Russische Fernfahrer mucken auf

Streikende LKW-Fahrer Anfang Dezember. Bild

Die Vorsitzende des russischen Föderationsrates, Walentina Matwijenko, rät zu Gesprächen mit den Klein-Spediteuren, die seit vier Wochen gegen die neue Maut protestieren

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"Feiner, nicht so grob, wie wir es machen." Die Föderationsratsvorsitzende Walentina Matwijenko rät, den Konflikt mit den Fernfahrern, welche gegen die Mitte Februar erstmals eingeführte Maut für Lastwagen protestieren, durch Gespräche zu lösen.

Matwijenko kritisierte die Strafe von 450.000 Rubel (6.400 Euro) für die Nichtzahlung der Maut. "Das ist unser Fehler, der Fehler der Gesetzgeber, der Fehler der Regierung." Die Fernfahrer seien "nicht irgendwelche Extremisten", sondern "Klein-Unternehmer", die eine schwere Arbeit verrichten. Und wenn sie Jemand "anheizt und damit seine Karten ausspielt, muss man die Fliegen vom Kotelett trennen". Man müsse die "realen Vertreter dieses Business einladen, reden und eine Entscheidung finden", das müsse "ohne Ultimaten und ohne kategorische Erklärungen geschehen".

Heute will der Föderationsrat über die von der Duma am 4. Dezember beschlossene Senkung der Strafe für die Nichtzahlung der Maut von 450.000 auf 5.000 Rubel (70 Euro) beraten.

Liberale und Linke unterstützen die Streikenden

Matwijenko sagte nicht, wer den Protest "anheizt". Doch es war eindeutig, wen sie meinte. Über die Protestaktion berichten ausführlich liberale Medien, wie Radio Echo Moskau, der Internet-Fernsehkanal Doschd (hier ein Interview mit Streikführer Juri Bubnow) und das von den USA finanzierte Radio Swoboda. Auch die KPRF (Kommunistische Partei der Russischen Föderation) und die kleine linke Gruppe "Arbeitsweg" unterstützen die Fernfahrer. Das staatliche russische Fernsehen berichtet bisher nicht über die Protestaktionen der Fernfahrer. Die wesentliche Informationsquelle über die Protestaktionen bleibt das Internet.

Die Fernfahrer selbst beginnen sich erst zu organisieren. Wie die Pressesprecherin der Streikenden, Tasja Nikitenko, am Montag berichtete, wählte der Koordinationsrat der Streikenden die LKW-Fahrer Andrej Baschutin und Aleksej Uljanow zu ihren Streikführern. Die beiden leiten die auf Parkplätzen eingerichteten Streiklager im Norden und Süden Moskaus.

Insgesamt sollen auf Parkplätzen im Moskauer Umland 150 LKWs stehen, die sich an Protestaktionen beteiligen wollen. Die Gesamtzahl der LKWs, für welche die neue Maut gilt, wird auf eine Million geschätzt. Eine Maut ist seit Mitte November für alle LKWs über zwölf Tonnen fällig.

Bereits nach der ersten Kritik an der Maut von Seiten der Speditionsunternehmen senkte die russische Regierung den Einführungstarif von 3,73 auf 1,53 Rubel pro Kilometer. Ab 1. März 2016 soll sich der Preis dann auf 3,06 Rubel (5,1 Cent) verdoppeln. Ein Teil des gesammelten Geldes soll für die Ausbesserung der Fernstraßen verwandt werden, welche nach Meinung der Regierung besonders durch die LKWs abgenutzt werden. Ohne die Einführung der Maut werde es nie gelingen, die sprichwörtlich schlechten Straßen Russlands zu verbessern, erklärte die Föderationsratsvorsitzende Matwijenko.

Bild: autoline23.ru

Besonders kleine Speditionen protestieren

Die Protestaktionen begannen am 11. November. Vor allem kleine Speditionen beteiligten sich an den Protesten. Die Maut führe zum Bankrott der kleinen Speditionen, die jetzt schon an der Grenze der Rentabilität arbeiten, erklärten die Streikenden. In 40 Regionen begannen Fernfahrer den Verkehr zu behindern, indem sie langsam Kolonne fuhren oder am Straßenrand parkten und die Straße so verengten. In der sibirischen Stadt Tjumen wurde die Maut am Sonntag symbolisch zu Grabe getragen.

Als Vertreter russischer Behörden auf Protestversammlungen erklärten, dass es das Maut-System in Europa und den USA schon lange gäbe, wurden sie ausgebuht. Die Mehrheit der Streikenden ist für die völlig Abschaffung der Maut, dass unter dem Namen "Platon" läuft. Nur eine Minderheit will über Kompromisse reden.

Am 28. November kam es in St. Petersburg zu einem Treffen mit einer Delegation von 600 Fernfahrern mit Transportminister Maksim Sokolow. Wie der Kommersant berichtete wurden zum Minister aber nur die Fernfahrer vorgelassen, welche über die Modalitäten der Maut sprechen wollten.

"Marsch auf Moskau" endet auf Parkplatz

Besondere mediale Aufmerksamkeit bekamen die Proteste Anfang Dezember als Fernfahrer aus St. Petersburg, dem Ural und Dagestan (Nordkaukasus) in Kolonnen Richtung Moskau fuhren. Der angekündigte "Marsch auf Moskau" fand jedoch nicht statt, weil die Polizei immer wieder LKWs zu Kontrollen anhielt. Nördlich von Moskau im Stadtteil Chimki, auf einem Parkplatz direkt vor einer Ikea-Niederlassung, eröffneten die Streikenden dann ein Streiklager.

Am 4. Dezember führten Polizisten auf diesem Parkplatz Kontrollen durch. Gegenüber Journalisten erklärten (Minute 1:18), die Kontrollen dienten der Abwehr von Terrorismus. Am vergangenen Sonntag befanden sich auf dem Parkplatz zwanzig Lastwagen der Streikenden. Die Polizei verhindert nun, dass weitere Lastwagen vor Ikea parken.

Der russische Präsident, Wladimir Putin, sei über die Proteste informiert, gab sein Pressesprecher, Dmitri Peskow, am 30. Dezember bekannt. Die Maut sei aber "Regierungssache".

"Wenn die Macht den Streikenden nicht zuhört", warnte das Moskauer Massenblatt Moskowski Komsolmolez, könne aus den spontanen Streiks eine landesweite politische Aktion werden.

Den LKW-Fahrern ist bewusst, dass die Zeit für Proteste ungünstig ist. "Wir wissen, in welcher außenpolitischen Situation sich Russland befindet, unsere Proteste können den Feinden Russlands in die Hände spielen", zitiert Moskowski Komsomolez Streikende. Aber man habe "kein Recht zu schweigen" und "den Oligarchen" zu erlauben, "in unsere Taschen zu greifen".

Das geschäftsführende Unternehmen für die Maut "Platon" gehört zur Hälfte dem Unternehmer Igor Rotenberg und zur anderen Hälfte dem staatlichen Unternehmen Rostech. Igor Rotenberg ist der Sohn von Arkadi Rotenberg. Der wiederum soll mit Putin befreundet sein.