Russland: Weiter Rätselraten über Explosion bei einem Raketenantriebstest
Es herrscht Informationschaos, angeblich soll es sich um einen Test der in Entwicklung befindlichen Skyfall-Rakete mit Nuklearantrieb handeln, von Novaja Gaseta als "fliegendes Tschernobyl" bezeichnet
Die Explosion auf dem militärischen Testgelände der Marine in Archelansk ist nun dank Donald Trump auf der höchsten politischen Ebene angekommen. Russland hatte bestätigt, dass ein neuartiges Flüssigkeitsraketentriebwerk am 8. August beim Testen mit einer Isotopenquelle explodiert war und dabei 5 Mitarbeiter von Rosatom und des Russischen Nuklearzentrums getötet wurden. Das sei, merkte Novaya Gazeta an, nur eine Umschreibung eines fliegenden Atomreaktors.
Auf die Messung einer kurzzeitigen Erhöhung der Radioaktivität auf bis zu 2 Mikrosievert in der 20 km entfernten Stadt Severodvinsk, die die Messergebnisse wieder auf der Website entfernte, wurde erst einmal nicht eingegangen. Es wurde taktiert und die Öffentlichkeit nur schrittweise informiert, was allerdings bei einem geheimen Waffenprogramm nicht nur in Russland so praktiziert wird. Staatliche Medien berichteten später, dass nicht nur russische Messstation, sondern auch solche etwa in Finnland oder der EU keine erhöhten Werte feststellen konnten (Die Explosion bei einem Raketentest in Nordrussland bleibt mysteriös).
Von Anfang wurde vornehmlich in westlichen Medien spekuliert, dass hier ein von Wladimir Putin angekündigter neuer Marschflugkörper mit Nuklearantrieb getestet worden sein könnte. Russische Experten gingen hingegen eher davon aus, dass möglicherweise bei der Explosion durch die Beschädigung eines Geräts geringe Mengen an Radioaktivität freigesetzt worden sein könnten. Auffällig war, dass vor dem Test eine ein Monat lange Sperrung der Bucht angeordnet worden war, in der auf einem Schiff die Explosion geschah. Auf Videos hatte man auch sehen können, dass Personal in Schutzanzügen die bei der Explosion Verletzten nach Moskau gebracht haben.
Nach Leugnung wurde kurzzeitige Erhöhung der Radioaktivität doch bestätigt
Am Sonntag räumten die Leiter des Russischen Nuklearzentrums doch ein, dass es eine kurzzeitige Erhöhung der Hintergrundradioaktivität während einer Stunde gegeben habe, die um das Doppelte des Normalwerts angestiegen sei. Danach sei sie wieder normal gewesen. Es habe sich um flüchtige Radionukleotide gehandelt. Am Montag erklärte die Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor, dass für die Bevölkerung keine Gefahr bestehe. Gemessen wurde die Gamma-Strahlung, die kurzzeitig um das 4- bis 16-Fache angestiegen war. Das sind dann ungefähr die 2 Mikrosievert pro Stunde, wenn die Strahlung normalerweise 0,11 Mikrosievert beträgt. Auch 2 Mikrosievert gelten als gesundheitlich nicht bedenklich.
Gestern morgen empfahlen die Behörden die Evakuierung des Dorfes Njonoksa in der Nähe des Testgeländes für den heutigen Mittwoch für ein paar Stunden an. Das stehe in keinem Zusammenhang mit dem Unfall, hieß es, sondern mit gefährlichen Bauarbeiten. Es war die Rede, dass die Bewohner zwei Stunden lang in einen Zug gebracht werden sollten. Es sei Panik ausgebrochen, die Bewohner könnten in ihren Häusern bleiben, hieß es dann. Die Nachrichten sind verwirrend, Kommersant berichtet, ein Einwohner habe gesagt, es gebe keine Panik, ihnen sei auch nicht empfohlen worden, das Dorf zu verlassen. Nach dem lokalen Medium 29.ru dürfen hingegen die Bewohner das Dorf nicht verlassen, auch wenn die geplanten Arbeiten nicht ausgeführt würden. Dass in diesem Durcheinander der Informationen und der Kommunikation der Behörden, die einmal leugnen, dann doch bestätigen, aber nicht wirklich aufklären, Unsicherheit wächst, ist nur allzuverständlich.
US-Geheimdienste sollen vom Test mit einem nuklearen Skyfall-Raketenantrieb ausgehen
Am Montag veröffentlichte die New York Times einen Artikel über den Vorfall, in dem wie immer anonym bleibende Geheimdienstmitarbeiter zitiert werden. Sie sollen vermuten, dass eben ein neuer Marschflugkörper mit Nuklearantrieb des Typs SSC-X-9 Skyfall getestet worden sei, der "im Zentrum des Wettrüstens von Moskau mit den USA" stehe. Schon das ist eine verräterische Formulierung, da so suggeriert wird, Russland rüste gegen die USA auf, obgleich das Wettrüsten beidseitig geschieht und stärker von den USA angetrieben zu werden scheint. Der Marschflugkörper ist eine Reaktion auf das von den USA installierte Raketenabwehrschild.
Die New York Times berichtet von "mindestens 7 Toten", offiziell ist von Rosatom und dem Russischen Nuklearzentrum aber nur die Rede von 5 Toten und 3 Verletzten. Und angesichts der offenbar nur kurzzeitig gering gestiegenen Radioaktivitätswerte ist schon bemerkenswert, wenn davon gesprochen wird, dass es "möglicherweise einer der schlimmsten Atomunfälle in der Region seit Tschernobyl, auch wenn offenbar in viel kleinerem Ausmaß" gewesen sei. Die NYT bauscht nicht nur den Unfall und die Bedrohung auf, die von dem angeblich getesteten Marschflugkörper aus geht, weil er praktisch von keinem existierenden Raketenabwehrsystem abgeschossen werden kann. Angefügt wird dann aber gleich, der Test gebe "einen Einblick in die technischen Schwächen des neuen russischen Waffenprogramms". BBC berichtete beispielsweise nüchterner.
Auch die regierungskritische Novaja Gaseta äußerte die Vermutung, dass es sich nicht um eine Hyperschall-Anti-Schiffs-Lenkwaffe Zirkon gehandelt habe, sondern um eine Burewestnik (SSC-X-9 Skyfall) mit einem Nuklearantrieb, ein "fliegender Tschernobyl-Reaktor", auch wenn die Rede von einem Flüssigkeitsraketenantrieb mit einer Isotopenquelle ist: "Ein fliegender Nuklearreaktor bleibt jedoch ein kleiner fliegender Tschernobyl-Reaktor, auch wenn man den nuklearen Brennstoff mit einem 'flüssigen Medium' von der Arbeitsflüssigkeit isoliert." Es sei aber vermutlich keine Explosion wie in Tschernobyl geschehen, sondern nur ein Austritt radioaktiver Flüssigkeit.
Trump schaltet sich ein, Kreml reagiert
Nach dem Artikel der NYT, die Trump eigentlich stets als Fake-News-Medium bezeichnet, bezog er sich in einem Tweet auf den Vorfall, natürlich um die Überlegenheit der USA darzustellen. Er tat so, als habe es sich tatsächlich um ein Skyfall-Experiment gehandelt und sprach paradoxerweise von einer "gescheiterten Raketenexplosion", aus der die USA viel gelernt hätten, ohne zu verraten, was das sein könnte: "The United States is learning much from the failed missile explosion in Russia. We have similar, though more advanced, technology. The Russian "Skyfall" explosion has people worried about the air around the facility, and far beyond. Not good!"
Kremlsprecher Dmitri Peskow versicherte daraufhin, dass Sicherheit der Bevölkerung von den Behörden gewährleistet worden sei. Die Bevölkerung sei von der die Tests ausführenden Organisation über die Ursachen des Unglücks informiert worden. Man solle sich doch auf diese Informationen der Organisation verlassen, empfahl er, was angesichts des Informationschaos kein guter Ratschlag gewesen sein dürfte.
Gleichzeitig verwies er darauf, dass nicht die USA, wie Trump erklärte, sondern Russland mit der Entwicklung neuer Waffen weiter vorangeschritten sei, was dann doch wieder eine Anspielung auf einen Test mit der Hyperschallrakete Zirkon oder eher mit Burewestnik (SSC-X-9 Skyfall) sein könnte: "Unser Präsident wiederholte mehrmals, dass die russischen Entwicklungen in diesem Bereich bislang wesentlich das von anderen Ländern erreichte Niveau übertreffen und einzigartig sind." So agiert man im Wettrüsten.
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