Russland und die USA verhindern vereint Verurteilung der Türkei im UN-Sicherheitsrat
Auch der Nato-Generalsekretär versteht die "legitimen Sorgen" der Türkei, die fordert von der Nato nicht nur Verständnis, sondern Solidarität
Russland und die USA stellen sich schützend hinter die Türkei. Mit einem Veto verhinderten beide Staaten einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates und reden sich mit fadenscheinigen Gründen heraus. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien und Polen haben einen Resolutionsentwurf vorgelegt, mit der die Türkei aufgefordert werden sollte, die "unilaterale Militäraktion" zu beenden, die die Stabilität der Region gefährde, Flüchtlingsströme verursache und den von der Anti-IS-Koalition erreichten Fortschritt unterminiere.
Insbesondere wird die von der Türkei behauptete Einrichtung einer Sicherheitszone in Frage gestellt, hinter der die Absicht eines Bevölkerungsaustausches steht. Das türkische Konzept entspreche auch nicht den internationalen Kriterien des UN-Flüchtlingswerks UNHCR für eine Flüchtlingsrückkehr. Das entspricht auch der Erklärung, die Federica Mogherini, Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, im Namen der EU gemacht hatte. Die EU wird keine Unterstützung in Gebieten leisten, in denen die Rechte der lokalen Bevölkerung ignoriert werden, also in der geplanten "Sicherheitszone".
Russland und die USA haben ihre jeweils eigenen Gründe, den Nato-Staat Türkei nicht ganz zu verprellen. Die Türkei hat geopolitisch eine einzigartige Position zwischen Europa und dem Nahen Osten, aber auch zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Die Ausreden der russischen und amerikanischen Vertreter sind bezeichnend.
In der von den 5 EU-Staaten geforderten geschlossenen Sitzung wurde die dramatische Lage der Bevölkerung in den kurdischen Gebieten geschildert und die Not der Zehntausenden, die bereits vor dem türkischen Angriff geflohen sind. Estland schloss sich der Verurteilung der türkischen Invasion an.
USA drohen mit Konsequenzen, Russland spricht von einer "demografischen Technik"
Kelly Craft, die UN-Botschafterin der Vereinigten Staaten, begründete nach Abschluss nicht das eingelegte Veto, sondern versuchte klarzustellen, dass die Trump-Regierung nicht das militärische Vorgehen der Türkei unterstütze. Donald Trump hatte nach einem Telefongespräch mit Erdogan der Türkei durch den Abzug von US-Soldaten aus dem Gebiet dazu aber freie Hand gegeben - gegen das Versprechen, zurückhaltend vorzugehen und die Zivilbevölkerung zu verschonen.
Die Türkei hatte gegenüber dem Sicherheitsrat versichert, die Militäroperation werde "angemessen, zurückhaltend und verantwortlich" durchgeführt: "Die Operation wird nur Terroristen und ihre Verstecke, Unterstände, Stützpunkte, Waffen, Fahrzeuge und Ausrüstung angreifen", so der türkische UN-Botschafter Feridun Sinirlioğlu: "Es werden alle Vorsichtsmaßnehmen ergriffen, um Kollateralschaden an der Zivilbevölkerung zu vermeiden." Und das mit Artilleriebeschuss und Bombardierung von Dörfern und Städten.
Die europäischen Staaten im Sicherheitsrat bezweifeln die Einhaltung des Versprechens zu Recht. Donald Trump war, konfrontiert mit einer Welle der Entrüstung über seine Entscheidung, auch zurückgerudert und drohte der Türkei mit einer "totalen ökonomischen Zerstörung", falls sie irgendwelche roten Linien überschreite. Craft sprach nur noch allgemein von "Konsequenzen", die sie androhte, wenn die Türkei sich nicht an die Regeln halte, "die schutzlose Bevölkerung zu beschützen und nicht garantieren zu können, dass der IS diese Aktionen ausbeuten kann, um sich wieder aufzubauen".
Der russische UN-Botschafter Vassily Nebenzia begründete sein Veto damit, dass die USA und ihre Verbündeten eine "demografische Technik" im Nordosten Syriens angewendet hätten, indem sie arabische Stämme mit den Kurden konfrontiert hätten. Russland habe davor gewarnt. Die Frage, ob Russland einer türkischen Sicherheitszone zustimmt, ließ der UN-Botschafter offen, meinte aber, es sei bedauerlich, dass kein direkter Dialog geführt werde. Das warf er auch den Kurden vor. Man habe sie gebeten, in einen Dialog mit der syrischen Regierung einzutreten, "aber sie zogen andere Beschützer vor. Und man sieht, was daraus geschehen ist."
Russland werde einer Resolution nur zustimmen, wenn über die türkische Operation hinaus andere Aspekte thematisiert werden: "Sie müsste auch über die illegale militärische Präsenz im Land und die Notwendigkeit sprechen, diese sofort zu beenden." Ob er damit auch die türkische Präsenz in Afrin und anderen Gebieten meint, bleibt offen.
Türkei will "klare Solidarität" der Nato
Die Nato hält sich ebenso zurück. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vermied jede Kritik und beteuerte, die Türkei habe "mehr als jeder andere Nato-Staat unter Terroranschlägen gelitten, ist Instabilität, Gewalt und Unruhe vom Nahen Osten ausgesetzt und hat so viele Flüchtlinge aufgenommen". Man verstehe die "legitimen Sorgen" der Türkei. Die Weltgemeinschaft müsse eine koordinierte und nachhaltige Lösung" finden, wie man mit den gefangenen IS-Kämpfern umgeht.
Dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu war die Rückendeckung nicht stark genug. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz sagte er, man wolle eine "klare Solidarität" sehen, schließlich sei die Militäroperation "sehr wichtig für die Sicherheit des Territoriums des Bündnisses". Es sei die natürliche und legitime Erwartung der Türkei, dass seine Verbündeten Solidarität im Kontext der Unteilbarkeit der Sicherheit zeigten. Kein Wort wird darüber verloren, dass der Angriffskrieg der Türkei auch völkerrechtswidrig war. Bislang waren von den syrischen Kurden keine Angriffe auf die Türkei erfolgt.
Die türkische Operation, zynisch "Quelle des Friedens" oder "Friedensquelle" genannt, "befreit" in der türkischen Propaganda Dörfer und Städte von den "YPG-Terroristen". Zivilisten würden nicht angegriffen, wird schablonenhaft betont, der Militäreinsatz richte sich nur gegen "die Terroristen und ihre Waffen".
Angeblich will die Türkei einen 32 km breiten Korridor erobern und von den "YPG-Terroristen" befreien, um dort bis zu 2 Millionen syrische Flüchtlinge anzusiedeln. Dazu sollen, hieß es Ende September, 200.000 Wohneinheiten gebaut werden, in denen eine Million Flüchtlinge untergebracht werden soll. Die Kosten werden auf 151 Milliarden Lira (24,5 Milliarden Euro) veranschlagt. Wie das finanziert werden soll, blieb offen, wahrscheinlich rechnete man mit europäischen und amerikanischen Geldern.