Russland: Nutznießer hoher Energiepreise?

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Behauptet wird, mit "Kriegstreiberei" betreibe Russland ein "Geschäftsmodell", dabei profitieren vor allem die USA von hohen Energiepreisen

Eigentlich sollte es, glaubte man den US-Geheimdiensten, die schon Massenvernichtungswaffen im Irak herbeifabuliert hatten, am Mittwoch zum großen russischen Angriff auf die Ukraine kommen. Die offen geschürte Kriegsangst hatte zuletzt auch dazu geführt, dass die Energiepreise weiter in die Höhe geschossen sind.

Der Preis für ein Barrel Rohöl der Standardsorte WTI war zwischenzeitlich in dieser Woche auf über 95 US-Dollar gestiegen. Ein Fass der europäischen Nordseesorte Brent hat sich mit über 96 Euro noch deutlich näher an die psychologisch bedeutsame Marke von 100 Dollar herangeschoben. Einige Beobachter hatten die Panik noch weiter geschürt und davon gesprochen, dass der Ölpreis auf einen neuen Allzeitrekord von 150 Dollar steigen könnte.

Der Bösewicht für den Anstieg der Energiepreise, denn auch der Gaspreis war zuletzt weiter gestiegen, war natürlich für die meisten Medien schnell gefunden. Verantwortlich für die steigenden Preise, wie könnte es auch anders sein, wurde allseits der russische Präsident gemacht. So titelte das Manager Magazin: "Putin treibt Ölpreis nahe 100 Dollar – und riskiert viel".

Im Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) unterstellt Andreas Niesmann in einem Kommentar sogar, dass hinter den hohen Energiepreisen "Kriegstreiberei" als "Geschäftsmodell" stehen soll.

Wie üblich wird dabei nicht auf andere Nutznießer wie die OPEC-Staaten oder die USA geschaut, die von hohen Öl- und Gaspreisen natürlich auch profitieren, und schon gar nicht auf mögliche Spekulation. Allerdings ist für genaue Beobachter klar, dass Spekulanten bei der Preistreiberei eine wichtige Rolle spielen und sich eine goldene Nase verdienen.

So hatte zum Beispiel auch die US-Nachrichtenagentur Bloomberg schon im vergangenen Jahr von einer "obskuren Gruppe" von Hedgefonds berichtet, die computergesteuert auf Gas- und Strompreise wettet.

Nein, der Blick richtet sich derzeit eng und konzentriert nur nach Osten und der Kommentar im RND ist dabei nur ein Beispiel von vielen. Darin heißt es:

Seit Beginn der Krise sind die Preise für russisches Öl und Gas massiv gestiegen. Rohöl hat sich seit Dezember um mehr als ein Drittel verteuert. Beim Erdgas gab es ähnliche Ausschläge, auch wenn sich der Markt zuletzt ein wenig entspannt hat. Putin hat Europa an den Rande eines Krieges geführt, und die bittere Wahrheit ist, er hat eine Menge Geld damit verdient.

RND

Ersetzen wir Russland in den Ausführungen aber durch die USA und Putin durch den US-Präsidenten Joe Biden, dann würde aus der banalen Argumentation ein ganz anderer Schuh, der noch viel besser passt. Denn schon seit geraumer Zeit sind nämlich die USA der weltweit größte Ölproduzent und profitieren deshalb von hohen Weltmarktpreisen besonders stark.

Im vergangenen August produzierten die USA dank Fracking schon 12,3 Millionen Barrel pro Tag. Sie lagen damit deutlich vor Russland mit elf Millionen oder Saudi-Arabien mit knapp zehn Millionen. Schauen man in den neuesten OPEC-Bericht, dann muss man eigentlich genau den umgekehrten Schluss ziehen, als ihn RND und andere ziehen.

Denn die Produktion wurde im vierten Quartal 2021 in den USA noch auf fast 19 Millionen Barrel pro Tag ausgeweitet. In Russland dagegen nur unwesentlich auf knapp 11,2 Millionen. Und das gilt ganz ähnlich auch für Erdgas. Dass die USA ihre Vormachtstellung als führende Energienation der Welt ausbauen, hat Capital schon vor eineinhalb Jahren festgestellt. "Die Vereinigten Staaten verzeichneten 2019 sowohl beim Erdöl als auch beim Erdgas einen starken Zuwachs."

Der Zuwachs habe bei Gas schon 2019 10,2 Prozent betragen. Die USA haben 2019 weltweit fast ein Viertel (23,1 Prozent) der weltweiten Fördermenge verzeichnet. Und wie die Zeitschrift gerade feststellt, haben die USA ihren Vorsprung vor Russland weiter ausgebaut:

"Die größten Gasproduzenten der Welt halten großen Abstand zueinander. Die USA lagen mit 914,6 Milliarden Kubikmeter rund 43 Prozent vor dem Zweitplatzierten Russland."

Beim Anteil an der weltweiten Förderung - die Angaben beziehen sich auf das Corona-Jahr 2020 - hat sich der US-Anteil noch auf 23,7 Prozent weiter vergrößert, denn "in Russland ist die Gasproduktion 2020 eingebrochen", stellt die Zeitschrift mit Blick auf Daten von BP fest. Dort sei ein Minus von 6,2 Prozent verzeichnet worden, die Produktion deshalb auf nur noch 638,5 Milliarden Kubikmeter gesunken. In den USA war die Gas-Fördermenge dagegen nur um 1,9 Prozent zurückgegangen.

Die USA als Nutznießer

Nicht Putin und Russland sind also die großen Nutznießer der hohen Ölpreise, sondern die USA und ihre Fracking-Industrie, die in der Coronavirus-Krise am Boden lag und angesichts der niedrigen Preise massive Verluste schrieb. Wenn man also schon so banal und eindimensional wie Niesmann argumentieren will, dann wäre es deutlich angebrachter, die USA als Nutznießer zu bezeichnen.

Es besteht zudem auch kein Zweifel daran, dass die USA ebenfalls an der Kriegstreiberei beteiligt sind und über ihre Geheimdienste erneut Bedrohungsszenarien entwirft, wie man sie schon vom völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak kennt. Warum wird also nicht von Kriegstreiberei als US-Geschäftsmodell gesprochen?

Dass es in der Ukraine vor allem um geostrategische Interessen der USA geht, das haben verschiedene linke Kräfte in Europa schon deutlich gemacht. Sie hatten appelliert, dass es die Europäische Union vermeiden müsse, "in den Konflikt hineingezogen zu werden". Die EU müsse "konkrete Vorschläge zur Deeskalation formulieren, um einen Konflikt zu vermeiden, der der Ukraine und ganz Europa ernsthaft schaden würde". So wird auch Verständnis dafür aufgebracht, dass es "Russland als militärische Bedrohung" versteht, dass die Nato "in die Ukraine und nach Georgien expandiert".

Die Opec

Und auffällig bei all diesen einseitigen Schuldzuschreibungen ist auch, dass man hier die üblichen Appelle an die OPEC vermisst, zur Stabilisierung oder Senkung der hohen Ölpreise die Produktion zu erhöhen. Denn das Ölkartell hatte bekanntlich in der Corona-Krise die Ölförderung deutlich gesenkt, als die Ölpreise zeitweise sogar negativ wurden. Russland machte in der sogenannten OPEC+ mit.

Es ist erstaunlich, dass die OPEC derzeit nicht hart kritisiert wird. Dabei bleibt die OPEC "bei der Ölförderung hart", hat auch die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) gerade festgestellt. "Trotz hoher Ölpreise dreht der Produktionsverbund OPEC plus den Ölhahn nicht weiter auf als geplant", stellte die FAZ fest.

Die "knappe Produktion" der OPEC-Länder macht sie als "Grund für die gestiegenen Ölpreise" aus, "die sich in der Nähe ihres Höchststandes seit Herbst 2014 bewegen". Dazu käme die solide Nachfrage nach Öl und Kraftstoffen auf dem Weltmarkt. Erst zuletzt wird "die geopolitische Krise um die Ukraine und Russland" genannt, die erst in den letzten Wochen für weiter steigende Energiepreise mitverantwortlich gemacht werden kann. Das ist sicher eine deutlich bessere Einordnungen.

Es ist schlicht absurd, die hohen Energiepreise der Ukraine-Krise zuzuschieben. Die Preise für Öl und Gas sind schon im vergangenen Jahr explodiert. Man fragt sich aber, ob es nur ein dummer Fehler ist, oder die FAZ dann doch Russland unterschwellig auch etwas Verantwortung für die OPEC-Politik und deren Preistreiberei zuschieben will. Gleich oben im Artikel wird absurd behauptet, dass die OPEC "von Saudi-Arabien und Russland angeführt" werde. Russland ist kein Mitglied des Kartells und war es auch nie.

Auch das Manager Magazin hatte schon festgestellt, dass die Ölpreise, "im Zuge der wirtschaftlichen Erholung seit Anfang Dezember ohnehin im Steigflug" gewesen seien. An der Einschätzung aber, dass Russland und Putin an der Preisschraube drehen, ändert sich im Artikel trotz dieser Erkenntnis aber nichts.

Man betrachtet plötzlich nur noch die Entwicklung seit Jahresbeginn, und nennt "die Krise an der ukrainisch-russischen Grenze" als "Hauptgrund" für die Tatsache, dass sich seit Jahresbeginn Öl um "etwa 25 Prozent" verteuert habe. Man tut so, als seien plötzlich alle anderen preistreibenden Faktoren weggefallen.

Interessant ist, dass dagegen der "Verein Deutscher Ingenieure" (VDI) auf die mitten im Winter leeren Gasspeicher verweist, "doch das liegt weniger an Gazprom oder einem der anderen Betreiber der Erdgasspeicher", führt der VDI aus. "Hauptursache sind die an den globalen Märkten verrücktspielenden Rohstoffpreise."

Klar ist, dass die derzeitigen Entspannungssignale aus Moskau ebenfalls nicht in das Narrativ passen, dass Russland für die Preistreiberei verantwortlich zeiht. Nachdem am Dienstag die Meldungen die Runde machten, dass Russland einen Teil seiner Truppen an der Grenze zur Ukraine abzieht, sie in ihre Stützpunkte zurückruft, weil bisherige Manöver beendet seien, zeigt sich eine deutliche Entspannung bei Gas- und Ölpreisen.

Der für Europa entscheidende Gas-Terminkontrakt Dutch TTF (März-Lieferung) notierte noch am Montag noch bei 83 Euro, er fiel nach dem Zusammentreffen von Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wladimir Putin am Dienstag aber schließlich auf 73 Euro.