"Rot-Rot" im Nordosten mit SPD-Handschrift
Mit einem historisch niedrigen Ergebnis tritt Die Linke in Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung ein. Über ihre Politik, ihre Probleme und ihre Zukunft
Vor gut einer Woche hat Mecklenburg-Vorpommerns neue Landesregierung ihren Dienst angetreten. Manuela Schwesig (SPD) ließ sich erneut zur Ministerpräsidentin wählen. Ihrem Kabinett gehören acht Ministerinnen und Minister an, von denen sechs das SPD-Parteibuch haben und zwei das der Partei Die Linke.
Nach deren Schlappe bei der Bundestagswahlen herrscht nun in "Meck-Pomm" Aufbruchstimmung beim Juniorpartner der "rot-roten" Koalition - zumindest teilweise. "Die Linke ist regierungsfähig, und die Linke ist auch regierungswillig", hatte Dietmar Bartsch gesagt, der eigentlich Fraktionschef der Linken im Bundestag ist, aber aus Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern stammt. "Es ist eine Chance für uns", sagte Bartsch; aber vor allem sei es eine Chance für das Land.
Dem pflichtete die Vorsitzende der Linksfraktion im Schweriner Landtag, Simone Oldenburg bei. Die Koalition mit der SPD sei "ein gemeinsamer Aufbruch für unser Mecklenburg-Vorpommern". Der Koalitionsvertrag müsse nun mit Leben gefüllt werden, betonte sie. "Diese historische Chance dürfen wir nicht vermasseln."
Gute Stimmung wollte aber nicht bei allen Linken in Mecklenburg-Vorpommern aufkommen. Eine Regierungsbeteiligung sei nicht immer eine Chance für eine Partei, erklärte Marianne Linke im Gespräch mit Telepolis. Das sei die Erfahrung aus Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, so die ehemalige Sozialministerin des nordöstlichen Bundeslandes. "Ich denke, es ist ein Irrglaube, wenn man annimmt, dass es jetzt plötzlich anders wird."
Stimmenverluste nach Regierungsbeteiligung
Als ihre Partei - damals noch die Linke-Vorläuferpartei PDS - 1998 zum ersten Mal in eine Koalition mit der SPD eintrat, hatte sie noch 24,4 Prozent der Stimmen erhalten. In diesem Jahr waren es nur noch 9,9 Prozent.
Auf den aktuellen Koalitionsvertrag hält Marianne Linke aber zum Teil große Stücke - auch wenn er vor allem die Handschrift der Sozialdemokraten trägt und der Einfluss der Linken kaum zu erkennen ist. Positiv hob sie unter anderem die Abschnitte hervor, die sich mit ökologischen Fragen beschäftigen. Darin bekennt sich die neue Koalition zu mehr Klimaschutz und naturnaher Landwirtschaft. Unter anderem zeigt sie sich engagiert darin, Moore als Kohlenstoffsenken zu schützen.
Ein anderer Punkt im Koalitionsvertrag ist das Bekenntnis zur Weltoffenheit: Die neue Landesregierung will ihre internationalen Beziehungen weiter ausbauen - durch kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit Skandinavien, mit Polen, dem Baltikum und mit Russland bis hin zur Neuen Seidenstraße.
Andere Kapitel bergen ihrer Meinung nach reichlich Zündstoff, zum Beispiel bei den Themen Polizei, Rechtsentwicklung und politische Bildung. Am Geschichtsbild dieses Koalitionsvertrags scheiden sich in der Linkspartei die Geister. Marianne Linke gehört zu denjenigen, aus deren Sicht hier zu pauschal über DDR und Sowjetunion geurteilt wird:
Einen anderen Akzent hätte ich mir in der Erinnerungskultur und der politischen Bildung gewünscht. Im Koalitionsvertrag heißt es, "die Koalitionspartner erinnern an das in der SBZ und DDR geschehene Unrecht". Hierzu will ich nur einen Aspekt kommentieren. Mir fehlt ein Hinweis auf die großartige und aufopferungsvolle Rolle der Roten Armee bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus.
Die sowjetische Bevölkerung ist mit 27 Millionen Toten die größte Opfergruppe der deutschen Faschisten. Angesichts der Rechtsentwicklung im Lande, des um sich greifenden Russland-Bashings hätte es der Linkspartei gut zu Gesicht gestanden, sich für die Pflege der sowjetischen Denkmale und dieser historischen Wahrheit einzusetzen.
Auch das Gedenken an die Geschichte eines Oberst Rudolf Petershagen, der die Hansestadt Greifswald friedlich der Roten Armee übergeben hat und in den Fünfziger Jahren durch ein amerikanisches Militärgericht verurteilt und inhaftiert worden war - ist Teil deutscher Geschichte, die in Mecklenburg-Vorpommern spielte.
Dr. Marianne Linke
In der neuen Landesregierung soll Simone Oldenburg Bildungsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin werden. Als Ministerin dürfte sie es nicht leicht haben, was auch daran liegen wird, dass im Koalitionsvertrag keine klaren Aussagen getroffen werden, wie die Defizite im Bildungsbereich überwunden werden sollen.
Beispielsweise sollen mehr Lehrer eingestellt werden. 1.000 zusätzliche Stellen sollen dafür geschaffen werden. Diese Anzahl dürfte schon wegen des ohnehin bestehenden Lehrermangels ein Problem darstellen. Hinzu kommt aber noch, dass rund 3.000 Lehrer in den nächsten Jahren in Ruhestand gehen und ersetzt werden müssen.
Die Ursache für die Misere im Bildungsbereich reichen weit zurück: "All diese Defizite sind in der Vergangenheit entstanden, und zwar vor dem Hintergrund, dass tausende Lehrer durch Arbeitszeit- und Lohnkürzungen, mit Abfindungen und vorzeitigen Berentungen aus dem Beruf gedrängt wurden", erklärt Marianne Linke. Wie die Aufgabe gelöst werden soll, insgesamt 4.000 motivierte und gut ausgebildete Lehrer zu gewinnen, wird im Koalitionsvertrag nicht deutlich.
Leider ist aber auch nicht erkennbar, wie das vorbildliche Niveau, das einst im DDR-Bildungssystem herrschte und das heute immer noch in Finnland gelebt wird - hier in Mecklenburg-Vorpommern wieder erreicht werden kann.
Dr. Marianne Linke
Das schlechte Abschneiden bei den Landtagswahlen kommt für Linke nicht von ungefähr. Einen Grund dafür sieht darin, "dass die Partei kaum noch in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen vor Ort verankert ist". Eine Partei genieße Rückhalt und Akzeptanz in der Bevölkerung, wenn ihre Politik den Bedürfnissen der Menschen entspringe - und auf diese zurückwirke. "Das sehe ich kaum noch gegeben."
Strukturelle Probleme und Abhängigkeiten
Diese Kritik beruht aber nicht so sehr auf den medial zelebrierten Konflikt zwischen Identitäts- und Klassenpolitik. In diesem Fall wurden die organisatorischen Weichen innerhalb der Partei falsch gestellt. Marianne Linke berichtet, dass nach 2010 große Kreisverbände geschaffen wurden, und in Mecklenburg-Vorpommern umfassen sie riesige Flächen. Fahrwege zwischen entlegenen Orten in diesen Kreisverbänden können 100 Kilometer oder mehr betragen. "Da ist es für die Mitglieder schwer, untereinander, aber auch zu gesellschaftlich wichtigen Vereinen und Verbänden Kontakt zu halten, neue Mitstreiter, Nachwuchs zu gewinnen".
So ginge auch der Blick dafür verloren, welche konkreten Bedürfnisse und Nöte die Menschen im Kreisverband haben. Zur Entfremdung zwischen Partei und Bevölkerung habe aber noch ein anderer Faktor beigetragen. Ein anderer bedeutsamer Grund bestehe wohl darin, dass viele Funktionäre der Partei ihren Lebensunterhalt über Jahre, inzwischen fast Jahrzehnte direkt oder indirekt (über Fraktionen) durch die Partei bestreiten.
"Wer so lange seinen Lebensunterhalt abgesichert durch die Politik verdient, verliert zunehmend die Bindung ans konkrete gesellschaftliche Leben. Das Vermögen, die Ängste und Probleme der Menschen nachvollziehen zu können, geht verloren. Man weiß nicht mehr, wie es sich anfühlt, in unterbezahlten Berufen zu arbeiten oder von Betriebsschließungen und Entlassungen betroffen zu sein."
Vor diesem Hintergrund dürfte es der Partei nicht leichtfallen, wieder mehr Zuspruch zu bekommen. Es braucht nicht nur Menschen, die in der breiten Gesellschaft verankert sind und ihre Erfahrungen mit einbringen. "Die Partei braucht auch in der Führung personelle Veränderungen", betont Linke. Wer eine Wahl nach der anderen an den Baum fahre, dürfe nicht auf seinem Posten sitzen bleiben.
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