Russland zieht plötzlich alle Beobachter des Gemeinsamen Zentrums der OSZE aus der Ukraine ab
Moskau macht Kiew verantwortlich, eröffnet aber angesichts zunehmender Kämpfe ein Vakuum, das die Ukraine oder die Separatisten zur Eskalation ausnutzen könnten
Das russische Außenministerium hat gestern angekündigt, heute die russischen Soldaten vom Gemeinsamen Zentrum für die Kontrolle und die Koordination des im Minsker Abkommen vereinbarten Waffenstillstands im Donbass abzuziehen (JCCC) - und das in Windeseile, nämlich schon heute. Die Verantwortung liege alleine bei der ukrainischen Seite, so dass russische Außenministerium in einer Erklärung. Das JCCC war im September 2014 nach dem Minsker Abkommen von der Trilateralen Kontaktgruppe eingerichtet wurde und besteht aus Vertretern der OSZE und jeweils 75 Offizieren aus Russland und der Ukraine.
Nach russischer Sicht hat das JCCC zwar wertvolle Arbeit geleistet und die Sondermission der OSZE (SMM) unterstützt. Es habe aber zunehmend "ernsthafte Schwierigkeiten aufgrund der Haltung der ukrainischen Behörden" gegeben. Kiew habe sich beispielsweise gegen jede dokumentarische Regelung der Aktivitäten gesperrt. Man habe dies weder mit der Minsker Kontaktgruppe noch auf höchster Ebene im Normandie-Format (Russland, Ukraine, Deutschland, Frankreich) lösen können.
Die Ukrainer hätten die russischen Offiziere an der Ausführung ihrer offiziellen Pflichten gehindert und eine "angespannte moralische und psychologische Situation" für die russischen Offiziere geschaffen, denen auch manchmal Verachtung entgegengeschlagen habe. So hätten russische Offiziere nur begrenzten Zugang zur Demarkationslinie gehabt und die Arbeit des Personals auf den gemeinsamen Beobachtungsstationen in dem von der Ukraine kontrollierten Territorium nicht kontrollieren können. Manchmal sei ihnen auch verboten worden, mit der Bevölkerung zu sprechen.
Das alles lässt sich nicht aus der Ferne nachprüfen oder gar bestätigen. Es geht aber wohl eher um einen Protest gegen eine Regel zur Einreise russischer Bürger in die Ukraine. Ab dem 1. Januar müssen Russen vor der Einreise den ukrainischen Behörden Einblick in persönliche Informationen geben, was nach einem Abkommen aus dem Jahr 1997 über visafreies Reisen von russischen und ukrainischen Bürgern nicht statthaft sei. Offenbar müssten dann auch die russischen Offiziere des JCCC diese Informationen vor der Einreise geben, was nach dem russischen Außenministerium nicht akzeptabel sei. Russland habe lange darauf gedrungen, dieses Problem zu lösen, aber die Ukraine sei nicht darauf eingegangen. Daher sei die Mitwirkung der russischen Offiziere am JCCC nicht mehr möglich.
Die Ukraine weist die Vorwürfe des russischen Außenministeriums zurück. Sie seien nicht wahr. Der Sprecher der ukrainischen Streitkräfte, Yuzef Venskovych, erklärte, die Ukraine werde weiterhin die OSZE-Beobachtungsmission erfüllen. Aber es würden nun die Beobachter auch aus den "besetzten Gebieten", also den beiden "Volksrepubliken" der Separatisten im Donbass, zurückziehen, weil deren Sicherheit, weil nicht mehr begleitet von russischen Offizieren, nicht mehr gesichert ist. Der Abzug der Russen würde die Arbeit des JCCC schwieriger machen, sagte er beschönigend, denn tatsächlich ist damit das JCCC beerdigt.
Der ukrainische Außenminister Pavlo Klimkin führt den russischen Schritt darauf zurück, dass Moskau das direkte Gespräch zwischen der ukrainischen Regierung mit den Separatisten erzwingen wolle. Das seien aber die Puppen Russlands, weswegen es nur um ein Puppentheater gehe. Die Weigerung Kiews, Verhandlungen mit den Separatisten aufzunehmen, ist mit ein Grund, warum das Minsker Abkommen nicht vorankommt. Das ukrainische Außenministerium bezeichnet den Rückzug der Russen als "Provokation".
Währenddessen nehmen die Kämpfe wieder zu und sterben weiter Soldaten und Bewaffnete, aber auch Zivilisten. Der letzte OSZE-Bericht vom 17. Dezember meldet mehr Waffenstillstandsverletzungen während der letzten beiden Tage. Von beiden Seiten wird gefeuert, der Sinn ist nicht klar. Säuberlich werden die einzelnen Explosionen, Schießereien und Artilleriebeschüsse aufgelistet, die täglich in die Hunderte gehen. Von einem Waffenstillstand kann man also schon lange nicht mehr sprechen. Beide Seiten wollen offenbar lieber die militärische Konfrontation aufrechterhalten, als in einen Dialog treten. Die OSZE-SMM-Mission beschwert sich, dass den Beobachtern oft kein sicherer Zugang gewährt wird. Insbesondere sei dies bei den beiden "Volksrepubliken" der Fall, wo den Beobachtern oft kein Zugang zur Grenze zur Ukraine genehmigt werde. Aber auch die ukrainische Armee blockiere die Beobachter.
Wenn die russischen Beobachter des JCC abziehen, wird die Beobachtung des Waffenstillstands bzw. der anhaltenden Kämpfe schwieriger. Das könnten beide Seiten ausnutzen, offensiver zu werden. Daran haben beide Seiten eher Interesse als an der Umsetzung des Minsker Abkommens. Kiew könnte damit die USA und die Nato stärker hinter sich bringen und innenpolitischen Probleme, etwa die bis zum Präsidenten reichende Korruption, mit dem äußeren Feind überspielen, während die Separatisten Russland stärker an sich binden könnten. Ziehen sich die Russen aus dem JCCC zurück, könnte dies bedeuten, dass man den Separatisten die Möglichkeiten bieten will, offensiver vorzugehen. Genauso gut könnten dies die ukrainischen Streitkräfte und Milizen machen. Es könnte über Weihnachten jedenfalls zu einer gefährlichen Eskalation kommen.