuchen ihre Kosten zu senken, um auf dem Markt ihre Konkurrenten unterbieten zu können und dennoch Gewinne zu erzielen. Der Weg dahin erfolgt über Rationalisierungen, also die Einsparung von Arbeitskräften durch Einsatz neuer Technologien. Auf diese Art und Weise werden die Kosten pro Stück gesenkt und können in der Regel in kürzerer Zeit mehr Produkte hergestellt und vertrieben werden.
Da dies alle Unternehmen machen, wird der Markt von Zeit zu Zeit mit mehr Produkten überschwemmt, als es – zahlungsfähige – Käufer gibt. Also stockt der Absatz, die Produktion wird zurückgefahren und Mitarbeiter werden entlassen. So nimmt die Arbeitslosigkeit wieder zu, obgleich ständig vom Fachkräftemangel, der Fehlauslastung des deutschen "Arbeitspotenzials", die Rede ist. Die Krise ist also nicht das Ergebnis eines Mangels an Produkten, Produktionsstätten oder Menschen, die arbeiten wollen. Von all dem gibt es ja zu viel. So stehen Autos auf Halde bzw. bei den Händlern, obwohl mancher sie gut gebrauchen könnte, aber nicht bekommt, weil er kein Geld hat.
Firmen werden geschlossen und hochmoderne Fabriken werden in Schrott- und Schutthalden verwandelt, weil ihr Betrieb sich nicht rentiert. Geld ist in Massen vorhanden, es findet aber keine lohnende Anlage und so gibt es am Schluss auch noch Negativzinsen. Erst wenn viel von allem vernichtet ist und Menschen arbeitslos gemacht wurden, sich also zu Opfern bereit finden, kann es wieder bergauf gehen. Für die Firmen natürlich, nicht für ihre verehrten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Öffentliche Besprechung
Die Krisen gehören zur Marktwirtschaft wie das Geld und seine Akkumulation. Obwohl sie alle paar Jahre auftreten, dabei viel Reichtum zerstören und die soziale Existenz von Menschen vernichten, werden sie hingenommen – wie ein Schicksal oder das Wetter. Dabei wird in der öffentlichen Besprechung immer hervorgehoben, dass es nicht der normale Gang des Geschäfts im Kapitalismus sein kann, der die Krisen bewirkt. Vielmehr sollen immer besondere Bedingungen für die Krise verantwortlich sein.
Da ist es mal die Börsenblase mit ihrer Spekulation um die Dotcom-Gesellschaften, die für den Crash verantwortlich gemacht wird. Dann ist es eine Finanzkrise, die wegen unseriöser Methoden bei der Aufnahme von Hypotheken in den USA entstanden sein soll. Oder eine Pandemie wie Corona ist schuld – und jetzt aktuell der Wirtschaftskrieg gegen Russland.
Die Wirtschaftsgeschichte liefert eine lange Liste solcher besonderen Krisen, die aber alle eines gemeinsam haben: dass das normale Geschäft stockt und die Gewinne schrumpfen.
Wie selbstverständlich wird in der öffentlichen Besprechung des Ganges der Wirtschaft unterstellt, dass dies jedermann zu interessieren habe. Dabei geht es doch zunächst um die Gewinne, mit denen die meisten Bürger – die bekannten 99 Prozent, auf die sich Protestbewegungen berufen – gar nichts zu tun haben.
Unmittelbar betrifft das lediglich Anleger wie die Clans von Porsche und Piech, von Albrecht, Schwarz, Quandt, Klatten oder wie sie alle heißen. Von deren angehäuftem Reichtum hat der normale Bürger nichts. Er darf deren Luxus und Luxusleben allenfalls in bunten Illustrierten bewundern.
Aber von deren Renditen auf ihre Anlagen sind alle Bürger im Lande abhängig gemacht. Nur wenn hier die Gewinne gesichert sind und die Investoren sich durch die Anlage ihres Kapitals neue versprechen, bekommt die Mehrzahl der Bürgerschaft die Möglichkeit, sich durch Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Das Ergebnis wird dann immer wieder mit Verwunderung in verschiedenen Statistiken besprochen, die zeigen, dass die Reichen immer reicher werden und die Mehrzahl einen immer geringeren Anteil am Reichtum hat.
Diese Tatsache aber finden die meisten Menschen in diesem Lande normal und beugen sich ihrer Abhängigkeit. Selbst die Gewerkschaften, die sich als Fürsprecher derer aufführen, die von ihrer Arbeit leben müssen, sorgen sich als Betriebsräte und Aufsichtsratsvertreter darum, dass die Geschäfte blühen und die Wirtschaft wächst, von der alle abhängen.
Das macht auch gerade die neueste Diskussion um den "Industriestrompreis" deutlich. Hier heißt die Leitlinie, auf die sich Wirtschaftsminister, Industrieverbände und Gewerkschaften verständigen: "Wer rettet das Kapital?". Für die einfachen Leute, die Dienstkräfte am Wirtschaftswachstum, heißt es dagegen: den Gürtel enger schnallen!
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