Richtungsweisende Wahlen im Iran

Iran wählt am 14. März ein neues Parlament

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Die Iraner gehen durchschnittlich einmal im Jahr an die Urnen der verschiedenen Wahlen. Im Vergleich zu vielen Staaten der islamischen Welt könnte man von der Existenz einer Wahlkultur im Iran sprechen, wenngleich sie auch gravierende Mängel aufweist. Die Wahlen zum achten Parlament (Majlis) sind in vielerlei Hinsicht die wichtigsten in der Geschichte der Islamischen Republik Iran. Ihr Ausgang wird ein endgültiges Urteil über die chronisch kranke Republik erleichtern, ob sie tatsächlich von innen, d. h. von pragmatisch-reformistischen Kräften, gestützt auf die reformistische Zivilgesellschaft, reformierbar ist oder nicht.

Abgesehen von der ersten Dekade der Islamischen Republik, die von blutigen Machtkämpfen und dem achtjährigen Krieg mit dem Irak heimgesucht wurde, hat der Iran bis August 2005 nie mit einem Ultraradikalen wie Mahmud Ahmadinedschad an der Spitze der Exekutive zu tun gehabt. Angesicht der desaströsen Bilanz seiner Regierung wird mit einem Sieg des reform-pragmatischen Lagers um die beiden Ex-Präsidenten Rafsandschani und Khatami als logischer Folge von Ahmadinedschads Regierung gerechnet.

Träte das nicht ein, wäre das eine Manifestation der Übermacht der konservativ-islamistischen Kräfte in einer Zeit, in welcher der Iran innenpolitisch trotz der bis dato nie dagewesene Erdölrendite ökonomisch am Boden liegt und außenpolitisch immer noch von der Gefahr eines Krieges bedroht wird. Sollte es dem Wächterrat, dem rechtlich die „Überwachung“ der Wahlen obliegt, gelingen, durch Manipulation und Nicht-Zulassung der Nominierung von Reformkandidaten die Wahl zu entscheiden, könnte man tatsächlich über die Nichtreformierbarkeit der Islamischen Republik diskutieren.

Wahlen sind keine Fiktion

Die Iraner haben 1997 einen Reformpräsidenten, Mohammad Khatami, gewählt. Der Wahlausgang war anders als alle anderen Wahlen zuvor nicht vorher entschieden. Behzad Nabawi, ein Führungsmitglied der reformistischen „Organisation der Mudschahedin der Islamischen Revolution“ (Sazman-e Modschahedin-e Enqelab-e Eslami) enthüllte kürzlich dramatische Machenschaften der Islamisten beim Wahlsieg Khatamis am 23. Mai 1997.

Als der Sieg Khatamis feststand, schlugen einige (Islamisten, Red.) vor, noch in der Nacht und vor der offiziellen Bekanntgabe der Ergebnisse zwei- bis dreitausend (führende Reformer, Red.) zu verhaften und am Morgen Khatamis Gegenkandidaten (den konservativen, vom Revolutionsführer Ayatollah Khamenei unterstützten Ayatollah Ali Nateq Nuri) zum Wahlsieger zu deklarieren.

Nabawi, der zehn Jahre als Minister drei Kabinetten diente und Vizepräsident des von den Reformern dominierten sechsten Parlaments war, fährt fort:

…einige Personen hatten sich am Wali-Asr-Platz versammelt und warteten auf Anweisungen, um einige Aktionen (Komplott gegen den Wahlausgang, Red.) durchzuführen. Die Aktionen fanden aus einigen Gründen nicht statt und Khatami wurde Präsident.

Drei Jahre später eroberten die Reformer in einem eindrucksvollen Sieg die zweite Staatsgewalt, das Parlament. 2001 gelang Khatami die Wiederwahl bei den Präsidentschaftswahlen. Seit 1999 (während der Amtszeit Khatamis) werden im Iran Kommunalwahlen abgehalten, eine davon haben die Reformer klar gewonnen. Die Wahlen im Iran sind keine genuine „Fiktion“.

Ein Wettbewerb islamisch-republikanischer Art

Es ist ein „Wettbewerb“ islamisch-republikanischer Art zwischen Reformern und den konservativen Kräften nebst ihren Schutzorganen (siehe Unübersehbar heftige Spannungen). Die Konservativen haben den Wächterrat, inoffiziell die Infrastruktur der Regierung und die Massenmedien einschließlich der Fernseh- und Rundfunkanstalt auf ihrer Seite. Die Möglichkeiten der Reformer, auch finanzieller Natur, stehen in keinem Verhältnis zu denen der Konservativen.

Das pragmatisch-reformistische Lager hofft auf die Effekte der katastrophalen Bilanz der Regierung Ahmadinedschads. Ahmadinedschads Hauptwahlversprechen war die fundamentale Verbesserung der materiellen Lage der Bürger eines Landes, in dem trotz weltweit nahezu einmalig reicher Naturressourcen (Erdöl und Erdgas), 40% unter der Armutsgrenze leben.

Das Forschungszentrum des Parlaments, dem der konservative Ahmad Tawakoli vorsteht, bezifferte die Inflationsrate auf 23,4% (die tatsächliche soll sogar weit höher liegen). Das ist ein Anstieg von mehr als 10% im Vergleich zum letzten Amtsjahr Präsident Khatamis (offiziell 12,1%). Ein Viertel der erwerbsfähigen Bevölkerung Irans ist arbeitslos. Dabei muss man bedenken, dass Ahmadinedschad in seinem dritten Amtsjahr dreimal soviel Erdöleinnahmen erzielt hat wie Khatami in seiner gesamten achtjährigen Amtszeit.

Die spürbar allgegenwärtige Präsenz und die Razzien der Sittenpolizei werden immer erstickender. Dies zusammen mit den umfassenden, rigiden Aktionen der Sicherheits- und Ordnungskräfte gegen die „unsittlichen“ Verstöße gegen Bekleidungsvorschriften von Frauen lassen die Iraner sich nach der Ära Khatami sehnen. Sollte dennoch das konservative Lager unter diesen Umständen die Parlamentwahlen gewinnen, dürfte die Rechtsmäßigkeit der Wahlen diesmal deutlich angezweifelt werden.

Der Wächterrat wird alle Kräfte für den Einsatz seiner effektivsten Karte, Bestätigung oder Ablehnung der aufgestellten Kandidaten, mobilisieren. Deutliche verbale Signale sind bereits getätigt worden. Dieses nicht vom Volk gewählte, aber mächtige Organ hat 2004 etliche Reformkandidaten, die zum Teil früheren Parlamenten angehörten, von den Parlamentswahlen ausgeschlossen. Daraus resultierte das siebte, von den Konservativen und Islamisten dominierte Parlament, das den Weg für einen islamistischen Präsidenten, Ahmadinedschad, ebnete.

Aktuelle Fronten bei den Wahlen

Die Konservativen (Mohafezeh Karan) und die machtbesessenen Autoritaristen (Eghtedargharayan) bilden trotz ihrer verschiedenen Schattierungen die Gegenfront zu den Reformern. Die Fraktion Ahmadinedschads ist die radikalste unter ihnen. Die Kräfte um das Trio Ali Laridschani (Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats), Mohammad Bagher Ghalibaf (Oberbürgermeister von Teheran) und Mohsen Rezai (Generalsekretär des Rates zur Feststellung der Interessen des Regimes / Magma-e Taschkhis-e Nezam) stellen das konservative, aber nicht radikale Spektrum dar. Alle diese Gruppen bilden zusammen die Mehrheitsfraktion in der gegenwärtigen Majlis, „Koalition der Erbauer des Islamischen Iran“ (Etelaf-e Abadgaran-e Iran-e islami) (siehe Unübersehbar heftige Spannungen).

Die Reformer (Eslahtalaban) und Pragmatiker (Amalgarayan) sind zwar auch in unterschiedliche Gruppen geteilt, stehen sich jedoch untereinander näher als dies in der Gegenfraktion der Fall ist. Die (heute noch) stärksten Reformparteien sind die „Partizipationsfront“ (Jebh-e Moscharekat) und die „Organisation der Mudschahedin der Islamischen Revolution“ (siehe Unübersehbar heftige Spannungen).

Hinzu kommt die „Partei des Nationalen Vertrauens“ (Hezb-e Etemad-e Meli) des Geistlichen Mehdi Karubi, einem Mann der ersten Stunde der Islamischen Republik. Abgesehen von Teheran, wo Karubis Partei mit einer eigenen Liste antritt, haben diese Parteien eine einheitliche Kandidatenliste. Die um den Pragmatiker Rafsandschani vereinigte einheitliche Liste von der „Partei der Diener des Aufbaus“ (Hezb-e Karghozaran-e Sazandeghi), die vom Rafsandschanis Bruder Mohammad geführt wird, die „islamischen Partei der Arbeit“ (Hezb-e Islami-ye Kar) und die „Partei der Jugend des islamischen Irans“ (Hezb-e Dschawanan-e Iran-e Islami) sehen sich auch als eindeutige Gegenfront zu den Konservativ-Islamisten. Der „Rat der national (d.h. liberal)-religiösen Aktivisten“ (Schoray-e Fa’alan-e Meli Mazhabi) unterstützt die Reformer, hat jedoch seinen Verzicht auf die Kandidatur verkündet.

Dieser Rat, der hauptsächlich von der illegalen, aber geduldeten „Freiheitsbewegung Irans“ (Nahzat-e Azadi-e Iran) getragen wird, sieht keine Chance der Zulassung seiner Mitglieder seitens des Wächterrates. Die Freiheitsbewegung, aber auch die größeren Reformparteien haben den Wächterrat aufgefordert, entweder die Rechtsmäßigkeit der freien Wahlen zu respektieren oder zurückzutreten.

Der Iran ist ein Land mit einem einzigartigen, komplizierten Herrschaftssystem. Der Religionsführer Ayatollah Ali Khamenei hat ein Amt inne, das aufgrund seiner verfassungsmäßig verankerten Rechte de facto über der Verfassung steht. Ayatollah Khamenei und Parlamentspräsident Gholam Ali Hadad-e Adel, der erste nicht-geistliche Parlamentspräsident der Islamischen Republik haben einen sauberen Ablauf der Wahlen angemahnt. Hadad-e Adel hat sowohl das Innenministerium als Organisator der Wahlen als auch den Wächterrat aufgefordert, die Rechtsmäßigkeit der Wahlen zu respektieren.

Inwieweit dies auch in der Praxis eintreten wird, wird sich zeigen. Seit Ahmadinedschads Präsidentschaft besetzen ehemalige Militärs und hochrangige Geheimdienstler hohe Regierungs- und Verwaltungsposten, so etwa Vizeminister- und Gouverneurämter. Im Innenministerium, dem Organisator der Wahlen, ist der Vizeminister General Afschar, ein ehemaliger Kommandeur der Revolutionswächter, für die Wahlorganisation verantwortlich.

Bei aller Skepsis scheint sich die Ansicht verbreitet zu haben, dass ein Boykott der Wahlen nicht sinnvoll wäre. Bei den vorletzten Kommunalwahlen 2003 haben landesweit weniger als 25% der Wahlberechtigten abgestimmt.

So wurde Ahmadinedschad Oberbürgermeister von Teheran. Fast 50% blieben der Parlamentswahl von 2004 fern. Daraus ergab sich ein konservativ dominiertes Parlament, das das Leben der Regierung Khatamis schwer machte. Die niedrige Wahlbeteiligung resultierte aus der Enttäuschung und Frustration der Wählerschaft Khatamis, die ihre Erwartungen nicht erfüllt sah. Bei den Präsidentschaftswahlen vom 2005 gingen bei den Stichwahlen etwa 42% der Stimmberechtigten nicht an die Wahlurnen.

Der Bürgermeister Ahmadinedschad wurde Präsident. Es wird den iranischen Stimmberechtigten schwer fallen, einen Grund für einen Boykott der Wahl zu findet. Jene Kräfte, Politiker und Persönlichkeiten, insbesondere im Ausland, die zum Boykott aufgerufen hatten, haben nach dem Amtsantritt Ahmadinedschads täglich über die katastrophale innen- und außenpolitische Lage Irans geschrieben.

Dem Wächterrat obliegt die Befugnis, die Gesetze des Parlaments auf ihre Vereinbarkeit mit islamischen Grundsätzen zu überprüfen. Trotz der komplizierten Machtstruktur des iranischen Herrschaftssystems, in dem der Wächterrat ein von Reformern dominiertes Parlament und einen Reformpräsidenten blockieren kann, wie dies in der Amtszeit Präsident Khatammis der Fall war, ist es jedoch für die Reformer wichtig, die Legislative wieder zu erobern, zumal sie nun sehr viele Erfahrungen im sechsten Parlament gesammelt haben.

Das sechste Parlament war ein Forum der heftigen kontroversen Debatten. Ali Akbar Mussawi Khoeini, der Vorsitzende des Absolventenzweigs des einigen legalen oppositionellen Studentenverbands, zugleich die größten Studentenorganisation des Landes, sagte 2003 als Parlamentsabgeordneter des sechsten Parlaments: „Das Hauptproblem unseres Landes ist, dass es Institutionen und Einrichtungen gibt, die außer der Kontrolle des Staates stehen. Diese agieren unter Schutz und Kontrolle einer Person (Ayatollah Khamenei, Red.) und diese Person lässt keinerlei Veränderungen und Reformen zu und steht über dem Gesetz.“ Es bestehen abermals erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Lagern, den Reformern und den Konservativen bzw. Islamisten.

Bei den Reformern würden viele bei einer sich fortschreitenden inneren Öffnung sogar das Prinzip des Velayat-e Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten, Khomeinis Herrschaftsdoktrin) in Frage stellen. In Wahrheit glauben viele von ihnen schon heute nicht daran und sehen darin die eigentlichen Probleme des Landes. Viele von den Reformern würden auch die iranische Verfassung, die grundlegende Reformen nicht zulässt, da die Instanz des Religionsführers de facto und „via Verfassung“ über der Verfassung steht, gerne revidiert sehen.

Einige prominente Persönlichkeiten, die dem religiös-liberalen und reformistischen Bündnis zuzuordnen sind, haben bereits das Regime vor gefährlichen Herausforderungen gewarnt, sollte der Wächterrat freie Bahn für Manipulationen erhalten. In diesem Falle würde tatsächlich das letzte Vertrauen in die Reformierbarkeit des Regimes erschüttert werden. Diese Warnung erinnert an die dramatischen Worte des ersten Premierministers der Islamischen Republik, des religiös-liberalen Mehdi Bazargan, der Mitte der 60er Jahre das Schah-Regime gewarnt hatte: „Wir sind die letzten Oppositionellen, die mit Verfassung und Gesetz als Waffe gegen die Unterdrückung kämpfen“.

Der Schah überhörte das und es entstanden Guerilla-Organisationen Die Guerilleros waren zumeist ehemalige junge Mitglieder (Studenten und Intellektuelle) der liberalen bzw. liberal-religiösen verbotenen Parteien, die keine Aussicht mehr in einem gewaltlosen Kampf sahen. Die Verhältnisse der 70er Jahre, der bewaffnete Kampf, ist zwar heute kaum vorstellbar, doch könnte die Islamische Republik mit anderen schweren Herausforderungen konfrontieren.

Der 14. März könnte ein Gradmesser für die Reife der iranischen Wahlkultur sein. Die niedrigen Wahlbeteiligungen haben bisher dem Volk und dem Land immens geschadet. Politik ähnelt manchmal einem Fußballspiel. Man muss das Spiel bis zum Ende spielen, sonst hat man verloren. Die Iraner haben Präsident Khatami und ein Reformparlament gewählt. Als ihre Erwartungen nicht voll verwirklicht wurden, haben sie das Spielfeld vorzeitig verlassen und Ahmadinedschad und ein islamistisches Parlament das Feld dominieren lassen. Der 14. März wird auch richtungweisend sein für Präsidentschaftswahlen, die nächstes Jahr stattfinden. Die Zukunft der Islamischen Republik wird von diesen beiden Wahlen abhängen.