Rohstoffe im Sommerschlussverkauf

Steigende Fördermengen und der drohende globale Krisenschub lassen die Preise für Energieträger und Rohstoffe in den Keller fallen - USA und Schwellenländer sind hiervon besonders betroffen

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"Jeder wartet hier auf den Tag des Jüngsten Gerichts." So beschrieb ein Verwaltungsangestellter die Stimmung im Herzland der ehemals boomenden amerikanischen Fracking-Industrie, im texanischen Karnes County, gegenüber US-Medienvertretern. "Alles war gut, jeder erhielt diese großen, fetten Schecks, und jeder wartete darauf, dass sein Land ebenfalls gepachtet wird - und dann kam all das knirschend zum Stehen mit dem Beginn dieses Jahres."

Nirgends in Texas werde so viel Rohöl gefördert wie in Karnes County, berichtete die New York Times über die Folgen des Verfalls der Ölpreise für die texanische Frackingindustrie. Arbeitskräfte, die von weither zugewandert seien, um während der Boomphase der umweltschädlichen und kostspieligen Fördermethoden von unkonventionellen Energieträgern relativ gut bezahlte Jobs zu ergattern, seien nun dabei, ihre Wohnwagenparks wieder zu verlassen, während hunderte aufgegebener Öltanks und verwitternder mobiler Toiletten die Straßen in der ehemaligen texanischen Boomregion säumen.

Ölplattform Gail in Südkalifornien. Bild: doe.gov

Das Fracking von Schieferöl und Schiefergas, bei dem ein hochgiftiger Chemiecocktail in tief liegende Gesteinsschichten unter hohem Druck gepumpt wird, um diese zum Bersten zu bringen und so den Energieträger freizusetzen, hat auch viele Farmer in der Region über Nacht zu Millionären gemacht, da sie in der Boomphase Förderrechte für die Schieferölvorkommen auf ihrem Land an Energieunternehmen veräußern konnten. Nun können viele dieser Landwirte nicht mehr die Kreditzahlungen "für ihre neuen Traktoren" und andere landwirtschaftliche Maschinen aufbringen, so die New York Times.

Das Ende des kurzen Booms in dem alten, fossilen Herzen der amerikanischen Energieindustrie wurde durch den rasanten Preisverfall bei Rohstoffen ausgelöst, der seine Ursache in der massiven Ausweitung der Fördermenge durch die Golfstaaten Ende 2014 hatte (Der große Ölkrieg).

Von dem hohen Preisniveau von mehr als 100 US-Dollar pro Fass, das den kurzlebigen Frackingboom in den USA beförderte, sind die Weltmarktpreise der fossilen Energieträger inzwischen meilenweit entfernt. Nach einem massiven Einbruch auf 45 US-Dollar und "einer kurzen Erholung im Frühjahr" seien die Preise "auf einen neuen Tiefstand seit der Rezession" gefallen, klagte die NYT.

Förderung übersteigt die Nachfrage bei weitem

Eine Erholung der Preise für Energieträger sei bis auf weiteres nicht in Sicht, meldete die Financial Times, unter Berufung auf eine Studie der International Energy Agancy (IEA), Mitte August. Die globale Ölförderung wachse in einem "halsbrecherischen Tempo", so dass die Produktion inzwischen die Nachfrage um drei Millionen Barrel täglich übersteige. Dies sei "der höchste Wert seit 1998", warnte die IEA. Die Ölindustrie habe sich auf "eine längere Periode niedriger Preise" eingestellt.

Während die hohen Fördermengen des Opec-Kartells, das 2014 den Preiskrieg bei Rohöl eröffnete, etwas gesunken seien, befinde sich die Gesamtfördermenge der Länder außerhalb der OPCE immer noch weit über dem Niveau von 2014. Die Nicht-Opec-Länder produzierten in diesem Jahr täglich im Schnitt 1,2 Millionen Barrel Rohöl mehr als im Vorjahreszeitraum. Diese Fördermengenzunahme ist vor allem auf die Fracking-Industrie in den USA und Kanada zurückzuführen, so die IEA, die auf die "großen Investitionen" verwies, die in die umstrittene Förderung von Schieferöl in den USA getätigt wurden.

Im Klartext: Die US-Industrie hat gigantische Beträge in den Aufbau dieser nun defizitären "unkonventionellen" Gas- und Ölförderung investiert, die nun nicht einfach abgeschrieben werden sollen. Viele Unternehmen und Konzerne in der Branche versuchen lieber, die Investitionen noch zu retten und eine Zeit lang mit Verlusten zu operieren, um so zumindest einen Teil der horrenden Förder- und Erschließungskosten wieder zu amortisieren - immer in der Hoffnung, dass der nächste Preisboom bald einsetzen werde. Laut Prognosen der IEA wird die nun anstehende "Marktbereinigung" erst 2016 einsetzen, da die unkonventionelle Ölförderung in 2015 - trotz des Preiseinbruchs! - aufgrund der massiven langfristigen Fehlinvestitionen der blinden "unsichtbaren Hand" des Energiemarktes noch wachsen werde.

Die New York Times macht neben der "Rekordproduktion" unkonventionellen Rohöls in den USA auch den "Förderrausch im Irak und Saudi Arabien" und die ab 2016 anstehende "Überflutung" des Weltmarktes durch iranisches Öl für den Einbruch der Rohölpreise verantwortlich. Die steigende Produktivität der Fördertechniken in der Schieferbranche verschärft die Lage zusätzlich, da die Fördermengen trotz der Schließung einzelner extrem unrentabler Quellen kaum sinken wollen. Die NYT berichtete von Beispielen für jährliche Produktivitätssteigerungen von mehr als 30 Prozent.

Obwohl es zu Massenentlassungen kommt, sinkt die Fördermenge kaum. Das Platzen der Ölblase ließ den kurzen Wirtschaftsaufschwung in den zumeist verarmten Regionen der USA, in denen Schieferölvorkommen ausgebeutet wurden, sehr schnell kollabieren. Betroffen sind laut der NYT Regionen in North Dakota, Louisiana, Colorado, Pennsylvania, Arkansas und Ohio. Im texanischen Karnes County stellte vor dem Fracking-Boom die US-Gefängnisindustrie mit einem Hochsicherheitsgefängnis den größten lokalen "Arbeitgeber", während die Farmer der Region aufgrund der lang anhaltenden Dürre ihr Vieh notschlachten mussten.

Die Rückkehr zu diesem spätkapitalistischen Elend ist nur noch eine Frage der Zeit: Die Anzahl der Förderanlagen in der texanischen Schieferölregion wird von 206 auf 79 absinken. Die krisenbedingten Entlassungen in der Branche summierten sich inzwischen auf 176.000 Arbeitskräfte, wobei die Abschreibungen in diesem strukturell unrentablen Energiesektor inzwischen auf rund 29 Milliarden US-Dollar angeschwollen sein sollen.