Rom sagt Brüssel Weiterbau der Schnellzugstrecke TAV zu
Ministerpräsident Conte ließ sich seinen eigenen Angaben nach von einer Erhöhung der Zuschüsse aus Brüssel überzeugen
Das italienische Verkehrsministerium hat der EU-Exekutivagentur für Innovation und Netze mitgeteilt, dass sich Italien weiter am Bau der TAV-Schnellzugstrecke zwischen der norditalienischen Industriestadt Turin und der südfranzösischen Industriestadt Lyon beteiligen wird. "Naturschützer", die gegen das Projekt sind, versuchten danach gewaltsam in die mit Gittern abgesperrte Baustelle im Susatal einzudringen. Dabei bewarfen sie Polizeibeamte mit Steinen, woraufhin diese Tränengas einsetzten und 40 Strafanzeigen schrieben.
Die geplante insgesamt 270 Kilometer lange Bahntrasse mit einem rund 60 Kilometer langen Tunnel zwischen dem piemontesischen Susatal und St. Jean de Maurienne soll sowohl die Zugfahrten zwischen Städten in Europa wie Mailand, Venedig, Barcelona, Lissabon und Paris beschleunigen, als auch mehr Güterverkehr auf die Schienen bringen. Insgesamt sind für das Projekt 26 Milliarden Euro veranschlagt, wovon den bisherigen offiziellen Zahlen nach etwa 40 Prozent von Steuerzahlern aus allen EU-Mitgliedsländern stammen und über Brüssel ausgeschüttet werden.
"Den härteren Schädel"
Das Projekt ist einer der Punkte, an dem sich die die beiden italienischen Regierungsparteien M5S und Lega bislang eher uneins waren (vgl. Neun-Milliarden-Bahntunnel: Belastungstest für die italienische Regierung). Im Koalitionsvertrag hatten sie sich 2018 auf die Formulierung geeinigt, man werde den "Treno ad Alta Velocità" auf den Prüfstand stellen.
Nachdem die EU im Frühjahr 2019 mit Strafen drohte, warnte M5S-Capo Di Maio vor einer "Verletzung des Koalitionsvertrages" durch Ausschreibungen, woraufhin Lega-Chef Matteo Salvini erklärte, er wolle "ein Italien, das vorangeht", weswegen kein Lega-Minister die Hand für einen Baustopp heben werde. Dann werde man ja sehen, wer am Ende "den härteren Schädel hat" und sich durchsetzt.
Mehr Geld aus Brüssel
Der parteifreie Ministerpräsident Guiseppe Conte hatte damals gemeint, er sei "derzeit nicht überzeugt davon, dass dieses Infrastrukturprojekt das ist, was Italien braucht". Dabei bezog er sich auf eine Rechnung des Infrastruktur- und Verkehrsministers Danilo Toninelli von der M5S, der zufolge der Nutzen der neuen Bahnstrecke die Kosten nicht aufwiegen wird.
Nun hat Conte seine Meinung geändert, was er damit begründet, dass ihm die EU eine höhere Förderung aus Brüssel zugesagt habe. Konkrete Summen nannte er dabei nicht. Der ebenfalls parteifreie Wirtschafts- und Finanzminister Giovanni Tria hatte sich bereits vorher für den TAV-Weiterbau ausgesprochen und gewarnt, man dürfe "keine Investitionen erwarten, wenn eine Regierung es für legitim hält, unterzeichnete Verträge rückwirkend zu ändern" (vgl. Italienischer Innenminister hält Verkauf von Goldreserven für eine "interessante Idee"). Damit spielte er auch auf die potenziell milliardenhohen Schadensersatzklagen aus Frankreich an, die Italien neben dem Verlust von EU-Fördergeldern gedroht hätten, wenn es das bereits vor 20 Jahren beschlossene Projekt im jetzigen Stadium noch gestoppt hätte.
Lega drohte indirekt mit Neuwahlen
Eine nicht explizit genannte Rolle bei Contes Meinungsänderung (und dem wahrscheinlich damit verbundenen Einlenken der M5S) könnten Äußerungen Matteo Salvins gespielt haben, die kurz nach der Bestätigung Ursula von der Leyens als neue EU-Kommissionspräsidentin fielen. Hier hatten die Abgeordenten der M5S im EU-Parlament für die Deutsche gestimmt, und die der Lega dagegen. Salvini meinte darauf hin, er habe nun kein Vertrauen mehr in den Koalitionspartner, was weithin als Drohung mit Neuwahlen interpretiert wurde.
Bei solchen Neuwahlen müsste die M5S der jüngsten Umfrage nach fürchten, von 32,68 auf 17,5 Prozent abzustürzen, während die Lega mit einem Zuwachs von 17,34 auf vorher noch nie gemessene 38,1 Prozent hoffen darf, dass ihr Ergebnis reicht, um zwischen einer nochmaligen Koalition mit einer nun deutlich schwächeren M5S oder einem ebenfalls klar von ihr dominierten Bündnis mit Silvio Berlusconis bei 7,8 Prozent gemessener Forza Italia und Giorgia Melonis 6,3 Prozent starken Fratelli d'Italia wählen zu können. Auf Regional- und Kommunalebene sind diese Parteien bereits mehrere Bündnisse mit Salvinis Partei eingegangen.
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