Russen müssen in Lettland zum Sprachtest – 61 Prozent fielen bisher durch
Die lettische Gesetzgebung hat Einwohner mit russischem Pass verpflichtet, Sprachkenntnisse nachzuweisen. Wer durchfällt, dem droht die Abschiebung.
Bilder von russischen Senioren, die in Rollstühlen oder Liegen zum Sprachtest gerollt und geschleppt werden, machen im Internet die Runde. Der lettische Gesetzgeber hat vor der Saeima-Wahl im letzten Oktober Einwohner mit russischem Pass, die regelmäßig ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern müssen, dazu verpflichtet, einen Lettisch-Test auf A2-Niveau zu absolvieren.
Wer dieses Niveau erreicht, ist kein Anfänger mehr, sondern hat den Übergang zum Fortgeschrittenen geschafft. Solche Kenntnisse erwirbt man nicht mit dem flüchtigen Durchblättern eines Sprachführers. Dazu ist monatelanges intensives Lernen notwendig.
Bislang sind die Ergebnisse miserabel, wie das öffentlich-rechtliche Lettische Radio berichtete. Von geschätzten 25.000 Betroffenen haben sich bis zu den Stichtagen 13.147 für den Test registrieren lassen, doch nur 11.301 sind erschienen.
Von diesen bestanden nur 39 Prozent die vierteilige Prüfung. Die meisten fielen durch, weil ihre schriftlichen Kenntnisse nicht ausreichten. Die Geprüften befinden sich überwiegend im Seniorenalter zwischen 60 und 74 Jahren. Erst mit 75 sind Antragssteller von der Prüfung freigestellt. Jene, die durchfielen, haben bis Ende November Gelegenheit, den Test zu wiederholen. Das wurde von der Saeima nachträglich im April 2023 beschlossen, als absehbar wurde, was das Gesetz anrichtet.
Aufenthaltsverlängerung war bisher Formsache
Die Saeima-Abgeordneten verabschiedeten am 7. September 2023 zudem eine weitere Milderung. Antragsteller, die bei der Prüfung durchfielen, sollen zwei Jahre Zeit erhalten, die Sprache zu erlernen. Solange ist ihr Aufenthalt genehmigt und sie erhalten weiterhin Renten und soziale Leistungen.
In dieser Zeit sollen sie die Prüfung bestehen, danach können sie wie gewohnt ihren Aufenthalt für vier Jahre verlängern, was vor dem Sprachtest eine formelle Angelegenheit war. Mit der Verlängerung werden auch die lettischen Behörden entlastet, die von der zusätzlichen Arbeit überwältigt wurden. Jene Russen, die sich nicht rührten und keine Anträge stellten, müssen mit einem Behördenbescheid rechnen, der sie auffordert, innerhalb von 90 Tagen das Land zu verlassen, sonst droht die Abschiebung. Ihre Zahl wird auf 10.000 geschätzt.
Trotz der Folgen verteidigten Abgeordnete der Nationalen Allianz (NA) in der Debatte die ursprüngliche Fassung des Sprachgesetzes und lehnten jede Aufweichung ab. NA-Vertreter Janis Dombrava schürte erneut Skepsis gegenüber russischsprachigen Einwohnern; er warnte davor, sich mit der Gesetzesnovelle ein trojanisches Pferd einzuhandeln. Einwohner mit russischem Pass gehörten zu einer privilegierten Gruppe, sie hätten zwei Jahre lang die Möglichkeit, sich sowohl in Russland als auch in Lettland aufzuhalten.
Man könne nicht verfolgen, welchen Beschäftigungen sie nachgingen. Gegenüber dem Lettischen Fernsehen formulierte er deutlicher: "Integration und Inklusion in die Gesellschaft ist eines der Ziele, doch das andere, was durch den Beschluss dieses Gesetzes erreicht werden sollte, war, jene Bürger des Aggressorlandes herauszufiltern, die unsere nationale Sicherheit bedrohen, die zu Integration nicht fähig sind und dies auch nicht wollen."
Dombravas Parteifreund Rihards Kols betrachtet das Ganze lediglich als Kommunikationsproblem: "Das große Schreckgespenst ist das internationale Ansehen der Republik Lettland. Ich muss mit Bedauern sagen, dass der lettische Staat, zumindest meiner Ansicht nach, nicht das Nötige getan hat, um zu erklären, weshalb diese Gesetzesänderungen notwendig sind." Der NA-Abgeordnete Arturs Butans fragte rhetorisch, welchen Nutzen Lettland von Einwohnern habe, die Staatsbürger eines Landes sind, das den Terrorismus unterstütze.
Ainars Slesers, Abgeordneter der Oppositionspartei "Lettland an erster Stelle", hielt dagegen, dass sich die Betroffenen überwiegend im Rentenalter befinden. Er bezweifelte, dass diese Gruppe eine Gefahr für die lettische Sicherheit darstellt. Sie hätten Lettisch lernen können, aber sie leben in in einem russischen Umfeld, in denen keine Lettisch-Kenntnisse nötig sind.
Er wies darauf hin, dass auch sie ihren Beitrag für die lettische Gesellschaft geleistet haben: "Sie haben hier gearbeitet, Steuern bezahlt. Ihre Kinder und Enkel sind meistens lettische Staatsbürger." Falls sich unter ihnen Kriminelle befänden, sei dies eine Aufgabe für die Sicherheitsbehörden. Slesers geht das Sprachgesetz in der aktuellen Fassung immer noch zu weit. Er fordert, alle Rentner von der Testpflicht zu befreien.
"Sie werden ebenso Probleme damit haben, dass sie nicht imstande sind, vollständig zu kommunizieren. Lassen wir sie in Frieden." Andere Kritiker weisen darauf hin, dass die durch den Gesetzgeber hervorgerufene Unsicherheit, am Wohnort bleiben zu dürfen, eine erhebliche psychische Belastung darstellt.
Unklar ist, in welchen Fällen tatsächlich Abschiebung droht
Maira Roze, Leiterin der Migrationsbehörde PMLP, berichtete im Lettischen Radio, dass derzeit etwa 4000 russische Staatsbürger erfasst sind, die ihren Aufenthalt nicht verlängerten und die bald die Aufforderung erhalten, Lettland innerhalb von 90 Tagen zu verlassen. In welchen Fällen tatsächlich abgeschoben wird, scheint noch unklar.
Die erneute Milderung des Sprachgesetzes, auf den die bislang mitregierenden Abgeordneten der NA beharrten, deutet auf eine Mehrheit für eine liberalere Gesetzgebung. Ministerpräsident Krisjanis Karins (Partei "Neue Einigkeit") kündigte am 17. August 2023 nach langen Koalitionsstreitigkeiten seinen Rücktritt an. Er möchte den Weg frei machen für eine neue Regierung ohne Abgeordnete der Nationalen Allianz, die liberale Gesetzesvorhaben blockiert. Ihretwegen hat Lettland beispielsweise die Istanbuler Konvention, die mehr Schutz für Frauen vor häuslicher Gewalt vorsieht, immer noch nicht ratifiziert.
Die Nationalkonservativen verhinderten bislang auch, dass homosexuelle Paare sich staatlich registrieren lassen können. Abgeordnete der Nationalen Allianz polemisieren seit Jahrzehnten gegen die russischsprachigen Einwohner Lettlands. Ihr Ausschluss aus einer zukünftigen Regierung könnte die innenpolitische Stimmung entspannen.
Außenpolitisch dürfte allerdings auch die angestrebte neue Koalition aus Grünen, Rechts- und Linksliberalen am strikt transatlantischen Kurs festhalten, der auf Waffenlieferungen für die Ukraine und Sanktionen gegen Russland setzt.