Russland-Sanktionen: Suche nach "schwarzen Rittern"
Die westlichen Sanktionen gegen Russland wirkten kurzfristig kaum. Inzwischen zeigen sich aber deutlich Langzeitfolgen. Betroffen ist vor allem die Normalbevölkerung.
Die westlichen Staaten haben die russische Volkswirtschaft durch ihre Sanktionspakete bisher nicht so stark geschwächt, wie sie sich das erhofft haben. Bei den Rohstoffexporten gibt es Ersatzabnehmer für ausbleibende westliche Kunden. Die Ersatzabnehmer nutzen allerdings inzwischen die Abhängigkeit der Russen von ihnen durch ein Preisdiktat aus.
Bei Importen nach Russland führt der Weg sanktionierter Waren wiederum häufig über Drittstaaten, seit der russische Gesetzgeber solche Grauimporte ohne Genehmigung des Herstellers in vielen Bereichen legalisiert hat.
Einfaches wird nicht knapp, aber vieles teurer
Die russischen Verbraucher merken das bisher nicht dadurch, dass es Dinge nicht mehr gibt – die Supermarktregale sind weiterhin voll. Sie merken es aber an erheblich höheren Preisen für Importiertes, denn jeder Zwischenhändler bei Grauimporten will verdienen.
So rutschte die vor dem Krieg beliebteste Softdrink-Marke Coca Cola vom ersten auf den zweiten Platz ab, da sie erheblich teurer geworden ist. Cola trinken die Russen aber weiter, obwohl Präsident Putin nach Kriegsausbruch die Russen stattdessen auf traditionell russisches wie Iwan Chaj einschwören wollte. Der neue Marktführer ist nur ein billigeres russisches Produkt vom früheren Coca-Cola-Abfüller im Land.
Nicht immer ist der Importersatz so einfach - schon bei Smartphones fehlen innerrussische Alternativen und je komplexer ein Produkt herzustellen ist, desto umständlicher wird unter Umständen die Ersatzbeschaffung. Der regierungsnahe russische Politologe Iwan Timofejew sieht in einer Analyse den Importersatz bei Konsumgütern als eine wesentlich einfachere Aufgabe als bei Industriebedarf oder gar Hightech-Produkten.
Druck auf Helfer bei Sanktionsumgehung
Die EU und die USA drängen Staaten, über die Grauimporte laufen, zu einer verstärkten Überwachung ihres Russland-Handels, um die Umgehung ihrer Sanktionen zu unterbinden. Im Fokus haben sie dabei laut Bloomberg vor allem die Türkei und den dortigen Export von Hochtechnologie wie Halbleiter oder integrierte Schaltkreise.
Aber auch andere Handelsware kann das Ziel von EU-Druck sein, wenn Exportmengen in einen Staat plötzlich ansteigen und das nicht durch einen erhöhten Inlandsverbrauch erklärbar ist. Große Schlagzeilen machte es unter anderem in Russland, als die Türkei die Zollabfertigung für eine Reihe von Waren in Richtung Russland im März blockierte. Zuvor hatte sich der Handelsumsatz zwischen der Türkei und Russland von Januar bis September 2022 verdoppelt. Die Sanktionsumgehung als Ursache neben der Importsubstitution ist ein offenes Geheimnis.
Auch im Bankensektor hatten sich 2022 Wege gefunden, die umfangreichen Finanzmarktblockaden für russische Banken wie den weitgehenden SWIFT-Ausschluss zu umgehen. So bliebt die österreichische Raiffeisenbank, in Russland mit Filialen allgegenwärtig, vor Ort aktiv und wurde am Ende der Dienstleister für ein Viertel der verbleibenden Euro-Überweisungen in das Land.
Nun soll mit diesem Geschäft Schluss sein, das russische Geschäft der Bank soll aufgrund Drucks der Europäischen Zentralbank verkauft werden. Unter einem russischen Eigentümer dürfte die Ausnahme vom SWIFT-Ausschluss für die Raiffeisenbank fallen.
Keine Gelassenheit mehr bei Putin
Die russische Regierung verbreitete beim Thema Importsubstitution lange Zuversicht und demonstrative Gelassenheit. Diese Zeit ist vorbei. Putin gab bei einer aktuellen Rede zu, dass sich einige Wirtschaftssektoren im "Epizentrum der Sanktionsblockade" befinden.
Den Schwerpunkt setzt er als Zielsetzung auf eine Importsubstitution westlicher Produkte durch heimische Produktion oder die Umstellung auf nichtwestliche Erzeugnisse. Die westlichen Sanktionen könnten sich laut Putin jedoch mittelfristig "tatsächlich negativ" auf die russische Wirtschaft auswirken.
Mit einer Änderung der russischen Regierungspolitik ist deswegen aber nicht zu rechnen. Wer das denkt, vergisst das Narrativ von Russlands Mächtigen, man sei zum Überfall auf die Ukraine gezwungen gewesen und der Konflikt mit dem Westen sei nicht von Russland verursacht. Dementsprechend verlange die russische Politik auch von der Wirtschaft eine Anpassung an die Umstände und nicht umgekehrt, stellt dazu der Politologe Andras Tot-Digit in einer Analyse nüchtern fest.
So ist die Wirkung der westlichen Sanktionen kurzfristig schwächer als zuvor prognostiziert, hält aber länger an als erwartet, glaubt die Wirtschaftsanalystin Alexandra Prokopenko.
Die russische Regierung könne darauf nur unzureichend reagieren, da sie ihren Fokus zwangsweise auf die Armee und nicht die Wirtschaft legen müsse. Die Auswirkungen beträfen auch den russischen Export massiv. Russland stünde unter Druck, Kompromisse einzugehen und alle potentiellen Kunden nutzten das aus, um Rabatte auf russische Waren einzufordern.
Keine "schwarzen Ritter" unter Russlands Partnern
Diese Sichtweise teilt Iwan Timofejew. Er bezeichnet Staaten, die bei der Sanktionsumgehung politischen Partnern aktiv und furchtlos helfen als "schwarze Ritter". Russland selbst sei ein solcher "schwarzer Ritter" für Baschar al-Assad zur Zeit des Syrien-Krieges gewesen. Doch solche seien für Russland selbst nicht wirklich längerfristig in Sicht.
China fürchte Beschränkungen auf wichtigen westlichen Märkten, wenn es sich zu sehr auf Russland-Hilfe offen einlasse, Indien sei aus dem gleichen Grund zurückhaltend. Nur den Iran sieht Timofejew als "natürlichen russischen Partner", da er selbst seit langem unter Sanktionen stehe.
Die übrigen Staaten werden ihren Vorteil aus der internationalen Lage ziehen, verdeckt etwas Hilfe leisten, wenn sie auch zum eigenen Vorteil ist, aber sich nicht zu tief in den Wirtschaftskrieg hinein ziehen lassen.
Einfaches wird ersetzt – Komplexes eher nicht
Die russische Wirtschaft habe dabei viele Wege, sich den neuen Bedingungen anzupassen. Wer schon in Russland war, vor allem in den wirtschaftlich schlechten 1990er-Jahren, kennt sicher die mannigfaltige Kreativität der Russen bei der improvisierten Umgehung von Mangel.
Diese Eigenheit der Russen wird sich wieder beleben, wenn bestimmte Technik nur schwer zu bekommen ist. Prokopenko glaubt deswegen an ein Überleben der russischen Wirtschaft, aber einen jahrzehntelangen Rückschritt auf ein immer primitiveres technologisches Niveau, je länger der aktuelle Zustand anhält.
Denn während Russland Lebensnotwendigen durchaus produzieren oder beschaffen kann, sieht es bei Hochtechnologie wie Flugzeugteilen oder Schwermaschinen anders aus. Der Traditionshersteller Awtowas ("Lada") aus der Wolga-Region musste die Belegschaft vor wenigen Tagen in den Zwangsurlaub schicken - wegen Zulieferprobleme von Ersatzteilen.
Getroffen werden weder Politfunktionäre noch reiche Russen
Profiteure werden hier die Chinesen sein. Die unter viel Tamtam im November wiederaufgenommene Produktion der Automarke Moskwitsch ist eigentlich nur eine Fertigung eines Klons des chinesischen Modells JAC JS4 – unter anderem Namen. Vor dem Krieg wurde im Werk Renault-Fahrzeuge gebaut.
Merken werden das auch die russischen Verbraucher trotz der einfacheren Möglichkeit, sanktionierte Konsumgüter noch ins Land zu bringen. Denn was unter Sanktionsumgehung aus dem westlichen Ausland kommt, wird immer verschlungenere Wege nehmen mit immer höherem Preisaufschlag.
Nur eine Zielgruppe wird das nicht treffen: Reiche Russen und Politfunktionäre, die natürlich das nötige Kleingeld haben, auf verschlungenen Wegen Luxusgüter für ein paar Rubel mehr anzuschaffen. Und wer von ihnen nicht mehr in westliche Länder reisen kann, verbringt seinen Urlaub eben in der Türkei oder Fernost.