Russischer Lauschangriff und Taurus-Einsatz: Was Medien und Politiker übersehen
Russische Medien veröffentlichen Mitschnitt eines Gesprächs deutscher Militärs. Reaktionen bestätigen Authentizität, die keiner zugibt. Eine erste Einschätzung.
Nachdem russische Medien den Mitschnitt einer Bundeswehr-Besprechung in Russland veröffentlicht haben, hat der Sicherheitspolitiker der Grünen-Bundestagsfraktion, Konstantin von Notz, umfassende Aufklärung gefordert.
Das Bundesverteidigungsministerium bestätigte am heutigen Samstag gegenüber der ARD lediglich "einen" Abhörfall, ohne zu bestätigen, dass es sich um das konkrete Gespräch gehandelt hat. Das Haus folgt damit üblichen Mustern der Krisenkommunikation: Es wird nur das zugegeben, was nicht mehr zu leugnen ist.
Der Leak: Enthüllungen und Reaktionen
"Sollte sich diese Berichterstattung als wahr herausstellen, wäre das äußerst besorgniserregend", äußerte von Notz gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Es ist wichtig zu klären, ob es sich um ein isoliertes Ereignis handelt oder ob hier strukturelle Sicherheitsprobleme vorliegen. Eine rasche Aufklärung aller Umstände ist unerlässlich."
Russische Manipulation und deutsche Reaktion
Die Chefin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, hatte am Freitag einen Mitschnitt eines angeblichen 38-minütigen Gesprächs veröffentlicht, bei dem hochrangige Offiziere der Luftwaffe offenbar diskutieren, wie deutsche Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine eingesetzt werden könnten.
Dabei spielt auch eine Rolle, wie die notwendige Beteiligung deutscher Armeeangehöriger solange verschleiert werden kann, bis die ukrainische Seite zum Einsatz dieses Waffensystems vollständig befähigt ist.
Verunsicherung im Verteidigungsministerium
Obwohl die Authentizität der Aufnahme bisher offiziell nicht bestätigt wurde, weisen die Reaktionen von Verteidigungspolitikern und Sicherheitsbehörden darauf hin. Nach Agenturinformationen untersucht das Bundesverteidigungsministerium derzeit, ob die Luftwaffenkommunikation abgehört wurde. Ging das Ministerium von einer Fälschung aus, wäre eine solche Untersuchung überflüssig.
Militärischen Abschirmdienst ermittelt
"Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) hat entsprechende Maßnahmen eingeleitet", sagte jedoch eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa): "Zu den Inhalten der vermeintlich abgehörten Kommunikation können wir keine Stellung nehmen."
Die russische Seite treibt die Bundesregierung und das Militär vor sich her. Man habe, so hieß es aus Moskau, eine Stellungnahme der Bundesregierung angefordert. Ein Schweigen aus Berlin werde man als Schuldeingeständnis verstehen.
In dem Austausch geht es auch darum, wie das deutsche Militär und einen möglichen Einsatz von Taurus Marschkörpern gegen die russische Krimbrücke oder russische Munitionslager zum Erfolg führen kann. Im Detail diskutieren die vier Männer, wie die Brückenpfeiler so bombardiert werden könnten, dass die Brücke zum Einsturz gebracht wird:
Ich würde das gerne nochmal schnell ergänzen wegen der Brücke, weil wir die uns intensiv angeguckt haben. Und die Brücke ist leider aufgrund ihrer Größe wie ein Flugplatz. Das heißt, es kann durchaus sein, dass ich dafür zehn oder zwanzig Flugkörper brauche. (…) Ja, und der Pfeiler, da machen wir unter Umständen nur ein Loch rein und dann stehen wir da.
Auszug aus dem Audiomitschnitt
Kontroverse Diskussion über Einsatzmöglichkeiten
Brisant ist das Gespräch, an dem unter anderem der Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz teilgenommen haben soll, auch wegen Aussagen über Nato-Bündnispartner. Einer der vier Gesprächsteilnehmer erwähnt unter anderen, dass die Briten im Kontext des Einsatzes ihrer an die Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Marschflugkörper "einige Leute vor Ort" hätten.
Taurus-Marschflugkörper: Die Aussage des Kanzlers
Erst kürzlich hatte eine Äußerung von Kanzler Olaf Scholz in Großbritannien für Verärgerung gesorgt, die von einigen als indiskret aufgefasst wurde. Zuvor hatte allerdings schon die Financial Times über entsprechende Erkenntnisse berichtet.
"Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte der Kanzler. Die genaue Bedeutung seiner Aussage ließ er offen. Ein Sprecher des britischen Premierministers Rishi Sunak dementierte umgehend: "Der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und die Auswahl der Ziele obliegen den ukrainischen Streitkräften." In dem Audiomitschnitt erklärt dazu einer der deutschen Militärs:
Und da müsste man natürlich jetzt mal überlegen, um jetzt mal ganz schnell (…) zu einer schnellen Lösung zu kommen, ob man da nicht sowohl mit der Schnittstelle als auch mit der Ausbildung auf die Briten zurückgreift. Wenn die das mit ihrem Know-how gucken, wie haben die die Storm Shadow daran gekriegt, kann ja nicht so ein großer Unterschied sein, und die vielleicht die Bedienung am Anfang mitmachen, während in der Zwischenzeit die Besatzungen bei uns ausgebildet werden, damit es einfach nicht so lange dauert.
Und dann sind jetzt noch so ein paar Sachen, können wir eine Datenbank liefern, können wir Satellitenbilder liefern, können wir Planungsstationen liefern, das müsste dann neben den reinen Flugkörpern, die wir haben, ja alles über die Industrie oder über die IABG (ein Rüstungskonzern. D. Red.) laufen.
Also wir müssen uns ja immer vergegenwärtigen, die haben Flugzeuge, von denen sie den Storm Shadow einsetzen. Das heißt, die Engländer waren da, haben die Flugzeuge verkabelt, also sind sie gar nicht so weit davon entfernt.
Vermutungen und politische Implikationen
Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter äußerte gegenüber dem ZDF mit Blick auf die Veröffentlichung: "Man muss davon ausgehen, dass das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht. Diese kann nur darin liegen, eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu unterbinden."
Kiesewetter äußerte auch die Vermutung, dass es sich um einen Versuch Russlands handeln könnte, die öffentliche Debatte von den Enthüllungen über Wirecard und der Situation um Alexej Nawalny abzulenken.
Uneinheitliche Medienreaktionen
Bundeskanzler Scholz hat wiederholt betont, dass er gegen die Forderung aus Kiew ist, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. Er begründete dies mit der Gefahr, dass Deutschland in den von Russland begonnenen Angriffskrieg hineingezogen werden könnte. Eben das war auch Gegenstand des Gesprächs.
Polarisierte Medien mit Tunnelblick
Die Reaktion deutscher Medien auf die Veröffentlichung der russischen Seite ist seltsam unbestimmt. Die Nachrichtenagentur dpa schreibt in einer Zusammenfassung der Geschehnisse im Leadabsatz:
Eine russische Propagandistin veröffentlicht einen Mitschnitt, der von einem vertraulichen Gespräch deutscher Luftwaffen-Offizieren stammen soll.
Derzeit ist es angebracht, die Veröffentlichung und die Quelle zu hinterfragen, weil in Zeiten des Krieges Propaganda alltäglich ist. Allerdings gehört zur Berichterstattung auch eine adäquate und unabhängige Einschätzung von journalistischer Seite. Das scheint die Polarisierung in Politik und Medien zunichtezumachen.
Alternativmedien, die vorwiegend politisch motiviert sind, sehen in dem Beitrag den ultimativen Beweis für einen deutschen Kriegseintritt. Auf dieser Seite wird die Aufnahme ohne jegliche Prüfung oder auch nur kritische Fragen, Anfragen an die deutsche Seite oder Zuhilfenahme von Experten ohne Weiteres übernommen.
In Leitmedien und den – auch presserechtlich – gewichtigen Nachrichtenagenturen fällt ein seltsamer Widerspruch auf. Einerseits berichten diese Medien – etwa die dpa – über die Untersuchung des Leaks, stellen dessen Authentizität zugleich aber infrage.
Dabei fällt bei einer ersten Prüfung der Aufnahme auf, dass sich das Gespräch an mehreren Punkten erheblich von KI-generierten Inhalten unterscheidet. Das betrifft sowohl die Aussprache der Teilnehmer, als auch die Inhalte.
Gesprächsverlauf und Details sprechen gegen Fälschung
So steigen die deutschen Militärs nicht sofort in die propagandistisch verwendbaren Inhalte ein. Der erste Teil des 38-minütigen Gesprächs, das offenbar die Audiospur einer Videokonferenz ist, dreht sich um andere Besprechungen und persönliche Inhalte.
In dem Mitschnitt ist auch zu hören, dass die Lieferung der von Kiew geforderten Marschflugkörper derzeit keine politische Mehrheit hat.
Zudem spielen Details eine Rolle, die schwer zu fälschen wären oder eine Propagandafälschung leicht entlarven würde. Dazu gehörte Aufenthalt eines Teilnehmers in Singapur, Aussagen über seine Bewegungsprofile vor Ort und Gesprächspartner. Ebenso geht es um die Tagesordnung in Deutschen Bundestag und wie sich die vier Militärs koordinieren, um sich überlagernde Termine verschiedener Gremien wahrnehmen zu können.
Audiomitschnitte der Russen: Blick auf die Details
Auch Dialekte, Interventionen und Verlegenheitslaute weisen darauf hin, dass hier keine KI am Werk war. Das berührt nicht den politischen Effekt: Natürlich soll die Veröffentlichung derzeit politisch Einfluss auf die Lage in Deutschland nehmen.
Viele Leitmedien hält das offenbar davon ab, professionell mit dem Thema umzugehen. Denn natürlich ist es im Interesse einer demokratischen Presse, auf der einen Seite das Sicherheitsrisiko zum thematisieren, das durch das Leak und den dahinterstehenden Lauschangriff der russischen Seite zum Ausdruck kommt.
Auf der anderen Seite ist auch die Frage der Deutschen Kriegsbeteiligung relevant und sollte Eingang in die Berichterstattung finden. Dass sich vier Militärs intern darüber austauschen, wie russische Ziele mit deutschen Waffensystemen angegriffen werden können, zeigt, wie sehr sich einige militärische Akteure von der demokratisch legitimierten Ebene entfernt haben.
Dass sich Politiker und die dpa – stellvertretend für andere Leitmedien – vor allem Gedanken darum machen, wie solche Abhöraktion künftig vermieden werden können und den zweiten Punkt unkommentiert lassen, zeigt ihr Versagen, den umfassenden Schutz der nationalen Sicherheit zu gewährleisten, was Bedrohung von außen und Fehlentwicklungen im Inneren beinhaltet.
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