Riskante militärische Muskelspiele in der Ostsee
Russen und Amerikaner führen vermehrt Manöver durch, ein US-Zerstörer, der Teil des US-Raketenabwehrsystems ist, wurde offenbar von russischen Kampflugzeugen getestet
Während der russische Außenminister Sergej Lawrow gerade bei einem Besuch in der Mongolei erklärte, man werde sich nicht in sinnlose Konfrontationen mit der Nato hineinziehen lassen, beschwert sich das Pentagon, dass russische Kampfflugzeuge und ein Militärhubschrauber am 11. Und 12. April einen US-Zerstörer im Baltischen Meer zweimal provozierend nahe überflogen und "aggressive Manöver" ausgeführt hätten. Nach der Navy seien die Überflüge am 12. April ein "simulierter Angriff" gewesen. Manche der Manöver seien "unsicher und unprofessionell" gewesen. Einen Funkkontakt habe man nicht herstellen können.
Obwohl oder weil letzte Woche von Nato-Generalsekretär Stoltenberg angekündigt wurde, dass der wegen der Ukraine ausgesetzte Nato-Russland-Rat wieder aktiviert werden soll, bei dem es auch um Risikominimierung, gehen mit der neuen Dialogbereitschaft offenbar weitere Störmanöver einher. Am 20. April soll dieser auf Botschafterebene tagen.
Bei dem Vorfall in der Ostsee handelte sich offenbar um die wieder vermehrt üblichen Muskelspiele, die von Militärs auf beiden Seiten aufgeführt werden, um Handlungs- und Einsatzbereitschaft zu signalisieren. Im Hintergrund findet zwischen den USA und Russland (sowie China) ein erneutes Wettrüsten statt. Die USA wollen die Militärausgaben in Europa um das Vierfache erhöhen und permanent Truppen in Osteuropa stationieren, was ebenso wie die Errichtung des Raketenabwehrsystems in Rumänien und Polen in Moskau als Provokation und Drohung empfunden wird. Die russische Regierung spricht von einer "Dämonisierung" Russlands durch die Nato, die damit den "militärischen Druck" rechtfertigen will, weil sie, so Lawrow, zu ihrer Existenzberechtigung Feinde benötigt, in Washington werde immer wieder von der "russischen Aggression" gesprochen.
Nach dem Pentagon haben unbewaffnete SU-24-Kampfflugzeuge und mindestens ein Ka-27-Hubschrauber den Zerstörer U.S.S. Donald Cook mit einem Abstand von 23m überflogen. Das sei gefährlich und provokativ und könnte einen Unfall verursachen. Nach Äußerungen von Pentagon-Mitarbeitern seien die Flugzeuge so dicht, wie schon lange nicht mehr, an das Kriegsschiff herangeflogen. Der Militärhubschrauber sei der Cook bis 30 m nahegekommen. Verwiesen wird auf eine Aufnahme, auf der zu sehen ist, dass die Seitentüre offenstand und ein "Mensch in Jeans" auf der Hinterbank saß. Daraus will man die offenbar wichtige, aber nicht weiter erörterte Erkenntnis schließen, "dass die Russen jemanden mitbrachten, der nicht dem Militär angehört". Einer der Überflüge soll geschehen sein, als gerade ein polnischer Militärhubschrauber starten wollte, weswegen er dann sicherheitshalber an Deck geblieben sein soll.
Verstanden wird das Verhalten als ein Zeichen für möglicherweise ansteigende Spannungen. Die US-Seite interpretiert dies als Bedrohung, in der WSJ wird unterstellt, die Provokation könne etwas mit der der Wiederaufnahme des Dialogs im Nato-Russland-Rat zu tun. Wenn man berücksichtigt, dass die Cook Teil des US-Raketenabwehrsystems, mit AEGIS-Luftabwehrraketen und Tomahawk-Marschflugkörpern ausgestattet und auch für die elektronische Kriegsführung ausgerüstet ist, dass sie gerade in der Ostsee in der Nähe von Kaliningrad, wenn auch in internationalen Gewässern, patrouillierte und mit polnischen Streitkräften und anderen Alliierten Hubschrauberübungen durchführte, lässt sich schon nicht mehr so ohne Weiteres sagen, wer hier wen provoziert. Die USA haben Moskau wegen des Vorfalls zu einer Stellungnahme aufgefordert , das European Commando des Pentagon hat zur Dokumentation Videos und Fotos über die "Begegnung des Marineschiffs mit einem aggressiven russischen Flugzeug" veröffentlicht.
Das Pentagon hatte im April 2014 den Zerstörer unangekündigt ins Schwarze Meer fahren lassen, um militärische Unterstützung für die Ukraine zu signalisieren. Auch damals war es zu Muskelspielen gekommen und hatten russische Kampfflugzeuge am 12. April, genau vor zwei Jahren, den Zerstörer dicht umkreist. Russische Medien berichteten damals, die Su-24 sei mit dem neuesten russischen "funkelektronischen" Kampfsystem namens Chibiny ausgestattet gewesen, das "unter äußerst realitätsnahen Bedingungen" erprobt worden sei. Das AEGIS-System auf der Donald Cook habe zwar die sich nähernde Maschine entdeckt und Alarm ausgelöst, aber dann seien plötzlich die Bildschirme auf dem Zerstörer erloschen ("Eine recht originelle Demonstration"). Gut möglich also, wenn diese Berichte stimmen, dass aus dieses Mal wieder die elektronischen Kampfsysteme und die US-amerikanische Abwehr getestet wurden.
Dazu kommt, dass ebenfalls in Wiederkehr von Kalte-Kriegs-Szenarien nach Angaben des Pentagon die U-Boot-Aktivitäten der Russen stark zugenommen hätten. Deswegen seien auch über die Überwachungsanstrengungen des Pentagon verstärkt worden, was wiederum den Vorfall mit der Cook erklären könnte. So sagte ein Pentagon-Mitarbeiter der WSJ: "Wir wollen, dass die Russen wissen, dass wir wissen, wo sie (die U-Boote) sind." Um gleich darauf zu bemerken, dass die Cook nicht nach russischen U-Booten Ausschau gehalten haben soll. Heute hat das russische Verteidigungsministerium eine unangekündigte Übung in der Ostsee durchgeführt, um die Bereitschaft der Flotte zu testen, sollte ein fremdes U-Boot in die Nähe von russischen Gewässern kommen.
Schon zuvor war es zu Spannungen gekommen, denn die Russen führen ebenso wie die Amerikaner und deren Alliierte immer mehr Militärübungen aus, die auch dazu dienen, Präsenz zu zeigen und zu provozieren. So führt auch die Baltische Flotte der Russen Übungen in der Nähe von Kaliningrad aus, d.h. auch in der Nähe des polnischen Hafens, den die Cook für das amerikanische Manöver am Montag verlassen hat. Als Reaktion auf die Installierung des US-Raketenabwehrschilds in Polen und Rumänien hat Moskau die militärische Präsenz in Kaliningrad massiv verstärkt und dort Raketenabwehrsysteme aufgebaut.
Russische Medien präsentieren die Bilder der US-Navy von den Begegnungen und wiederholen mehr oder weniger den Pentagon-Text. So wird in Russia Today von den demonstrierten "Flugkünsten" der russischen Piloten gesprochen, die nach den Videos die amerikanischen Soldaten nicht weiter geängstigt hätten. Nach russischen Angaben war die Cook 70km von einem russischen Marinestützpunkt entfernt. Generalmajor Igor Konashenkov betonte, alle Flüge russischer Militärflugzeuge über internatinalen Gewässern würden strikt den internationalen Regeln gehorchen. Die Piloten hätten lediglich, nachdem sie den Zerstörer gesichtet hätten, ein Manöver mit den erforderlichen "Sicherheitsmaßstäben" durchgeführt. RT meint, die Überflüge hätten "Panik in Washington verursacht, was wohl zusammen mit den US-Bildern die Botschaft sein soll. Es heißt, Russland müsse zu dem Vorfall noch Stellung beziehen. Wahrscheinlich seien die Flugzeuge von Kaliningrad gekommen, dem Hauptstützpunkt der Baltischen Flotte.