Rückkehr in den Krieg
Vor fünf Jahren wurden Tausende Bewohner der kolumbianischen Provinz Chocó vertrieben. Einige kehrten zurück und werden nun wieder Opfer der Paramilitärs
Rund zwei Millionen Kolumbianer irren als interne Flüchtlinge in ihrem Land umher. Nur einige konnten sich organisieren und an einem anderen Ort mit Hilfe internationaler Unterstützung wieder siedeln, ohne in die sichereren Millionenstädte fliehen zu müssen. Anders jedoch die schwarze Kommune aus Cacarica. Sie kehrten sie vor zwei Jahren auf ihr Land zurück, ohne dass sich dort politisch etwas grundlegend geändert hätte. In der Tasche ein Bodentitel und leere Hilfsversprechungen der Regierung, müssen sie sich ihr Land mit den rechten Paramilitärs teilen.
Augusto sucht sich eine bequeme Position zwischen zwei Reissäcken und schiebt seine verschmutzte Mütze in den Nacken. "Bloß nicht die Orientierung verlieren", sagt er mit leicht gequälter Stimme, nachdem das Schaukeln des knarrenden Holzfrachters, beladen mit Lebensmittel einer deutschen NGO, immer stärker wird. Es ist sechs Uhr früh an einem Januarmorgen, das erste Licht verrät die ziemlich hohen karibischen Wellen. Während einige dickleibige Frauen an Bord ein spärliches Frühstück aus Reis und Kartoffeln herrichten, andere Passagiere sich schon vor dem Essen an der Reling übergeben, erzählt der in die Jahre gekommene Kolumbianer die Geschichte seiner Gemeinde am Cacarica-Fluss, die vor fünf Jahren zum Symbol des Konfliktes in ihrer Region wurde. "Am 24. Februar 1997 hörten wir Armee-Hubschrauber über unserem Dorf, dann fielen in der Nähe Bomben," beginnt er. "Kurz danach kamen Bewaffnete in unser Dorf und töteten einige Bewohner. Einem schnitten sie den Kopf mit einem Machetenschlag ab und spielten vor den Augen einer Minderjährigen damit Fußball." Ihre Peiniger waren paramilitärische Gruppen, die eng mit der Armee zusammenarbeiten und die Leute auch nach der Flucht nicht in Ruhe liessen. "85 Menschen wurden in den letzten Jahren bei uns umgebracht oder sind spurlos verschwunden. Unter dem Vorwurf, Guerilla-Sympathisanten zu sein," so Augusto.
Über 2500 Menschen mussten vor fünf Jahren den Cacarica-Fluss verlassen und in die stinkende, vom Bananenhandel lebende Küstenstadt Turbo flüchten. Nur etwas mehr als 1000 Bewohner sind vor zwei Jahren etappenweise wieder zurückgekehrt. Viele blieben in Turbo, um dort zu leben, zu arbeiten oder mit etwas Glück zu studieren. Während sich jedoch in den meisten Fällen Dorfgemeinschaften auf alle Zeiten auflösen, konnten sich die meisten Cacarica-Bewohner ihren Zusammenhalt bewahren. Sie suchten nicht einen Platz in irgendeinem Elendsviertel der kolumbianischen Städte, sondern kämpften für die Rückkehr auf ihr Land.
Es hat Jahre gedauert, bis uns der Staat formell Hilfe dafür zugesagt hatte. Uns war klar, dass wir inmitten des Konfliktes zurückkehren und uns somit neuer Gefahren aussetzen werden,
so Augusto. Bürokratischen Hindernissen und weiteren Drohungen boten die Bewohner die Stirn und erlangten letztendlich vom Staat ein Zertifikat über mehr als 100.000 Hektar ihres Heimatlandes. Ausgehandelte finanzielle und technische Hilfe blieben bis heute jedoch weitgehend auf dem Papier.
Nachdem sich der Holzkahn endlich gemächlich den breiten Atrato-Strom hinaufbewegt, können die Leute an Bord ausruhen. Zwölf Stunden Flussfahrt, umgeben von Palmen und Tropenwäldern, stehen ihnen bevor. Die Ruhe macht es unbegreiflich, dass sich in dieser grünen Weite solche Tragödien abspielen können. "Wirtschaftliche Gründe," erklärt der Steuermann des Schiffes, eine glimmende Zigarette im zerfurchten Gesicht. "Auf Backbordseite plant eine Papierfirma die Erlangung einer Lizenz zur Abrodung des Waldes, um Papier daraus machen zu können." Er fahre seit Jahren den Fluss entlang, manchmal nehme er auch Aufträge von Holzfirmen an, um die Schnittware in den Hafen zu transportieren, erklärt er. In den letzten Jahren wurden Tausende Hektar feinster Edelhölzer abgeholzt, die meist direkt nach Nordamerika exportiert werden. "Das meiste Holz wurde illegal geschnitten, aber das schert hier niemanden", schliesst er und widmet sich seinem Steuerrad.
Neben umfangreichen Abholzungen gibt es in der Region weitere Großprojekte. Seit Jahren liegen bei den kolumbianischen Behörden Pläne für einen innerozeanischen Kanal in den Schubladen, der den Pazifik mit der Karibik verbinden soll. Ein weiteres Projekt ist die Verbindung der Panamericana-Strasse, die von Alaska bis Chile reicht und nur hier wegen der natürlichen Gegebenheiten unterbrochen ist. Weiter oben am Fluss steht ein in Morast versunkener Pfeiler, der Puente America heißt, "Brücke Amerika". Weiter ist man bisher nicht gekommen.
Die Realisierung nur einer dieser Pläne würde den einzigartigen Artenreichtum der Region ein Ende setzen, die eine der höchsten Biodiversitäten auf der Welt besitzt. Ein Kampf, den die Bewohner von Cacarica seit Jahren unter Opfern gegen diese Vorhaben führen. Denn wie auch in anderen Landesteilen, die unter dem Bürgerkrieg leiden, geht es hier um militärische Vorherrschaft in einem wirtschaftlich attraktiven Gebiet, das große zukünftige Gewinne verspricht. Im unteren Atratofluss herrschen die Paramilitärs, während weiter oben die FARC-Guerilla aktiv ist. Im September letzten Jahres wurden laut ansässigen NGOs 18 tote Paramilitärs an den kleinen Hafen der flussaufwärts liegenden Ortschaft Riosucio angespült. Die Kadaver schwammen einen Tag aufgedunsen im Wasser, die Bewohner haben routiniert weggeschaut, da man damit nichts zutun haben wollte. Erst ein staatliches Ärzteteam mit Booten hob die Leichen aus dem Wasser. In regelmäßigen Abständen kommt es zu heftigen Gefechten im Chocó, bei denen nur selten jemand wirklich weiß, wie viele Tote es gibt.
Unter Taschenlampenlicht erreicht der Frachter in der Nacht endlich sein Ziel. Ein Dutzend Einbäume, besetzt mit Familienangehörigen, warten bereits seit Stunden auf die Passagiere und die Lebensmittel an Bord. Alles beginnt sich nach stundenlanger Trägheit erleichtert zu bewegen. Säcke mit Materialien, Gepäcktaschen und Kisten wechseln in Windeseile die Boote. Die Menschen umarmen sich, lachen und surren letztendlich mit einem Außenbordmotor bestückt in den Einbäumen in die Dunkelheit davon.
Früh am nächsten Morgen treffen sich die Mitglieder des Planungskomitees des Dorfes Esperanza de Dios, um die Verteilung der Lebensmittel vorzubereiten. Einige bekommen 100 Prozent, das heißt sechs Liter Öl, zwei Kilo Seife, ein Sack Reis und drei Kilo Zuckerrohrblock. Andere dagegen nur die Hälfte, manche auch überhaupt nichts. "Wir beurteilen bei der Entscheidung das Engagement der Leute bei der Gemeindearbeit", erklärt Pascal das System. Er gehört zum Komitee und bereitet die Listen der Empfänger-Namen vor.
Es ist wichtig, dass die Leute nicht vergessen, dass ein starker Zusammenhalt lebenswichtig für uns ist. Einige helfen nicht auf den Feldern, um den Reis- und Maisvorrat für die Gemeinde in Notfällen anzulegen. Und umsonst gibt es nichts.
Um seine Begründung zu unterstreichen, erwähnt er einen Vorfall vom November letzten Jahres. "Die gleichen Paramilitärs, die uns vor fünf Jahren vertrieben haben, verbrannten 40 Tonnen unserer Reisernte. Wir standen wieder vor dem Problem, nicht genügend zu essen zu haben. Deswegen ist diese Lebensmittellieferung so wichtig für uns." An der ausweglosen Situation der Menschen hat sich nicht viel geändert. Was sie hier hält ist der unbezwingbare Wille, dem anhaltenden Konflikt und den Bedrohungen zu trotzen und weiter hier zu leben. Aber nicht alle. Einige der jüngeren Bewohner, die damals geflohen sind, haben sich mit den gut zahlenden Paramilitärs kompromittiert oder sich in ihre Reihen eingegliedert. So soll vor einem Jahr bei einem Auftauchen der Paras in der Gemeinde ein ehemaliges Mitglied dabei gewesen sein. Ausdruck einer ausweglosen Situation in einem Krieg, der finanziell verlockend ist und Bewaffneten mehr Sicherheit bietet als Zivilisten.
Ein ehemaliger Präsident der Gemeinde wurde im September letzten Jahres aus der Gemeinde rausgeworfen, nachdem er Geschäfte mit der Holzfirma El Darién gemacht haben soll. Diese bieten den Bewohnern pro gefällten Baum auf dem Gemeindeland etwas mehr als einen Euro. Im internationalen Handel liegt der Wert eines ausgewachsenen Tropenbaums rund Tausend Mal höher. Zwar lehnten die Bewohner das Angebot ab, doch die Firma forstet weiter in grossen Umfang ab.
"Wir wissen, dass die Paramilitärs weiter auf unserem Gemeindeland sind, sie haben sogar ihr Camp auf unserem Gebiet," erläutert Pascal. "Sie sagten uns bei ihrem letzten Besuch, dass wir grossflächig afrikanische Ölpalmen und Koka anbauen sollen. Nur so lasse sich viel Geld verdienen, nicht mit dieser Gemeindearbeit." Um sich vor Übergriffen zu schützen, planen die Bewohner mit Hilfe der nationalen NRO "Gerechtigkeit und Frieden" die Einzäunung der zwei Gemeinde-Weiler mit Stacheldraht und Flutlicht. Leben in einem Gefängnis. Ein Frühwarnsystem soll die Bewohner vor einem Auftauchen der Bewaffneten schützen, um den zivilen Widerstand zu organisieren. Wie genau dieser aussieht, wissen die Bewohner zwar nicht, aber von hier vertreiben wird sie niemand mehr, wie das Komitee einstimmig äussert
Ein Kampf zwischen David und Goliath, der ohne internationale Unterstützung wohl schlecht für die Bewohner des Cacarica-Flusses aussehen würde. Gewonnen hat bisher noch niemand, aber es ist unübersehbar, dass ein Überleben politisch als auch organisatorisch für die Bewohner schwierig ist. Denn es fehlt an allem. Die Kinder zeigen Krankheitssymptome, die heilbar wären. Kinderlähmung gehört zum gravierendsten Problem, die Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen liegt bei fünf Prozent. Zudem ist die Ernährung schlecht. Die Hühner sind kürzlich fast alle an Pest eingegangen, eine versuchte Schweinezucht scheint fehlzuschlagen, weil man die Tiere nicht ernähren kann. Und für Kühe fehlt der Gemeinde der Mut, obwohl man so die Unterernährung der Kinder mit Milchrationen lindern könnte. "Das lockt die Paramilitärs an, welche die Kühe für sich schlachten würden", meint Pascal. In diesem Moment kreuzt ein Armeehelikopter den Himmel über der Gemeinde, wie schon am Abend zuvor. Alle sehen nach oben und ahnen, was dies bedeutet. "Diese Hubschrauber hatten uns vor fünf Jahren bombardiert, " sagt Pascal. Die Stimmung unter den Bewohnern ist angespannt. Zwei Wochen später im Februar betraten die Paramilitärs die Cacaricagemeinde, verschleppten einen Bewohner und töteten einen weiteren, obwohl Mitglieder der Internationalen Friedensbrigaden und amnesty international anwesend waren.