Roma zwischen Segregation, Pogrom und Vertreibung

Seite 2: In der Krise sind die Roma auch zu einem bevorzugten Ziel rechtsextremer Umtriebe geworden

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Neben Ungarns rechtsextremer Partei Jobbik (Rassismus und Rechtsextremismus gedeihen in Osteuropa), die ihren Wahlerfolg hauptsächlich auf antiziganischer Hetze und zahllosen Provokationen aufbaute, sind es die Nazis der Tschechischen Arbeiterpartei der Sozialen Gerechtigkeit (DSSS), die immer wieder die Spannungen zwischen Mehrheitsbevölkerung und Roma zu regelrechten Pogromen anzufachen versuchen.

Zuletzt wurde die südböhmische Stadt Ceské Budejovice von schweren rassistischen Ausschreitungen erschüttert, bei denen zuerst ganz gewöhnliche Bürger einträchtig mit Neonazis gegen die rund 400 Roma demonstrierten, die in der Plattenbausiedlung Maj der 100.000 Einwohner zählenden Stadt leben. Hiernach zogen Hunderte von Rechtsextremisten zu den Unterkünften der Roma, um diese zu stürmen. Es folgte eine mehrstündige Straßenschlacht zwischen den Faschisten und Polizeikräften, in deren Verlauf zehn Menschen verletzt wurden. Die Polzei meldete 40 Festnahmen. Nach diesem ersten Pogromversuch Ende Juni fanden noch in den darauf folgenden Wochen Aufmärsche von Neonazis in Ceské Budejovice statt, bei denen es ebenfalls zu Zusammenstößen mit der Polizei kam.

Das Vorgehen der rechten Schlägertruppen hat System. Bei dieser Strategie der ethnischen Spannung werden nichtige Anlässe aufgebauscht, um die gegebenen Spannungen weiter anzufachen. Die Anti-Roma-Kundgebungen und Pogromversuche in Ceské Budejovice wurde vermittels sozialer Netzwerke organisiert, nachdem Roma und Tschechen auf einem Spielplatz in Streit gerieten und es hierbei zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Nach einem ähnlichen Muster verliefen die Unruhen am 22. Juni in der nordböhmischen Stadt Duchov, wo rund 1000 Nazis und Bürger gegen die dortige Roma-Minderheit demonstrierten. Nach der Kundgebung fanden ebenfalls Versuche faschistischer Schlägertruppen statt, die Wohnquartiere der Roma anzugreifen. Die Polizeikräfte konfiszierten bei 22 Festnahmen rund drei Dutzend Waffen, darunter Baseballschläger und Messer. Auch in Duchov reichte ein kleiner Vorfall, eine Schlägerei zwischen Tschechen und Roma, um die rassistische Mobilisierung zu entfachen.

Dabei liegen zwischen der rechtsextremen Romahetze und dem Alltagserfahrungen in den betroffenen Stadtteilen Welten, wie ein Interview des tschechischen Rundfunks mit einem Einwohner der Plattenbausiedlung Maj in Ceské Budejovice illustrierte. Das Alltagsleben in der Siedlung sei "einigermaßen ruhig", erzählte der 25-jährige Fahrradmechaniker:

Das ist natürlich nicht wie auf dem Dorf. Hier leben auf relativ engem Raum viele Menschen. Da kommen manchmal Konflikte auf. Hier gibt es in der gesamten Siedlung mit 20.000 Menschen zum Beispiel nur einen Spielplatz. Das ist zu wenig. Aber insgesamt ist das Leben hier in Ordnung. … Einige Leute nervt es, wenn nach 22 Uhr hier noch Lärm ist. Es stimmt schon, dass es um diese Zeit hier etwas lauter zugeht. Aber gegen Mitternacht wird es dann auch ruhig. Immer wieder wird gesagt, die Roma würden nicht arbeiten und nur herumlungern. Aber wenn man hier mit den Leuten - auch den "Weißen" - spricht, dann merkt man, dass die Menschen in der Siedlung alle die gleichen Probleme haben, Roma wie Weiße. Alle suchen Arbeit oder wissen nicht, wie es in einem Monat, in einem Jahr aussehen wird.

Es sei für "einige Medien, einige Politiker" sehr einfach, den Roma die Schuld an allen möglichen Missständen zuzuschieben, erklärte der Anwohner.

Normale Bürger protestieren Hand in Hand mit Rechtsextremisten gegen Roma

Probleme, die aus dem Alltagsleben unter prekären sozialen Bedingungen resultieren, werden somit von Rechtsextremen und Populisten aufgebauscht und den Roma angelastet. Die Gettoisierung der stark marginalisierten und diskriminierten Roma ist aber auch die Folge der zunehmenden sozialen Spaltung in dem rezessionsgeplagten Europa, die in Regionen mit einer größeren Roma-Minderheit eine rassistische und antiziganische Verlaufsform annimmt. Die Roma werden im derzeitigen Wirtschaftsabschwung als Erste entlassen und als Letzte eingestellt, womit der grassierende Antiziganismus sich seine eigenen Ressentiments vom "arbeitsscheuen Zigeuner" zu bestätigen scheint. Die entlassenen, auf die Müllkippen vertriebenen Roma werden dann von Zigeunerhassern jeglicher Couleur als arbeitsscheu und schmutzig verhöhnt.

Dabei stellten diese Rassenunruhen, bei denen "normale Bürger Hand in Hand mit Rechtsextremisten protestieren" würden, in Tschechien inzwischen einen landesweiten Trend dar, erklärte Miroslav Mareš, Experte für Rechtsextremismus an der Universität Brno, im Gespräch mit Radio Prag. Der Unterschied bestehe darin, dass nun eine "territoriale Ausbreitung" dieser Pogromversuche zu konstatieren sei, die zuerst 2008 im Nordböhmischen Grenzgebiet zur Bundesrepublik auftraten.

Nicht nur in der östlichen Peripherie, auch in den westlichen Zentren der europäischen Wertegemeinschaft lässt sich mit antiziganischen Ressentiments gut Politik machen, wie beispielsweise Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im derzeitigen Wahlkampf unter Beweis stellt. Man werde "Armutseinwanderer" aus Rumänien und Bulgarien "rausschmeißen" und einen harten Kurs "ohne großes Federlesen" verfolgen, tönte der CSU-Politiker Anfang Juni. Der Innenminister erklärte, er wolle die Freizügigkeit der betroffenen EU-Bürger einschränken und gegebenenfalls "Einreisesperren" einführen, damit die aus Deutschland abgeschobenen Roma "am nächsten Tag nicht wiederkommen können".

Gemeinsam mit Österreich, den Niederlanden und Großbritannien fordert die Bundesrepublik nun mehr "Sanktionsmöglichkeiten", um wirksam gegen die Elendsflüchtlinge aus der europäischen Peripherie vorgehen zu können. Die Segregation der europäischen Roma, die in den Bildungssystemen Osteuropas beginnt, findet somit bei der Wahrnehmung der Niederlassungs- und Reisefreiheit in den Zentren der Europäischen Union ihre Vollendung.