Russland: Kramp-Karrenbauer schafft Fronten
Reaktionen auf den neo-transatlantischen Konfrontationskurs der deutschen Verteidigungsministerin
Annegret Kramp-Karrenbauer macht über konfrontative Statements als deutsche Verteidigungsministerin in Russland wie anderswo von sich reden. Fraglich ist, inwieweit von ihr angestoßene Aktionen gegen eine "klare russische Bedrohung" deutschen Interessen dienen.
Provokation nicht ohne Antwort
Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nutzte den November gleich zweifach, um nicht nur die tiefe Verbundenheit Deutschlands mit den USA zum Ausdruck zu bringen, sondern auch für massive Vorwürfe Richtung Russland. Dieses störe mit Aufrüstung die strategische und "potentiell" auch die nukleare Balance in Europa. Es sei eine "klare Bedrohung" der NATO, man müsse ihm aus einer Position der Stärke begegnen. Einer eigenständigen, europäischen Sicherheitspolitik unabhängig von den USA erteilte sie eine Absage.
Die Botschaft kam in Moskau an und war eine Steilvorlage für Erwiderungen der dortigen Regierung und ihrer Staatsmedien. Russland werde niemals ein NATO-Land angreifen, versicherte Außenminister Lawrow und überließ härtere, wenn nicht spöttische Töne seiner dafür zuständigen Außenamtssprecherin Sacharowa. Diese bezeichnete Deutschland als im Sicherheitsheitsbereich völlig abhängig von den USA und fragte, von welcher Stärke hier eine deutsche Verteidigungsministerin überhaupt spreche. Sie besitze wohl kaum die Schlüssel zum Pentagon.
Negatives Echo nicht nur in Regierungskreisen
Soweit handelt es sich noch um den schon fast rituellen deutsch-russischen Schlagabtausch zwischen den Regierungen und den ihnen nahestehenden Medien. Doch AKKs provokative Ansprachen lösten in Russland auch Kritik in Kreisen aus, die sonst eher zu den mäßigenden Kräften in der Auseinandersetzung mit dem Westen gehören, etwa bei regierungsunabhängigen Medien oder außenpolitischen Experten.
So zitiert beispielsweise die Zeitung Nesawisimaja Gaseta in ihrem Bericht über Kramp-Karrenbauers Äußerungen gleich ein ganzes Bündel an russischen Stimmen, die von "politischer Rücksichtslosigkeit" sprechen, Kramp-Karrenbauer mit einer "Grundschülerin" vergleichen, die ihren Mangel an Fachkenntnissen "durch Lautstärke ausgleicht".
Im Auftrag der Zeitung erinnert Professor Chaikin von der Russischen Humanistischen Universität, dass Russland die deutsche Einheit mit ermöglicht habe und zitiert Bismarcks Aussage, dass ein Präventivkrieg gegen Russland Selbstmord aus Angst vor dem Tod sei. An diesem Vergleich zeigt sich, mit welcher aggressiver Wucht Kramp-Karrenbauers Vorhaltungen in Russland auch weit weg von der Regierung wahrgenommen wurden.
Moskau antwortet einmütig so, wie es von Kramp-Karrenbauer angesprochen wird, ihre angriffslustige Rhetorik versammelt auch regierungskritische oder mit dem Westen versöhnlichere Russen in diesem Punkt hinter dem Kreml und seinem Außenministerium.
Denn praktisch niemand zwischen Kaliningrad und Kamtschatka unterstellt den eigenen Mächtigen einen aggressiven Kriegswillen gegen die NATO, den die deutsche Verteidigungsministerin ja suggeriert, wenn sie von gegnerischer Bedrohung und der Notwendigkeit eigener Stärke spricht. Unabhängig davon, wie man selbst etwa zur umstrittenen russischen Innenpolitik wie massiven, wachsenden Demokratiedefiziten steht.
Frankreich als alternatives Modell
Verwunderung über solche Äußerungen einer deutschen Ministerin herrscht in russischen Expertenkreisen zusätzlich, weil es in Europa auch andere Stimmen gibt, die wegen der Wahl von Biden jetzt nicht gleich auf einen neo-transatlantischen Konfrontationskurs gegen Russland gehen. Julia Melnikowa vom Russischen Rat für Auswärtige Politik spricht von zwei Wegen in die Zukunft, die aktuell von Deutschland auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite eingeschlagen werden.
Denn aus Frankreich hört man in Moskau unabhängigere Töne für eine eigenständige europäische Sicherheitsstrategie. Der (nichtstaatliche) russische Deutschlandkorrespondent Oleg Nikiforow fragt sogar, ob Kramp-Karrenbauer aktuell die deutsch-französische Freundschaft begraben wolle.
Frankreich gilt nicht nur in Russland auch nach der Wahl von Biden als Vertreterin eines eigenen europäischen Kurses in der Sicherheitspolitik, den Kramp-Karrenbauer mit ihren Äußerungen als nicht erstrebenswert abtut. Nicht zufällig hört man aus Paris aktuell allgemein häufiger versöhnliche Töne in Richtung Moskau als aus Berlin.
Der deutsche Kursschwenk nach Bidens Wahl schwäche nach Ansicht von Melnikowa die EU insgesamt und könne sie bei der Koordinierung vieler Fragen lähmen, da sich die deutsche Regierung auch gegen Paris stelle. Biden habe zudem gegenüber Europa bisher nur eine geänderte Rhetorik gezeigt und noch keinen wirklich praktischen Kurswechsel, die NATO agiere eher durch Manöver und Aufrüstung mit Hilfe von US-Waffen als durch kollektive Entscheidungsfindung.
Dies ist keine explizit russische Auffassung unter Fachleuten. Detlef Puhl, als früherer Senior-Advisor der NATO über jeden Verdacht einer Russlandfreundlichkeit erhaben, spricht in der deutschen Fachzeitschrift IPG-Journal davon, dass sich der Kern des Verhältnisses zwischen den USA und Europa nicht erst durch Trump fundamental geändert habe. Europa habe für ihn eine eigene Rolle im Konkurrenzkampf der Großmächte, wenn auch eher an der Seite der USA. Europäische Souveränität als Illusion abzutun, wie Kramp-Karrenbauer das tue, sei eine Fehlinterpretation der Geschichte.
Fazit: 0:3 gegen Deutschland
Wenn wir also zusammenfassen, führt der strategische Ausflug von Annegret Kramp-Karrenbauer in die internationale Politik zeitgleich zu einer Konsolidierung der Herrschenden in Moskau, einer Schwächung der EU und einem blinden Vertrauen auf unausgesprochene Wohltaten aus Washington.
Hier stellt sich schon die Frage, inwieweit Aktionen in dieser Richtung deutschen oder europäischen Sicherheitsinteressen dienlich sind - wo sie doch zusätzlich nur zu einer weiteren (gegenseitigen) Aufrüstung führen. Oder ob sie eigentlich niemandem nützen, sondern ohne positiven Effekt Öl ins Feuer der internationalen Politik gießen.