Rosenkrieg: Ist Die Linke zu nett zur Ampel?

Will nicht mehr für das Amt der Fraktionschefin kandidieren: Amira Mohamed Ali. Foto: Martin Heinlein / CC-BY-2.0

Amira Mohamed Ali wirft als Fraktionschefin der Linken das Handtuch. Sie wirft der Parteiführung vor, kein "klares Nein" zum Ampel-Kurs zu formulieren. Was ist da dran?

Die Trennung ist noch nicht offiziell, aber der Rosenkrieg schon im vollen Gang: Dass die Partei Die Linke und ihre aktuelle Bundestagsfraktion sich noch einmal zusammenraufen, ist so gut wie ausgeschlossen. Zu unterschiedlich sind Prioritäten und Zielgruppen der beiden Hauptströmungen, die seit Jahren über Kreuz liegen und ihren Streit viel zu oft über die Medien ausgetragen haben.

Als Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht wirft nun Ko-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali öffentlichkeitswirksam das Handtuch. Eigentlich will sie nur nicht erneut für den Fraktionsvorsitz kandidieren, nutzt aber diese Ankündigung für eine Generalabrechnung mit der Mehrheit im Parteivorstand.

Es sei ihr in letzter Zeit zunehmend schwer gefallen und mittlerweile unmöglich geworden, "den Kurs der Partei, allen voran der Parteiführung, in der Öffentlichkeit zu stützen und zu vertreten", heißt es in ihrer Erklärung vom Montag. Dieser Kurs treibe Die Linke "zunehmend in die politische Bedeutungslosigkeit".

Das darf wohl als spekulativ gelten, da niemand weiß genau wie es um die Umfragewerte der Linkspartei stünde, wenn sie nicht seit Jahren als zerstrittener Haufen wahrgenommen würde, der sie ja auch ist. Eine Ausgründung scheint fast unvermeidlich, denn es geht um mehr als persönliche Befindlichkeiten.

Tatsächlich will das "linkskonservative" Lager, zu dem Wagenknecht und Mohamed Ali gezählt werden, möglichst alle "Protestwähler" erreichen – auch diejenigen, die sonst nicht vor der Wahl der AfD zurückschrecken würden, um der aktuellen Regierung "einen Denkzettel" zu verpassen. Die "Restlinke" will aber weiterhin denjenigen eine politische Heimat bieten, die neben der sozialen Frage auch Klimaschutz, globale Gerechtigkeit und Antirassismus groß schreiben.

Sahra Wagenknechts Absetzbewegungen

Solche Anliegen sind aber für Wagenknecht überschätzte Identitätspolitik, wie sie 2021 in ihrem Buch "Die Selbstgerechten" klargestellt hat. Darin forderte sie unter anderem mehr Verständnis für Menschen mit Abstiegsängsten, die trotz aller Warnungen des Weltklimarats meinen, dass der Klimaschutz warten muss – und kritisierte Aktivistinnen und "Lifestyle-Linke", die das anders sehen.

Viele empfanden das bereits als Angriff auf die eigene Partei oder zumindest auf wichtige Bündnispartner. Seit Wagenknecht laut darüber nachdenkt, eine eigene Partei zu gründen, wird auch der Vorwurf des parteischädigenden Verhaltens gegen sie lauter. In der Strömung, die sie

repräsentiert, wird das anders gesehen. Mohamed Ali schreibt, den letzten Ausschlag für ihre Entscheidung habe der einstimmige Beschluss des Parteivorstandes vom 10. Juni 2023 gegeben, in dem es hieß, Sahra Wagenknecht habe in der Linken keine Zukunft mehr und solle ihr Mandat niederlegen. Zumal die große Mehrheit der Landesvorstände sich diesen Beschluss zu eigen gemacht habe.

Einige fanden das unklug, da sie Wagenknecht als prominentes "Zugpferd" schätzen. Die Frage ist nur, ob sie in dieselbe Richtung will ein Großteil ihrer Noch-Partei.

Tatsächliche Positionen der Linken

Inhaltlich unterstellt Mohamed Ali der Mehrheit der Parteiführung Dinge, die einen Faktencheck wert sind:

Es wird bewusst kein klares und grundsätzliches Nein zum falschen Kurs der Ampel-Koalition formuliert, der den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdet und damit massiv Wohlstand und Arbeitsplätze bedroht, der nichts tut gegen Kinderarmut, gegen Löhne, die zum Leben nicht reichen, gegen Armutsrenten.

Amira Mohamed Ali, 7. August 2023

Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Stellungnahmen, in denen Mitglieder des Parteivorstands den Ampel-Kurs gerade in Bezug auf Kinderarmut und steigende Lebenshaltungskosten scharf kritisiert haben. Angesichts des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr wies beispielsweise die Ko-Parteichefin Janine Wissler in einer Bundestagsrede auf sinnvollere Verwendungsmöglichkeiten hin:

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was gibt es denn Dringenderes, als Kinder und Familien aus der Armut zu holen?

In einer Zeit, in der viele Familien überhaupt nicht mehr wissen, wie sie ihre Wocheneinkäufe bezahlen sollen, in der viele nicht wissen, wie sie die Gasrechnung bezahlen sollen oder die immer weiter steigenden Mieten, ist es doch dringend notwendig, Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu entlasten.

Wo sind denn die Milliarden für die Pflege? Was wurde den Pflegekräften in der Coronakrise versprochen? Dass es Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen geben soll. Wo sind die Milliarden dafür eingestellt?

Janine Wissler, Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke am 31. Mai 2022 im Bundestag

Im März dieses Jahres veröffentlichte der Parteivorstand der Linken ein eigenes Konzept zur Finanzierung einer "echten Kindergrundsicherung". Darin heißt es unter anderem:

Die Ampel-Koalition wird zur Blockade für sozialen und ökologischen Fortschritt. Jüngstes Beispiel ist die Blockade weiterer Finanzmittel der ab 2025 geplanten Kindergrundsicherung durch den Bundesfinanzminister.

Nach seiner Aussage gehe nicht alles "Wünschenswerte" sofort, da die Haushaltsmittel begrenzt seien. Angesichts der rund 2,9 Mill. Kinder, die aktuell in Deutschland in Armut leben müssen, ist diese Aussage ein blanker Hohn.


Einleitung zum Konzept und Finanzierung einer echten Kindergrundsicherung, beschlossen vom Vorstand der Partei Die Linke, 12. März 2023

Inwiefern das kein "klares Nein" zum Kurs der Ampel-Koalition sein soll, bleibt Mohamed Alis Geheimnis. Tatsächlich liegt der Dissens der Linken wohl eher in der Vorstellung vom "Wirtschaftsstandort Deutschland" und dessen Zukunft. Für den Parteivorstand hat die Energie- und Verkehrswende Priorität, denn er geht davon aus, dass die Lebensqualität der breiten Mehrheit nur dadurch auch langfristig gesichert werden kann.

Ökologischer Klassenkampf oder Rettung der Fossilwirtschaft?

Die Linken-Führung bestreitet nicht die Dringlichkeit einer Transformation der Wirtschaft – das tun auch führende Ampel-Politiker wie Robert Habeck (Grüne) nicht; in diesem Punkt gibt es also kein "klares Nein" – die Vorstellungen Habecks und der Linken von dieser Transformation und ihrer sozialen Ausgestaltung gehen aber weit auseinander.

Wagenknecht zerbricht sich dagegen den Kopf der Autoindustrie und anderer fossiler Großkonzerne in Deutschland – das hat sie in einem Gastbeitrag für die Schweizer Weltwoche deutlich gemacht. Was "unsere Wirtschaft trägt und gutbezahlte Arbeitsplätze schafft, sind neben einigen großen Industriekonzernen vor allem mittelständische Qualitätshersteller, Autozulieferer, Maschinen- und Anlagenbauer, die durch ausgefeilte technologische Spitzenprodukte ihre Stellung am globalen Markt behaupten und ausbauen konnten", betonte sie dort.

Dass diese Art von Wohlstand auf keiner nachhaltigen Grundlage steht, verdeutlichen zum Beispiel der Erdüberlastungstag, der in den letzten Jahrzehnten immer weiter nach vorne gerückt ist, und der weltweit heißeste Juli, der jemals gemessen wurde, auch wenn es speziell in Deutschland nicht danach aussah.

Deutschland ist nicht Nabel der Welt, aber es ist mit dem Rest der Welt verbunden und von ihren Ökosystemen abhängig. Auch deshalb hat der Linken-Vorstand die Ökologin, Klima-Aktivistin und Seenotretterin Carola Rackete als Spitzenkandidatin für die EU-Wahl vorgeschlagen. Ihr Credo: "Wir brauchen einen ökologischen Klassenkampf".

Das ist natürlich nicht der einfachste Weg, die Stimmen von Menschen mit kurzfristigen Existenzängsten zu bekommen, die sich einfach nur wünschen, dass alles so bleibt, wie es ist – oder wie sie es die meiste Zeit ihres Lebens kannten. Die Neigung, unangenehme Fakten zu verdrängen, solange es geht, stellt Wagenknecht nicht in Frage. Sie will sich bei diesen Menschen nicht unbeliebt machen; und das wird scheinbar in Umfragen honoriert. Noch bevor eine Wagenknecht-Partei aus der Taufe gehoben wurde, wird ihr schon ein Potenzial von 15 bis 20 Prozent bescheinigt.

Mehr als zehn Prozent sind die Grünen nicht grün genug

Allerdings gibt es auch ein Potenzial von mehr als zehn Prozent, die Umwelt- und Klimaschutz in Deutschland für so unzureichend halten, dass sie auch für "nervige" Aktionen des zivilen Ungehorsams Verständnis haben.

Umfragen, in denen sich mehr als 80 Prozent ablehnend zu solchen Aktionen äußerten, wurden bisher argumentativ gegen die Klima-Initiative "Letzte Generation" verwendet. Andererseits sind 13 oder 14 Prozent, die für deren Aktionen Verständnis haben, weil ihnen die Realpolitik der Grünen nicht grün genug ist, bei Wahlen eine relevante Größe.

Auch für sie sollte es eine Partei geben, die sie guten Gewissens wählen können. Was die Nachfrage-Seite betrifft, hätten sowohl die "Restlinke" als auch eine Wagenknecht-Partei eine Existenzberechtigung.

Wer Wagenknecht von links kritisiert, kann zumindest nichts dagegen haben, dass sie nach einer baldigen und sauberen Trennung der AfD Stimmen streitig macht – sofern sie sich darauf beschränkt, den Teil der "Protestwähler" aufzufangen, die die AfD nur trotz und nicht wegen ihres Rassismus gewählt haben. Ansonsten müsste sich Wagenknecht selbst weiter nach rechts entwickeln, um mithalten zu können.

Eine saubere Trennung der zerstrittenen Linken wird aber nicht nur dadurch hinausgezögert, dass beide Seiten die jeweils anderen ganz allein für den endgültigen Bruch verantwortlich machen wollen. Die Linke könnte durch ihre Spaltung in dieser Legislaturperiode auch ihren Fraktionsstatus im Bundestag und damit verbundene Einflussmöglichkeiten verlieren.